VII.

Staatsexamen. – Stoffwahl aus Erlebtem.

[94] Am 19. April desselben Jahres 1858 fuhr ich zum Staatsexamen nach Berlin. Damals wurde dasselbe erst mündlich gemacht, die schriftlichen Arbeiten folgten nach. Der Termin war auf den 10. Mai angesetzt. Ich hatte mit einem Kollegen namens Kiepke (übrigens einem Neffen des Komponisten der »Lustigen Weiber von Windsor«, Nicolai), der auch bei den beiden ersten Examen mein Leidensgefährte gewesen war, fleissig studiert und konnte glauben, genügend vorbereitet zu zu sein. Glück durfte freilich nicht fehlen.

Unterwegs hatte ich ein sonderbares Erlebnis. Ich fuhr mit jenem Kollegen und dem jungen Bauakademiker Quedenfeld zusammen in einem Coupé dritter Klasse. Auf der Mittagsstation stiegen wir aus, um im Wartesaal zu essen. Damit beschäftigt, sah ich in einiger Entfernung einen mir bekannten Herrn stehen, der mich sehr auffallend fixierte, aber auf meinen Gruss nicht zu achten schien. Es war ein Kandidat der Theologie namens Samulowitz, den ich im Adelsonschen Hause kennen gelernt hatte, wo er vor mir Stunden gab. Er war schon in weit vorgeschrittenen Jahren, erhielt aber keine Pfarre, weil er für freisinnig, wenn nicht geradezu ungläubig galt. Obgleich er sein Examen sehr gut bestanden hatte, berücksichtigte ihn das Konsistorium[95] nicht. Wie ich wusste, hatte er deshalb längst aufgegeben, die Kanzel zu besteigen, und sich durch Unterricht recht kümmerlich ernährt. Er hatte auch noch eine alte Mutter und eine kranke Schwester zu unterhalten. Einige Zeit vor meiner Abreise war mir aber mitgeteilt worden, dass ihm von der Patronin der Pfarre zu Arnau, einer Frau von Schön, Tochter des Ministers Theodor von Schön, die dortige sehr gut dotierte Stelle angeboten sei und dass er sich, wenn auch mit innerem Widerstreben, zu dem vorgeschriebenen Kolloquium verstanden habe. Abweisen habe ihn das Konsistorium nicht können. Ich glaubte, es sei nun alles in der besten Ordnung.

Als ich aufgestanden war, sagte ich ihm im eiligen Vorübergehen guten Tag, war aber verwundert, dass er mich nur anstarrte und keine Antwort gab. Auf der nächsten Station, bei der der Zug hielt, kam ein Herr, den ich neben ihm stehen gesehen hatte, an unseren Wagen gestürzt und rief hinein: er habe die traurige Aufgabe, einen Geisteskranken nach einer bestimmten Anstalt zu transportieren, könne denselben aber nicht beruhigen und frage an, ob er ihn zu uns bringen dürfe, da er bemerkt habe, dass er dem einen oder anderen von uns bekannt sei. »Aber lassen Sie ihn nicht wissen, dass ich Ihnen etwas gesagt habe,« fügte er hinzu. Er wartete denn auch die Erlaubnis gar nicht ab, sondern holte gleich den Kranken, schob ihn zu uns hinein und folgte selbst. Der Zug ging sogleich wieder ab.

Die Anzeige, dass Samulowitz, mir als der klarste Kopf bekannt, geisteskrank sei, hatte mich nicht wenig erregt. Ich setzte mich zu ihm und redete ihn freundlich an. Er achtete anfangs darauf gar nicht, sondern brütete unablässig in sich hinein. Ich wusste nichts von den Umständen, die seine Erkrankung herbeigeführt hatten, und sprach deshalb auch ohne Bedenken meine Freude darüber aus, dass er nun doch eine so gute Pfarre erhalten habe. Das regte ihn sofort auf. Er schien einen sehr schmerzhaften Gedanken[96] herumzuwälzen und nur noch misstrauisch abzuwägen, ob er sich mir eröffnen dürfe. Dann aber fasste er meine Hand, rückte ganz in meine Nähe und zischelte mir zu: »Und ich kann sie nicht annehmen!« – »Warum nicht?« fragte ich verwundert. »Ich kann nicht – ich darf nicht,« antwortete er, offenbar aufs schmerzlichste gepeinigt, »ich würde die Seelen aller Gläubigen vergiften – ich glaube nicht an den Teufel.« Ich fing an zu begreifen. »Aber Sie glauben an Gott?« entgegnete ich. Er lächelte und zuckte die Achseln. »Das ist nichts,« sagte er. »Wer die Kanzel besteigen will, muss an den Teufel glauben. Ich kann nicht hinauf. Soll ich lügen? Nein, nein, ich habe den rechten Glauben nicht.« Es war ganz vergeblich, ihn davon abzubringen. Immer tiefer redete er sich in sein Elend hinein. Nach einem Leben voll so schwerer Entbehrungen, so mühseliger Arbeit endlich ganz nahe dem Ziel sein, nur zugreifen dürfen und – nicht können! Eine solche Pfarre! Es gebe in Ostpreussen nicht viele mit gleich grossem Einkommen. Wenn er nur den Scheffel Roggen ganz mässig zu so und so viel im Durchschnitt annehme, kämen einige tausend Thaler jährlich heraus. Und die sonstigen Einkünfte ... Er könnte das Geld ja gar nicht verbrauchen. »Und nun denken Sie, dass meine alte Mutter alle die Jahre mit mir gehungert hat, und plötzlich könnte sie in Wohlhabenheit leben, sich jeden Wunsch erfüllen – für meine kranke Schwester wäre gesorgt. Und ich kann nicht auf die Kanzel.« Er rechnete und rechnete immer wieder, weinte, wimmerte kläglich und kam auf seine ersten Worte zurück: »ich glaube nicht an den Teufel«.

Alle meine Bemühungen, seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben und ihn von seiner Wahnidee abzubringen, waren verschwendet. Auf einer Station mit längerem Aufenthalt erfuhr ich von seinem Begleiter, was geschehen war. Der alte Kandidat, der längst jede Hoffnung aufgegeben hatte, noch einmal als Geistlicher thätig zu sein, mochte[97] seiner freigeistigen Anschauungen wegen selbst Bedenken getragen haben, ob er der geeignete Mann für ein Seelsorgeramt nach den Anforderungen der geistlichen Vorgesetzten sein könne, die er als sehr orthodox kannte. Sein Gewissen sträubte sich dagegen, ein positives Bekenntnis abzulegen, das er nur mit inneren Vorbehalten gelten lassen konnte. Nur widerwillig und mit Rücksicht auf seine Mutter und Schwester entschloss er sich auf Zureden seiner Freunde zu dem Kolloquium. Hierbei prüfte ihn nun einer der Konsistorialräte auch auf den Teufelsglauben. Er gab eine ausweichende Antwort, indem er darlegte, was die Meinung der Kirchenlehrer zu verschiedenen Zeiten gewesen sei. Man begnügte sich damit, aber jener Konsistorialrat, welcher den Vorsitz führte, sagte ihm am Schluss, man könne ihn nicht hindern, die ihm angebotene Pfarre zu übernehmen und die Kanzel zu besteigen, man mache ihn aber verantwortlich für alle die Seelen, die seine Irrlehre ins Verderben bringe. Dies hatte der gute und gewissenhafte Mensch sich so zu Gemüt genommen, dass er seitdem alle Heiterkeit verlor, sich mit beständigen Zweifeln plagte und endlich in die Wahnidee verfiel, er könne die Stelle nicht annehmen, da er den notwendigen Teufelsglauben nicht teile. Seine hochherzige Patronin hoffte noch auf Gesundung und liess ihn in eine Anstalt bringen. Er ist dort aber nach mehreren Monaten in geistiger Umnachtung gestorben.

Das stundenlange Zusammensein mit dem unglücklichen Menschen machte auf mich den tiefsten Eindruck. Sein trauriges Schicksal erweckte nicht nur mein Mitleid in ungewöhnlichem Grade, sondern lenkte sofort auch mein Nachdenken auf die Frage, ob hier nicht der Kern eines verwertbaren dramatischen Stoffes gefunden sei. Diese Frage beschäftigte mich innerlich weit mehr, als die jetzt viel dringendere, ob meine Vorbereitungen zum Examen genügen könnten. In dem Hause in der Kanonierstrasse, in dem ich ein Zimmer gemietet hatte, wohnten noch mehr junge Juristen,[98] die kurz vor dem Examen standen. Sie paukten unablässig die schwierigeren Materien durch, indem sie einander Regeln und Ausnahmen abfragten, wie sie in einem damals sehr berühmten Repetitorium zusammengetragen waren, und fühlten sich jeden Abend unsicherer und verzweifelter. Ich büffelte natürlich mit, um nicht leichtsinnig zu erscheinen. Einige Stunden des Tages wenigstens hielt ich mich aber stets frei und ging meine eigenen Wege. Am 9. Mai, dem Tage vor dem Examen, erklärte ich es für Selbstmord, noch ein Buch aufzuschlagen oder ein juristisches Gespräch zu führen. Am Abend schlug ich vor, in eine Kunstreiterbude zu gehen, um den ganzen gelehrten Wust eine Weile aus dem Kopf zu bringen. Nicht ohne Bedenken wurde zugestimmt und wir amüsierten uns dann sehr gut. Ich bin überzeugt, dass ich zum besten geraten hatte.

Das Examen wurde in einem der Sitzungszimmer des Kammergerichts abgehalten. Von den Vorgängen bei demselben weiss ich so gut wie nichts mehr. Ich erinnere mich nicht einmal, wer die Examinatoren waren, und ebenso wenig, was gefragt wurde. Ich wusste es, glaube ich, schon am nächsten Tage nicht mehr. Das Fazit war, dass ich bestanden hatte und des mündlichen Vertrags wegen (man bekam dazu kurz vorher ein Aktenstück zugeschickt), sogar besonders belobt wurde. Mein erster Gang war aufs Telegraphenamt, meiner Braut die gute Botschaft zu senden. Dann wurden Briefe geschrieben, und nun fühlte man sich voll berechtigt, Berlin zu gemessen.

Das schriftliche Examen freilich stand noch aus. Aber es schloss sich nicht unmittelbar an das mündliche an. Man hatte regelmässig ein paar Wochen zu warten, bis man die Akten zum Referat zugeschickt erhielt. Es liess sich daher nichts versäumen, wenn ich mich auch von Berlin zeitweilig entfernte. Nun hatte mir mein Onkel Marenski beim Abschied ein ansehnliches Geldgeschenk gemacht, und ich beschloss, dasselbe für einen Ausflug in die sächsische Schweiz[99] und nach Thüringen zu benutzen. Theodor Quedenfeld begleitete mich. Es sollte mit möglichst geringem Kostenaufwand möglichst viel gesehen werden. Wir hatten uns deshalb vorgenommen, nur die weiteren Strecken mit der Eisenbahn zu fahren, im übrigen Fusswanderungen zu machen. So meinten wir jeder mit dreissig Thalern etwa zehn Tage lang ausreichen zu können. Es gelang uns auch.

Wir fuhren mit einem Abendzuge nach Dresden und langten dort nach Mitternacht an. Nun war gleich guter Rat teuer, wo wir Logis finden sollten. Grosse Hotels mussten vermieden werden; wir liessen deshalb die Hotelwagen sämtlich abfahren. Auch die Droschken entfernten sich eine nach der andern mit ihrer Passagierfracht oder ohne dieselbe. Wir schlenderten die Strasse entlang, auf der sich der meiste Verkehr gezeigt hatte, und blickten rechts und links nach den Häusern aus, deren Fenster teilweise noch erleuchtet waren, in der Hoffnung, auch ein vertrauenswürdiges Gasthaus zu treffen. Aber jedesmal versagte uns der Mut einzutreten, um unser Portemonnaie in Gefahr zu bringen. So gelangten wir zur Elbbrücke und setzten über dieselbe unsern Weg noch eine weite Strecke fort. Die Häuser mit hellen Fenstern wurden immer seltener, die Strassenlaternen waren bereits grösstenteils ausgelöscht und wir hatten keine Ahnung davon, wo wir uns eigentlich befänden. Es hatte längst ein Uhr geschlagen, als wir von einer Nebengasse her Tanzmusik hörten. Wir bogen dorthin ein, und trafen glücklich einen Nachtwächter, der uns auf unser Befragen, ob man dort billig logieren könne, die einigermaassen tröstliche Auskunft gab, es sei der »Stern« eigentlich wohl nur ein Tanzlokal, aber die Leute nähmen allenfalls auch einmal Nachtgäste auf. Die dicke Wirtin wurde herausgeholt und mit unserem Anliegen bekannt gemacht. Sie erhob zuerst Schwierigkeiten: das Zimmer sei schon besetzt. Endlich wollte sie auf unser Bitten doch zusehen, was sich thun liesse und entfernte sich. Wir mussten im Garten warten. Nach einer[100] langen Weile kam sie wieder und meinte, sie könnte uns unterbringen, wenn wir das Zimmer noch mit einem dritten Schlafgast teilen wollten und der eine von uns mit dem Sofa vorlieb nähme. Morgen könnten wir das Stübchen mit zwei Betten ganz für uns haben. Wir gingen auf alles ein und losten um Sofa oder Bett. Mir fiel das Sofa zu, und das war mein Glück. Denn als mein Gefährte sich in sein Bett legte, schnellte er sogleich wieder mit dem Ruf auf, es müsse eben jemand daraus aufgestanden sein, weil es noch warm wäre. Bequem war das Sofa nun freilich auch nicht, aber die Müdigkeit liess mich trotz der fortdauernden Tanzmusik bald einschlafen. Am andern Tage wurde uns das Dachstübchen wirklich ganz sauber hergestellt, unter den Linden im Garten liess sich gut Kaffee trinken, und so blieben wir denn die zwei oder drei Tage, die wir für Dresden bestimmt hatten, und gratulierten uns beim Abzuge zu der sehr billigen Zeche.

Natürlich wurde in Dresden alles gesehen, was zu sehen war, ohne dass es Geld kostete. Auch den Schillererinnerungen gingen wir nach. Dann fuhren wir mit dem Dampfboot bis Strehlen und begannen unsere Wanderung von dem Uttewalder Grund an. Mit dem Riesengebirge schien mir freilich die sächsische Schweiz sich nicht vergleichen zu können, aber die schroff abfallenden, grauen, von grünen Tannen erkletterten Sandsteinmassen zu beiden Seiten der Thäler und die Ausblicke von den Höhen hinab auf die Elbe übten doch grossen Reiz. Und es war alles so hübsch beisammen, man hatte gar nicht lange zu laufen, um wieder auf einen interessanten Punkt zu treffen. Die Bastei, Winterberge, Kuhstall, Prebischthor – wer hat sich nicht an ihnen erfreut! Und nun nach glücklich überstandenem Examen im Vollgefühl der Freiheit zu schönster Maienzeit – unvergessliche Tage!

Dann nach Dresden zurück und gleich über Leipzig nach Weimar. Dort wurde in Schiller und Goethe geschwelgt.[101] Nun zu Fuss über Rudolstadt, Schwarzburg, Paulinenzelle, Ilmenau, Kickelhahn, Inselsberg, den Rennsteig, Ruhla, auf die Wartburg und Eisenach zu. Es war damals noch so lächerlich billig in Thüringen, wenn man zu Fuss ging und mit einem einfachen Nachtlager vorlieb nahm. Auf der Rückreise wurde noch in Erfurt angehalten, dessen Dom und Lutherkirche besichtigt. Ich brachte ein Büchelchen mit Bleifederzeichnungen nach Berlin mit.

Bald nach der Rückkehr trafen denn auch die Akten ein. Ich bekam einen gelinden Schreck, als mir etwa 30 mächtige Volumina auf die Stube geschleppt wurden. Zum Glück sah die Sache schlimmer aus, als sie war. Es handelte sich um ein Ablösungsverfahren, das bis in die dritte Instanz gelangt war, und die Mehrzahl der Fascikel bestand aus Beiakten der Verwaltungsbehörden. Dennoch hatte ich mehrere Wochen zu thun, um das weitläufige Material zu sichten, und das Referat konnte leicht zu lang oder zu kurz werden. Ich gab die Arbeit mit grosser Besorgnis ab; sie ist dann aber doch als ausreichend befunden.

Mich den ganzen Tag über mit ihr zu beschäftigen, war mir unmöglich. Ich plante also, wie schon auf der Reise, mein Schauspiel weiter, entwarf ein Szenarium und machte mich auch sofort an die Ausführung. So entstanden schon in Berlin die beiden ersten Akte von »Licht und Schatten«, wurden auch den Freunden vorgelesen und erregten deren lebhaftes Interesse. Die Mittelfigur ist ein junger, freigeistiger Theologe, namens Brunau, der in einen ähnlichen Konflikt gerät, wie mein Vorbild, ihn aber glücklich überwindet. Der Widersacher ist auch hier ein orthodoxer Konsistorialrat, der zugleich ein sehr weltkluger und wenig gewissenhafter Mensch ist. Seine Frau spielt mit einem scheinheiligen Kommerzienrat an der Börse. Die Tochter Hortensie liebt den Kandidaten und der Papa protegiert ihn deshalb, bis sich's ermittelt, dass er mit einem armen[102] Mädchen, der Gesellschafterin einer Baronin v. Wallner verlobt ist. Im Kolloquium stellt der Konsistorialrat ihm die Falle, indem er ihn auf den Teufelsglauben examiniert. Brunau wird an seinem geistlichen Beruf irre, beschliesst sich durch Unterricht weiter zu unterhalten und heiratet seine Marie. Er ist Dichter und hat ein Theaterstück geschrieben, in welchem der Held durch die Verfolgung der Dunkelmänner bis zum Wahnsinn getrieben wird. Daran nimmt der Konsistorialrat Veranlassung, die Behörde gegen ihn zu hetzen, die ihm nun auch die Schule schliesst. Die Not droht seinen Geist zu zerrütten. Nun bietet ihm die Baronin ihre Patronats-Pfarre an. Er könnte aller Sorge überhoben sein, glaubt die Kanzel aber nicht besteigen zu dürfen, da es ihm an den rechten Glauben fehle. Die Heilung wird dadurch herbeigeführt, dass sein Stück zur Aufführung gelangt, er seinen Helden dem Wahnsinn verfallen sieht und nun moralisch-kritisch gegen die Notwendigkeit eines solchen geistigen Verfalls mit Erfolg ankämpft. Er wird Pfarrer, und der letzte Akt giebt die Probe auf das Exempel, indem er ihn nach seiner ersten Predigt, für welche die Freunde gefürchtet haben, in voller Gesundheit des Geistes und Gemütes zeigt.

Das Schauspiel hat einen modernen Charakter. Die Tendenz ist leider nach vierzig Jahren noch nicht veraltet. Als bald nach dem Entstehen der Prinzregent sein schwerwiegendes Verdikt gegen die maaslos ins Unkraut geschossene Pfafferei sprach, konnte man an eine Wendung zum besseren glauben, und so stark war die Wirkung, dass es mir, nachdem ich 1859 vergeblich angeklopft hatte, 1861 ohne Mühe gelang, in der Deckerschen Offizin einen Verleger für dieses gegen die religiöse Heuchelei gerichtete, die protestantische Freiheit des Bekenntnisses stark betonende Stück zu finden. Technisch haftet ihm der Mangel an, dass fast jeder Akt Verwandlungen der Szene erforderlich macht. Doch ist es 1859 in Königsberg, bald darauf auch in Hamburg (Stadttheater[103] und Vorstadttheater) und an anderen Orten aufgeführt worden, nachdem ich deshalb mit dem damals sehr einflussreichen Agenten Michaelson in Verbindung getreten war.

Die drei letzten Akte hatte ich in Königsberg geschrieben, sobald meine wissenschaftliche Examenarbeit (mehr eine Prüfung des juristischen Verstandes und auf wenigen Seiten erschöpft) abgegeben war. Im August 1858 wurde ich zum Gerichtsassessor ernannt.

Quelle:
Wichert, Ernst: Richter und Dichter. Ein Lebensausweis, Berlin und Leipzig 1899, S. 94-104.
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