Briefe Schellings

[108] Schelling an Luise.


München 24. August 1815


Den häuslichen Unruhen und einem Gedräng von Geschäften, die mich die letzten Wochen zugleich betroffen, bitte ich Sie, es zuzuschreiben, daß ich nach einer langen Briefschuld auch auf Ihren letzten so freundlichen und mir erfreulichen Brief, länger als sich gebühren will stillgeschwiegen. De wan hätte ich mehr Ursache zur Eile gehabt, als bey dieser Veranlassung, der freudigen Botschaft, die Sie mir auf so ergreifende Art mitgetheilt und die meine ganze Theilnahme erregt hat? Zuerst also meinen Dank für Ihren zutraulichen Glauben, daß alles was Sie, was Ihre lieben Kinde betrifft, von mir als Wohl oder Weh verwandter und i ig verbundener Freunde gefühlt wird. We aber der erfreulichste Gegenstand für Gefühl und Phantasie ein reines gutes Mädchen im Augenblick Ihrer Verlobung ist, so kö en Sie sich denken, mit welcher Lebhaftigkeit ich mir das Bild Ihrer holden E ia und die Freude der Eltern vergegenwärtiget! Nehmen Sie, theureste Schwägerin, dieß glückliche Ereigniß als ein Unterpfand dafür, daß Hi ilische über Ihr, und der Ihrigen Glück wachen und früheres Leid in desto größere Freude verwandeln. We der Verlobte unsrer glücklichen E ia, so darf ich sie ja ne en, mich mit einschließend, Hr. Welker ist, den ich als Übersetzer des Aristophanes und Ke er der griechischen Literatur (da ich von Jurisprudenz nichts weiß) vorlängst geachtet: so darf diese Verbindung, zumal in jetzige Zeit, als eine höchst glückliche Fügung betrachtet werden, wie sie nur für Lieblinge der Hi iel sich vorbehält. Was mich betrifft, muß mit der Freude das Bedauren sich vermischen über die große Entfernung, die auch meiner Armuth nicht erlaubt, die überglückliche Braut mit irgend einer Kleinigkeit zu schmücken. Inzwischen sei es Ihnen überlassen, ihr den alten Beka ten und halbjährigen Mit-Erzieher auf's Angelegenste zu empfehlen, ihr seine Freude mitzutheilen und die fro ien Wünsche, die vom Papier nur kalt ansprechen, mit der ganzen Wärme meines Gefühls in Ihr Herz überzuströmen. Früher oder später werden wir uns doch im Leben begegnen, und an gegenwärtigem Glück wie an vergangener Freude uns herzlich zusa ien erlaben.[109]

Die häuslichen Unruhen, von denen ich im Anfang schrieb, wurden durch die übrigens glückliche Geburt eines zweyten Sohnes verursacht, mit dem Anfangs dieses Monates meine gute Frau mich erfreute. Ihr müssen Sie es schon zu guthalten, daß sie Ihnen noch i ier nicht geschrieben. Das Hauswesen und die Besorgung ihres Erstgebohrnen, nebst dem wie Sie sich denken kö en sehr starken Briefwechsel nach Gotha lassen Ihr für Briefe wirklich so gut wie keine Zeit; alle ihre ehmalige Freundi en müssen sich darüber beklagen. Von Julchen dagegen, die während des hiesigen Aufenthalts freylich [?] zu zerstreut war um ordentlich zu schreiben aber mit dem festen Vorsatz wegreiste, Ihnen gleich von Gotha zu antworten, ist diese Unterlassung sehr unartig. In diesem Augenblick ist sie zu Cassel und so kan ich ihr auch den ihr deßhalb zugedachten freundlichen Verweis nicht wohl zuko ien lassen. Mein nunmehr älterer Knabe ist herrlich gediehen; die Leute finden ihn allerliebst und der Vater ka dem Urtheil nicht wohl widersprechen.

Von A.W. Schlegel weiß ich nichts seit der Flucht aus Paris. Pfaff hat mir einige allgemeine Nachrichten von Ihrem Befinden mitgetheilt; ich gestehe Ihnen aber auch, daß ich mich genauer nicht erkundigt, weil ich mich überhaupt mit ihm nicht sonderlich tief eingelassen. Der wesentlichste Wunsch, der mir für Sie jetzt übrig bleibt, ist daß Wiedema s Gesundheit sich mehr und mehr befestigen möge. Gerne drückte ich wieder den Wunsch aus, daß er zu uns versetzt würde, wenn nicht in dem Augenblick selbst eine in diesem Monat beispiellose Kühle mich eri erte, daß zwischen den Climaten Deutschlands ein geringer Unterschied und das Leben dießeits der Alpen, physisch geno ien überall nur ein halbes oder Viertels-Leben ist. Grüßen Sie Wiedeman von mir aufs Herzlichste und Freundschaftlichste. Und so leben Sie wohl, glückliche Mutter, theure Freundin, des lebhaftesten Antheils an Ihrem Glück und unveränderlich treuer Freundschaft versichert von

Ihrem

ergbsten Schwager

Schelling.
[110]

[Im Besitz der Universitäts-Bibliothek Kiel].

Von Schelling. Leider ist die Unterschrift abgerissen zum verschenken. L.W.


München 28. März 1818.


Tausend Dank, liebste Schwägerin, daß Sie durch Ihren gütigen Brief mir die Entschuldigung erleichtern, die mir schon lange genug auf der Seele lag. Erlauben Sie nun, daß ich zuerst berichte, wie es mit dem Auftrag von Wiedema gegangen, und sey'n Sie da meine Fürsprecherin bey ihm. Seinen Brief an unsern König übergab ich damals gleich unserm Geheimen Rath v. Ringel, der alle Privat-Geschäfte des Königs besorgt und dessen volles Vertrauen hat. Er versprach, sogleich den Brief an den König zu befördern, der damals abwesend war, u. ich zweifelte indeß nicht, daß Wiedema Antwort erhalten, bis vor ohn gefähr einem Monat ich zufällig Herrn v. Ringel deßhalb fragte u. nun erst i e wurde, daß unter so vielen andern Geschäften, vielleicht auch weil der König eben verreist war, die ganze Sache liegen geblieben war. Dieß hätte ich nun freylich auf der Stelle schreiben sollen, aber außer jener allgemeinen Verdrossenheit zum Briefschreiben, die Sie, l. Louise, für eine allgemeine Eigenschaft der Gelehrten erklären, kamen noch eine Menge Arbeiten verschiedener Art, die mich theils nöthigten theils verleiteten, diesen Brief von Posttag zu Posttag aufzuschieben. Bitten Sie nun erstens bey Wiedema für mich um Nachsicht wegen dieser (ich ka es selbst nicht läugnen) höchst nachlässigen Betreibung seines Auftrags, soda ersuchen Sie ihn, mir einen zweyten Brief an den König anzuvertrauen, den ich dan gewiß so besorgen werde, daß die Antwort nicht ausbleibt; nur soll er ihn bald schicken, weil unser König im So ier gewöhnlich in ein Bad reist. Mit alle diesem, ich fühle es wohl, ist nicht gut gemacht noch entschuldigt, daß ich so u. werthe nahe Freunde so lange Zeit ohne alle Nachricht, ohne die geringste Bezeugung meines Antheils an ihrem Ergehen und Befinden gelassen habe. Sollte ich Ihnen, l. Louise, dieß einigermaßen erklären, so müßte ich Ihnen den ganzen Stand meiner Arbeiten, welche fast den ganzen Menschen in Anspruch nehmen, im Verhältniß zu meiner hiesigen vieler Zerstreuung ausgesetzten und bey weitem weniger als sonst ununterbrochne Muße[111] verstattenden Lage auseinandersetzen. Wenn sich dieses nun auch nicht, wie ich hoffe, einmal ändern solte, so glauben Sie mir fest, liebste Schwägerin, daß ich mich nicht verändert habe, daß mein Gefühl für Sie, meine Anhänglichkeit an Sie u. die Ihrigen nie aufhören ka , wie auch Sie mich zu meiner größten Freude versichern, daß ich in Ihrem Andenken stets meinen Platz behaupten werde. Was die Briefe von Carolinen betrifft, so schmerzt es mich, aber ich ka für den Augenblick nicht anders, als sie Ihnen versagen. Es ist dieser Briefschaften eine solche Menge, und sie befinden sich, wie eine oberflächliche Untersuchung mir schon gezeigt hat, in solcher Unordnung, daß ich wenigstens 14 Tage brauchen würde, die von ihnen verlangten auszusuchen; dabey wär' es nöthig, fast alle mehr oder weniger zu lesen. Liebste, beste Louise, dazu hab ich schlechterdings die Zeit nicht, auch kö te es ohne ma ichfaltige Gemütsbewegung nicht abgehen, der ich mich in diesem Augenblick von Arbeiten, die, wie gesagt, meinen ganzen Geist u. mein ganzes Gemüth fodern nicht aussetzen darf. Es wird die Zeit ko ien, da ich dieses Geschäft unternehmen ka , und ich werde keinen Augenblick anstehn, die an Sie gerichteten Briefe Ihnen zu übersenden, vorausgesetzt daß Sie (was sich ohnedieß versteht) alle Fürsorge nehmen, daß diese Briefe niemals in andre Hände ko ien kö en, de darüber habe ich einen letzten, allgemeinen Auftrag der lieben, herrlichen Seele, den ich gewissenhaft beobachten will. Fassen Sie Sich also deßhalb in Geduld, da die Erfüllung Ihres Wunsches in diesem Augenblick eine wahre Unmöglichkeit ist.

Dank Ihnen auch für die im letzten Brief gegebenen Nachrichten von Ihren l. Kindern. An [Emmas?] Glück nehme ich den herzlichsten Theil; oft habe ich mir [abgerissen] der viel in Ihrem Hause [abgerissen] so sind die häuslichen ganz, wie ich sie wünschen ko te. Ich habe eine sanfte, wohlgesi te und häusliche Frau, 3 Kinder, zwey Knaben u. ein Mädchen (das jüngste). An einem vierten ist auch nicht mehr zu zweifeln, Sie sehen, daß ich die Zeit ziemlich einbringe; die Kinder sind alle wohl, gesund, kräftig, der älteste Knabe und das Mädchen besonders viel versprechend. Auch außerdem befinde ich mich leidlich u. so gut, als es in dieser Zeit seyn ka ; besser werde ich mich befinden, we ich erst die oft erwähnte Arbeiten vom Hals habe. Da ich fast ohne Amtsgeschäfte[112] bin u. insofern einer großen Muße genieße, habe ich eine Arbeit unterno ien, die mich so weit geführt, daß ich sie nun selbst kaum noch bewältigen ka : daher habe ich lange nichts drucken lassen, u. hoffe mit desto Mehreren u. Größerem, einem ganzen zusammenhängenden Werke, auf Einmal zu ko ien u. zu beweisen, daß ich noch lebe u. auch in geistiger Hinsicht noch der Alte – oder vielmehr etwas Besseres bin. We dieß alles gethan ist, werde ich auch wieder freyer athmen. Wären wir nur nicht so weit von einander, und dürfte ich mir mit der Hoffnung schmeicheln, Sie, liebste Louise, mit Ihrem Man noch einmal in diesem Leben zu sehen! Ich werde wohl nie in Ihre Gegenden ko ien; [möglich?] ist aber, weerst die Kinder alle ausgeflogen [abgerissen] Sie noch einmal mit Wiedemann [abgerissen]


München 9. März 1840.


Der Brief, theuerste Schwägerin, mit dem Sie mich erfreut haben, ist vom 9. Febr. datirt, aber, wie mir das Kieler Postzeichen auf der Addresse zeigt, erst am 24 Febr. zur Post gekommen. Wenn daher zwischen dem Datum Ihres Schreibens und dem meiner Antwort ein voller Monat liegt, so ist dieß nicht meine Schuld. – Vorletzten Sommer begegnete mir Prof. Pfaff aus Kiel, nachdem er sich schon mehrere Tage hier aufgehalten hatte, am Fuß meiner Treppe in dem Augenblick, als ich mit einem andern Fremden, den ich zu einer Landpartie eingeladen hatte, in den Wagen steigen wollte, also nicht wohl zurückkonnte. Ich ließ mich durch seine Versicherung beruhigen: er würde noch einige Tage hier verweilen; als ich aber gleich am folgenden Tag ihn aufsuchen wollte, mußte ich hören, daß er am Morgen desselben Tages abgereist war. So kam ich um die Freude, Ihnen einige Zeilen durch ihn zu schicken, oder wenigstens mündliche Botschaft ihm aufzutragen, die Sie meiner fortdauernden Anhänglichkeit und meines treuen Andenkens versichert hätte. In Betreff der Briefschaften, wegen deren Sie mir damals schriben, kann ich Sie versichern, daß alle Anstalten getroffen sind, sie wenigstens nie in fremde Hände kommen zu lassen. Irre ich mich nicht, so sind sie schon vor Jahren verbrannt worden, doch werde ich, sowie[113] einmal meine Zeit eine Revision meiner sä itlichen Papiere erlaubt, mich näher darnach umsehen und im Fall sich noch solche finden die Sie zu haben wünschen, diese sofort übersenden. Ich spreche von meiner Zeit, denn Sie können sich schwerlich vorstellen, wie sehr mir diese beengt ist. Die Obliegenheiten eines doppelten, ja dreifachen Amtes, die Sorge für eine zahlreiche Familie (der jüngste Sohn hat eben erst diesen Winter seine Universitäts-Studien angetreten), die unabweislichen Ansprüche der Gesellschaft in einer vielbewegten, immer Neues herbeiführenden, von Fremden wimmelnden Stadt; die Stunden endlich, die ich wissenschaftlichen und schriftstellerischen Arbeiten zuwenden muß, wenn ich die Resultate eines langen Denkens und Forschens nicht mit mir aus der Welt nehmen will; dieß alles nöthigt mich zu der ängstlichsten Haushaltung mit meiner Zeit, und ist die Ursache, daß so nahe verbundene Freunde wie Sie so selten von mir ein Lebenszeichen erhalten.

Ich antworte nun auf die Frage wegen Augustens Monument, das mir seit so langer Zeit am Herzen liegt, ohne daß ich in der Sache etwas thun konnte. Sie erinnern sich vielleicht, daß die Kosten der Anfertigung von einer Summe bestritten werden sollten, welche Caroline A.W. Schlegel'n geliehen hatte. Diese Summe wurde sofort verwendet, um Thorwaldsen, bei welchem Wiedemann die Bestellung gemacht hatte, zu bezahlen. Die Kosten des Transports und der Errichtung an Ort und Stelle sollten durch die Interessen jener Summe gedeckt werden. Als ich aber diese von A.W. Schlegel verlangte, fand sich, daß er sich zu keinen Interessen anheischig gemacht hatte. Es widerstrebte mir von ihm zu verlangen wozu er sich nicht verpflichtet hatte, und die Hoffnung, einmal selbst die nöthige Summe erübrigen zu können, ging bis jetzt nicht in Erfüllung. Ich habe es seitdem oft bedauert, Wiedemann in Bezug auf die Bestellung bei Thorwaldsen, der übrigens ganz ohne Schuld ist, nachgegeben zu haben, da sich alles viel leichter, einfacher und mit weniger Umständen hier hätte bestreiten lassen, wo man auch die Errichtungskosten gleich mit einbedingen konnte; de was Thorwaldsen gefertigt sind nur die zwei Basrelief's und die Büste; die Säule aber, welche diese zu tragen besti it ist, muß ebenfalls von einem vorzüglichen[114] Künstler gefertigt, und hier wenigstens gezeichnet werden, wenn man anders an Ort und Stelle jemand findet, der sie gut genug ausführt.

Lassen Sie mich hier einen Gedanken äußern, der sich mir seitdem oft wieder dargeboten hat. Gleich als zuerst von de Monument die Rede war, erklärte sich Goethe ganz entschieden dagegen, es unter landfremden Menschen aufzustellen. Er rieth damals zu einem Gemälde, das in der Familie von Kind zu Kind bewahrt werden sollte. Eben dieß war zuletzt Carolinens Absicht; es war dazu schon einmal Schick ausersehen worden. Nun sind freilich statt dessen Basreliefs und eine Büste in Marmor verfertigt. Wenn ich aber überlege, welch' ein Schatz das Werk, dessen Hauptbestandteile ein so großer und berühmter Meister gefertigt, für eine Familie auf ewige Zeiten seyn würde; wie – den Wirkungen einer zerstörenden Witterung entzogen und in i ier gleicher Schönheit erhalten – dieses Denkmal als bleibendes Familien-Heiligthum auf Verwandte sich forterbend das Andenken des lieben Kindes sichrer und reiner bewahren würde, als wenn man es dem Publicum hingäbe: so möchte ich wohl, auf Goethe's Vorschlag zurückgehend, Sie fragen, ob es Ihnen (zumal es der letzten Absicht der sel. Caroline selbst gemäß wäre), nicht zweckmäßig schiene, wenn Sie als nächste Verwandte den Schatz zu Sich nähmen, um ihn einst derjenigen Ihrer Töchter, die Ihnen durch Empfindungsweise und äußere Lage dazu die geeignetste scheint, zurückzulassen, und dafür zu sorgen, daß er von Kind zu Kindeskind in der Familie stets treu und heilig bewahrt würde. Der viel leichtere Wassertransport wäre dabei zwar nur eine Nebenrücksicht, indeß, wenn wir uns dazu vereinten, jedenfalls leichter zu bewerkstelligen, als der langwierige auf der Achse von Rom bis an die nördliche Gränze des Königreichs Baiern.

Ich danke Ihnen herzlich für die Nachrichten, die Sie mir von Sich und von Wiedemann geben, und freue mich, daß dessen Zustand wenigstens leidlich, Sie selbst aber noch rüstig und kräftig sind. Ich vermisse aber sehr, daß Sie mir nichts von Ihren Kindern schreiben. Doch sollten Sie mir einmal eine vollständige Nachricht geben von denen, die ich kenne und die ich nicht kenne. Emma würde sich meiner wohl nicht mehr erinnern, wenn ich sie irgend einmal wieder sehen sollte? Mit[115] einem der nächsten Postwagen erhalten Sie mein Bildniß, lithographirt. Das Gemälde, von dem ich selbst nur eine Copie besitze (das Original ist im Besitz unsres Kronprinzen) wird zwar wegen Ähnlichkeit und Ausdruck sehr gerühmt, aber in der etwas schnell gemachten Lithographie ist davon ziemlich viel verloren gegangen, doch hoffe ich, Sie sollen mich noch darin erke en.

Pauline grüßt Sie auf's Beste; Tante Julie ist in Gotha, ich werde ihr aber schreiben lassen, daß sie Ihnen antwortet.

Ihr

treuergebner Schwager

Schelling.


München 1. April 1840.


Meinen herzlichsten Dank, liebste Schwägerin, für Ihren ausführlichen Brief, besonders die Nachrichten von Ihren Kindern, die mir wenigstens einigen Ersatz dafür gewähren, daß ich außer Emma, und dem Sohn, den wir hier gesehen schwerlich je eines derselben in dieser Welt noch begegnen werde. Ist der Sohn, der uns hier besucht hat, der einzige? Dann bin ich reicher mit Söhnen gesegnet; der älteste ist Prof. jur. extraord. in Erlangen, was freilich bei dem geringen Gehalt eine noch sehr precäre Existenz ist; der mittlere ein tüchtiger Theolog, der sich in Wirtemberg gebildet und dort auch seine Carrière machen, in der Folge wohl auch in der gelehrten Welt sich bekannt machen wird; der dritte eben auf die Universität übergegangen aber der am meisten versprechende. Bei dem mittlern Sohn fällt mir ein, daß Sie jetzt auch einen Wirtembergischen Theologen in Kiel haben. Ich habe sehr gewünscht, daß er an des sel., auch von mir höchst bedauerten, Olshausen Stelle nach Erlangen wäre gerufen worden, wo er, vorausgesetzt er hätte den Ruf angenommen, ohne den öden, traurigen Rationalismus zu fördern, von der andern Seite der engherzigen, beschränkten Orthodoxie, die dort selbst Olshausen das Leben verbittert hatte, einen kräftigen Damm entgegengesetzt hätte. Aber eben dieser war er unstreitig nicht erwünscht.[116]

Was nun die Angelegenheit des Monuments betrifft, so scheint es mir zweckmäßig, wenn kein dritter eingemischt, und die Verhandlung mir überlassen wird, der nach dem ersten Brief, den Wiedemann deßhalb von hier aus an Thorwaldsen geschrieben, über das ganze Geschäft allein mit ihm correspondirt hat, wie ich auch bei dem langen Aufenthalt, den er vor mehren Jahren hier gemacht hat, viel mit ihm darüber verkehrt habe. Bei dem freundschaftlichen Verhältniß, das sich hier zwischen uns gebildet, würde es ihm auffallend seyn, wenn ich nicht selbst sondern durch einen dritten mich an ihn wendete. So viel ich indeß weiß, hat er vor seiner Abreise von Rom alles in beste Ordnung gebracht und auch die zu dem Monument gehörigen Tafeln stehen nebst der Büste zur Absendung bereit. Doch werde ich zuvor noch deßhalb an einen vertrauten Freund in Rom schreiben, der mit Thorwaldsens Verhältnissen genau bekannt ist, um zu erfahren, in welchem Stand die Sachen sich befinden. Eben diesen werde ich auch ersuchen, die Absendung auf die sicherste und billigste Weise zu besorgen. Erst wenn ich dessen mich versichert habe, werde ich da selbst an Thorwaldsen schreiben, um die nöthige Anweisung an seinen Agenten von ihm zu erhalten. Die Frachtkosten zu Wasser können unmöglich sehr groß seyn. Setzen Sie indeß eine gewisse Summe fest, die Sie dafür bestimmen zu können glauben; was darüber ist, werde ich gern ungesäumt decken. Alles Übrige werde ich nach Ihrem Wunsche ebenfalls eifrigst besorgen. Mir bleibt das Bildniß der Mutter, wie des l. Kindes, letzteres jedoch leider unvollendet und fast nur untermalt, doch wie Sie sich eri ern werden sehr ähnlich! Beide Bildnisse sollen in meiner Familie vererbt und treu zum Andenken meiner Kindeskinder bewahrt werden. Ich habe oben vergessen Ihnen zu schreiben, daß ich nunmehr, obwohl sehr spät, auch Großvater bin. Meine älteste Tochter Caroline hat sich mit einem Herrn von Zech aus Gotha verheirathet, der seit 11/2 Jahren als Attaché der Kön. Wirtembergischen Gesandtschaft in Paris lebt, und dort vor einem Jahr eine Tochter geboren, welche demnach eine junge Pariserin ist. Meine zweite Tochter Clara scheint sich demnächst auch zu verheirathen, an einen jungen Mann, der Theilhaber und Mitdirigent eines ansehnlichen Handelshauses in Stuttgard ist. Für die jüngste,[117] Julie, liegt noch alles in der Zukunft, sie ist indeß liebenswürdig und anziehend, wie die älteste geistreich, die mittlere bei trefflichen Gesinnungen durchaus häuslich und sehr verständig.

Die Lithographie, von der ich nicht gleich einen Abdruck bekommen konnte, der mir gut genug war, folgt mit dem nächsten Postwagen.

Leben Sie nun wohl, geliebte Schwägerin, denn fast fürchte ich schon die Poststunde versäumt zu haben. Gott erhalte Sie noch lange, recht lange den lieben Ihrigen, Ihrer so schönen und zahlreichen Familie, und gebe Ihnen alles was ein frommes und ihm ergebnes Herz wünschen kann.

Mit treuer Anhänglichkeit

Ihr

innig ergebner Diener

u. Schwager

Schelling.


[Abschrift]

M. 15. Nov. 1840


Theuerste Schwägerin!


Bis jetzt ist keine Antwort von Thorwaldsen eingegangen. Ich weiß daß er nicht gern schreibt oder vielmehr mit der Feder wohl überhaupt nicht umgehen kann. In Rom hatte er immer einen Sekretär und unterzeichnete bloß; die Hülfe fehlt ihm vielleicht auf dem Lande wo er sich jetzt aufhält. Ich bitte ihn nicht mündlich drängen zu lassen, denn er wird leicht verdrießlich. Sollte er im Laufe des Winters antworten so werde ich ihm wiederschreiben.

Sie haben ganz richtig errathen, daß ich diesen Herbst die Bekanntschaft Welcker's in Bonn machen würde. Er war aber nicht hier um nach Griechenland zu reisen, sondern um die neue große Sa ilg gemalter Vasen zu studiren, welche hier seit einem Jahr sich aufgethan hat und für Kunst- und Alterthumsforscher allerdings von höchstem Interesse ist. Ich habe an ihm einen ungemein sanften, liebenswürdigen Mann gefunden, dessen Sitten und Character man liebgewinnt, während er durch Geist und Kenntnisse Achtung gebietet. Leider habe ich ihm aber nicht viel freundschaftliches erweisen können und im Gedränge des Abschieds, obgleich ich wußte daß er von hier nach Freiburg reiste, sogar unterlassen, ihn zu bitten, Emma und ihren Gemahl herzlich von mir zu grüßen. Vielleicht sind Sie nun so gütig in einem der nächsten Briefe dieß zu ersetzen.[118]

Es ist unglaublich, in welcher Zerstreuung man sich hier gleichsam beständig befindet durch die vielen Ansprüche, die an einen hier Lebenden theils an Ort und Stelle theils auch von Auswärtigen gemacht werden und oft genug sehne ich mich in die Stille einer kleinen Universitätsstadt zurück wenn ich gleich von der andern Seite die Vortheile eines Aufenthaltsorts wie der hiesige nicht verkenne. Wenn ich seiner Äußerungen mich recht erinnere so dürfen wir hoffen, Welcker zum zweiten Mal hier zu sehen, denn er wird im nächsten Jahr die Reise nach Griechenland unternehmen und dabei wohl den Weg über München nehmen.

Da Sie so freundlich meiner Familie gedenken, so will ich Ihnen melden, daß meine in Paris gewesene Tochter allerdings vorerst hier bleiben wird, und bis jetzt sogar mit ihrem Kind bei uns im Hause lebt, da ihr Mann Geschäfte halber nach Gotha gereist ist und vor December wohl nicht zurückkommen wird. Das Kind, höchst originell und feuriger als deutschgeborene Kinder zu seyn pflegen, gereicht uns zur höchsten Freude und bei kräftiger Gesundheit zu immerwährendem Ergötzen, dagegen hat meine Frau der hiesigen Epidemie auch ihren Tribut bezahlen müssen, und einen heftigen Anfall des tückischen Schleimfiebers, dennoch glücklich, überstanden. Mein ältester Sohn hat in diesen Tagen das Glück gehabt zum ordentlichen Professor mit einer wenigstens ausreichenden Besoldung ernannt zu werden auch war der Verlobte meiner zweiten Tochter einige Tage bei uns. Sie sehen daß es an Freudigem und Betrübendem nicht gefehlt hat.

Möge der Winter Ihnen und Wiedemann wenigstens erträglich seyn, besonders aber sein Leben auch länger, trotz der eingetretenen Schwäche unter der treuen Pflege von Frau und Kindern gefristet werden.

Pauline freut sich jederzeit Ihres Andenkens und erwiedert auf's Herzlichste Ihre Grüße.

Erhalten Sie immer ein freundliches und wohlwollendes Andenken

Ihrem

treu anhänglichen

Schwager

Schelling
[119]

[Zusatz:] Diesen an meine Großmutter mütterlicher Seits gerichteten Brief von dem Philosophen Schelling habe ich am 5.12.85 dem Dr. Leesenberg zu Woyenshof bei Woyens Nordschleswig zum Geschenk gemacht.


[Von dem folgenden Brief ist das oberste Viertel beider Blätter abgerissen.]


innern und äußern Beunruhigungen, unter denen ich die letzten Monate zubringen mußte. Der Ruf nach Berlin, der unter ganz besondern Umständen erfolgt und selbst Gegenstand einer diplomatischen Verhandlung geworden war, hatte so viele Besprechungen, Besuche, Hin- u. Hersendungen zur Folge, daß dadurch, indem die gewöhnlichen Geschäfte fort gingen, eine Zeitlang alle meine Zeit dadurch in Anspruch genommen war. Da ich einmal dieses zuerst erwähnen mußte, so erlauben Sie mir, liebste Schwägerin, daß ich Ihnen vollends sage, wie es zuletzt mit der Sache geworden. Allerdings war viel Bedenkliches dabei, einen Ruf nach Berlin unbedingt anzunehmen. Um nur das Nächste zu erwähnen, war nicht vorauszusehen, welche physische Wirkung auf mich in so vorgerückten Jahren eine so bedeutende Veränderung des Climas und der Lebensweise, eine Versetzung aus der elastischen Bergluft, in der ich hie zu leben gewohnt bin, in die Sumpf- und Sand-Luft Berlins haben würde. Dort alsdann unnütz und unthätig zu werden war ein unerträglicher Gedanke. Von der andern Seite standen wichtige Gründe, die mir eine gänzliche Ablehnung mißriethen. So hat sich denn als erwünschter [abgerissen]


mit manchen Beschwerden verbunden ... hatte gewiß, auch viel Erhebendes und ... [Vor-]theile mir darbietenden Reise, unter welchen ich nur den einen anführen will, meinen jüngsten Sohn, dessen Talente wie Herzens-Eigenschaften sehr viel versprechen, dort ein ganzes Jahr unter meiner unmittelbaren Aufsicht studieren zu lassen. Nichts weniger als unmöglich, daß ich, einmal so weit nach Norden versetzt einen Ausflug nach Hamburg, und von da alsdann gewiß auch nach Kiel unternehme, nicht der schönen Gegend und des herrlichen Anblicks der See wegen, sondern um Sie, liebste Schwägerin, noch einmal im Leben zu sehen.

Nachdem nun dieses, für Sie wie ich hoffe genügend besprochen ist, lassen Sie mich auf den Sie selbst betreffenden Inhalt Ihrer Briefe[120] zurückko ien. Das Bild, das Sie mir von den letzten Tagen Wiedemann's entworfen, der im Sterben begriffen war, indeß Sie entfernt von ihm auf eignem Schmerzenslager zurückgehalten wurden, hat mich sehr ergriffen. Indeß noch mehr fühle ich mich aufgefordert, Ihnen auf alle Weise zuzureden, daß Sie doch diese gichtischen Beschwerden nicht vernachlässigen. Sie hätten überhaupt während dieses So iers aus Kiel sich entfernen, die schöne Jahreszeit benutzen sollen, um in größerer Ferne Linderung Ihres Zustandes zu finden. Vielleicht haben Sie es gethan, und dieser so lang verzögerte Brief findet Sie nicht in Kiel.


wenn ich nicht glaubte, daß Wiesbaden Ihnen zuträglicher wäre. Glauben Sie meinen Erfahrungen, daß, schnell verlaufende Übel ausgeno ien, alle Medicin nichts hilft, und nur Mineralwasser u. Bäder ein aus den Fugen geko ienes menschlich-organisches Ganze wieder auf seinen Grundlagen befestigen und zurechtstellen.

Wenn ich recht verstehe, hat Wiedemann als Vorsteher des Entbindungs-Institus versäumt, die Zi sen eines bei der Staatsschulden Casse anliegenden Capitals der Anstalt einzufordern, auch als die Gläubiger nach längerem Stillstand der Zi szahlung, aufgefordert waren, unter Androhung des Verlustes, die Zi sen zu erheben. Hiedurch ist nun, wie es scheint, der Anstalt ein bedeutender Schaden zugegangen, und es ist als von etwas Möglichem die Rede, daß Wiedemann, oder jetzt seine Erben die Anstalt entschädigen müssen. Ich gestehe Ihnen, daß ich dieß nicht würde begreifen können. Anstalten dieser Art sind in der ganzen Welt privilegirt und genießen die Wohlthat der Restitution, und so wird es gewiß auch hier gehen, ohne daß man von Ihnen Entschädigung der Anstalt fordern kö te. Diß wäre eine allerwärts in Deutschland unerhörte Barbarei.


und die dazu gehörigen Reliefs ...

abgehen lasse, daß Sie keine oder ...

Kosten davon haben werden, an welchen [theil-]zunehmen ich mich übrigens nochmals erbiete. In der Voraussicht, nach Rom zurückzuko ien, hat er vorgezogen, die Absendung selbst zu besorgen, als sie einem Commissionär zu überlassen.
[121]

Ich muß jetzt schnell schließen, denn morgen reise ich mit meiner Frau, die Sie auf's herzlichste grüßt, nach Carlsbad und es ist noch so Vieles zu besorgen. Wenn Sie mir bis Ende Augusts noch einmal hieher schreiben, so findet mich der Brief; denn ich muß noch einmal zurückkehren, ob ich gleich in Karlsbad fast schon in Berlin seyn würde: aber wir wollten bei der Anfang Septembers bevorstehenden Verbindung unsrer zweiten, nach Stuttgard sich verheirathenden, Tochter nicht fehlen und werden also diese entweder hier oder in Stuttgard noch mitseyern.

Geben Sie mir ja, wo möglich, noch Nachricht von Ihnen hieher.

Leben Sie wohl, liebste Schwägerin, denken Sie zuweilen an mich und seyn Sie meiner fortdauernden Anhänglichkeit u. herzlichsten Theilnahme versichert.


München d. 17. Jun. 1841

Ihr

treuer Schwager

Schelling[122]

Quelle:
Wiedemann, Luise: Erinnerungen von Luise Wiedemann, geborene Michaelis, der Schwester Carolinens. Nebst Lebensabrissen ihrer Geschwister und Briefen Schellings und anderer, zum ersten Mal herausgegeben von Julius Steinberger, Göttingen 1929, S. 108-123.
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