I.

[7] Das erste Bild, das aus Schleiern und Nebeln der Vergangenheit aufsteigend sich mir zeigt – denn bei allem Zurückgrübeln finde ich nichts, was dahinter läge –, ist eine große Schüssel mit »Indianern«, auch »Mohrenköpfe« oder »Luccaangen« genannt. Meine Mutter saß mit ihrer Schwester am Kaffeetisch, auf welchem das Indianerlager sich befand, und die beiden, die Bierbrauersgattin und die Schafswollwarenerzeugersgemahlin, hatten sich viel zu erzählen von dem Jammer und Elend des irdischen Daseins. Ich aber stand in einem Winkel, sah mit sehnsuchtsvoller Andacht den Himmel voll Schaum und Schokolade vor mir offen und begriff diese Welt nicht –. Wie vermochte man von Unglück zu sprechen, wo das Glück mit einem Griff zu erreichen und in den Mund zu stecken war! – Nicht nur Träume, wie der böse Franz Moor meint, nein, auch Erinnerungen kommen manchmal aus dem Bauch. – Im Mittelpunkt des zweiten Erlebnisses, dessen ich mich entsinnen kann, steht eine grüne Birne. – Die Situation war nicht ganz undramatisch. Neben unserem Hause (in der Straßengasse der Vorstadt Alt-Brünn) hatte eine Obstfrau ihren ärmlichen Stand aufgeschlagen. Auch Birnen bot sie feil, das Häuflein für einen alten Kreuzer. Ach, nur eine davon, eine einzige – mir lief das Wasser im Munde zusammen! Mein um ein Jahr älterer Bruder sah meine Lüsternheit, und sein wahrhaft goldenes Herz faßte einen kühnen Entschluß: In der Abenddämmerung schlich er sich zu den Birnen, stibitzte von dem Verkaufstisch eine der ersehnten Früchte und brachte sie mir triumphierend. Aber die Erinnye folgte dem Schuldigen, nämlich die keifende Obstlerin, welche den[7] Dieb in einem von uns beiden erkannt zu haben glaubte. Die Straßengasse stand in dem Ruf, die bösesten Wuber Europas zu besitzen; man kann sich demnach vorstellen, mit welchem Geschimpfe die Beraubte zu meiner Mutter gestürzt kam. Die Frau Bierbrauerin behandelte die Sache mit magistraler Würde: Da mein Bruder leugnete, faßte sie ihre beiden Söhne bei der Hand, wie Schillers Isabella den Manuel und Cäsar, und führte uns vor die Anklägerin, die ununterbrochen kiff, wie Frau Schnips vor der Himmelstüre, mit der Aufforderung, den Missetäter zu bezeichnen. Die Keifende ließ ihre Triefäuglein nicht lange schweifen und kreischte, auf mich deutend: »Der Garschtige war's!« Welch angenehmer Geleitsbrief durchs Leben ein hübsches Gesicht sei, schon damals mußte ich es deutlich und handgreiflich erfahren. Groß und klein, Mensch und Mops – allen tut es wohl, verhätscheltes Schoßkind zu sein. Und das wird man als Kind allemal, wenn »einem was fehlt«! Man bekommt gute Worte und süße Bissen. Mir wollte nun – o Pech! – geraume Zeit rein gar nichts fehlen. Was tun? Hinter dem Garten unseres Hauses floß ein breiter Flußkanal. Da befand sich ein Brett, das die Mägde betraten, wenn sie Wasche zu schwenken hatten. Es war uns Kindern strengstens verboten, dem Brett auch nur nahe zu kommen; man warnte und drohte: »Der Wassermann holt dich!« Ich trotzte dem Befehl: ich wollte meme Krankheit, wollte den Zuckerüberguß des Muleids. Ich wählte einen häßlichen Novembertag, setzte mich aufs verbotene Brett, zog Schuh' und Strümpfe aus, steckte die Füße ins eisige Wasser und bat den lieben Gott um ein rechtes Krankwerden. Aber man weiß, wie eigensinnig der liebe Gott sein kann – er wollte mir justament den Gefallen nicht erweisen ... und auch der Wassermann – wie hätten die unglücklichen Eltern um das arme Kind gejammert! – suchte sich einen bessern Bissen als den kleinen dummen[8] Lausbuben. – Man hielt mich für ein heikles Pflänzchen und brachte mich darum aufs Land zu meiner guten Großmutter nach Steinitz (einem kleinen Dorf nahe dem berühmten Austerlitz), wo meine Großeltern die k. k. Posthalterei in Pacht hatten. Ich sehe es vor mir das zarte Weiblein mit den frommgütigen Augen, dem wie bräunlich getönten, schmalen Gesicht, mit so vielen Falten wie eine moderne »Stuartkrause«, dem lächelnd gekniffenen Mund, aus dem nie das kurze, hölzerne Tabakspfeifchen kam. Sie hatte mich sehr lieb; ich erinnere mich, wie sie mich, da ich einen Kinderausschlag hatte, zu sich ins Bett nahm und mir gütig zuredend die Nächte durch meine Hände hielt, damit ich nicht an mir herumreibe. Endlich sollte ich doch nach Brünn zurück. Meine Großmutter brachte mich selbst zur Stadt. Man wußte, wie ich an ihr hing, und daß ich mich bei ihrer Abreise an ihre Röcke klammern würde. Darum griff manzu einer List und setzte mich, als die Steinitzer Pferde vor den Wagen gespannt wurden, zwischen einen Hügel von Kuchen und Spielzeug. Aber – ich weiß nicht, was es war – da war etwas nicht, wie es sein sollte – – –. Ich wurde aufmerksam, stutzte – und begriff! Auf, weg von der zuck'rigen und lackierten Herrlichkeit – aus dem Zimmer, ohne Hut, die Treppe hinab, aus dem offenen Hoftor auf die Straße, dem Wagen nach. Er war in eine Staubwolke gehüllt und bog schon in eine Seitenstraße ein. Doch ich, nicht aufzuhalten, nach der alten Kalesche, bis ich sie mit dem Instinkt der Liebe, der die Beinchen beflügelte, erreicht hatte. Und nun empor zu der geliebten Frau, die mich gerührt an ihr Herz nahm. – Als ich dann, sechs Jahre alt, doch zurück mußte ins Elternhaus, war der Pferdestall meines Vaters meine Welt. Wurde ich verfolgt von groß oder klein – husch unter die Bäuche der Rosse, wohin mir keiner zu folgen wagte. Gerne schwang ich mich auch auf einen breiten, schweren Gaul, berufen,[9] Fässer zu schleppen, und – ritt aus, zigeunerkeck, ohne Sattel. – Indess', einmal sollte mir das schlimm bekommen. Die Gassenjungen der Straßengasse dachten sich: Wart' nur, Bourgeois-Lausbub, wir werden dir deine junkerlichen Passionen verleiden. Johlend sammelten sie sich und warfen von allen Seiten Steine nach dem Biergaul. »Es kann der Beste nicht im Frieden bleiben«, und das sanfte Tier gab sich in einen frechen Galopp. Eine Weile hielt ich mich an der Mähne fest, glitt aber dann über den Kopf des Pferdes zur Erde. Sofort hielt mein Freund wie eine Mauer, um zu verhüten, daß ich mich beschädige. Mit gesenkten Ohren schritten wir darauf zu zweit dem Hoftor und Stalle zu.

Die schöne Stadt Brünn, jetzt modern gelichtet, hatte zu jener Zeit etwas mittelalterlich Düsteres, schier Atembeklemmendes; denn noch war sie an mehreren Seiten von steilen Wänden und Schanzen umgeben, in denen eisenbeschlagene Holztore in schweren Angeln ächzten. Im Frühling des Jahres 1854 legte sie großen Staat an: Der junge Kaiser Franz Joseph, kaum angehaucht vom ersten Bartflaum, hatte die ideal schöne bayerische Prinzessin Elisabeth geheiratet und zeigte sich mit seinem Engel aus München seinen Provinzialhauptstädten. Ich durfte aus einem gemieteten, teppichgeschmückten Fenster der »innern Stadt« den Einzug mit ansehen und war schrecklich gespannt: ein Kaiser, so ganz etwas anderes als andere Leute, muß sich auch, war meine Logik mit meinen sechs Jahren, durch irgend etwas Apartes auszeichnen, zum Beispiel: drei Hände haben, oder wenigstens sechs Finger an der Rechten. Nichts von all dem war der Fall, und ich kam demnach nicht auf meine Rechnung. Mit sieben Jahren also war ich bereits so etwas wie ein Republikaner, und bald darauf wurde aus dem frommen Steinitzer Knaben noch dazu ein frecher Atheist. Auch hiebei[10] vollzog sich meine seelische Umkrempelung im Handumdrehen. Es flößte mir ungeheuren Respekt ein – eine Schwester meiner Mutter hatte geheiratet –, wie Zeremonie und Gemurmel des Geistlichen ein Haus mit Kindern füllen könne. Donnerwetter, dachte ich: das ist eine Sache! Mit dem Augenblick aber, da mir ein Gespiele den großen Witz des Schöpfers, über den seine eigenen Engelamoretten im Himmel kichern mögen, erklärte, gingen mir die Augen auf wie den großen Kindern im Paradies, und aus dem Beter und Fanatiker wurde zum Entsetzen der Umgebung ein böser Leugner. Als bei Ausbruch des österreichisch-italienischen Krieges 1859 alle Kirchenglocken zum Gebete riefen, machte ich einem Erwachsenen gegenüber die altkluge Bemerkung: »Wenn sie statt der Bimmelei lieber dort unten keine Dummheiten machten.«

Ein sechzehnjähriger Kostgänger am Tische meiner Eltern nahm mich, den Achtjährigen, mit ins Stadttheater auf die »offene« Galerie, wo wir beide für elf Kreuzer aus meiner Sparkasse »Hamlet« sahen. Wie bei dem Nürnberger Sprungfederkrampus durch einen Druck der Deckel eines Kästchens aufklappt und der Schwarze mit eins emporschnellt, so an jenem Abend der Theaterteufel aus meiner Seele. Wohl lief ich schon einige Jahre auf der Erde herum, geboren wurde ich an jenem Abend! – Vorbei für mich waren von Stund' an Ballspiel, Tanz, Prügeleien, kurz alle Zerstreuungen der Kindheit – ja die Kindheit selbst! Zu Hause, in der Schule, auf einsamen Spaziergängen monologisierte ich, was mein Gedächtnis an jenem Schicksalsabende behalten. So zwar, daß Mitschüler meinen Bruder fragten: »Rappelt's bei ihm? Er red't immer mit sich selber?« Es gibt eine Wunderblume, die Jucca grandiflora, welche alle hundert Jahre nur einmal blüht. Ich aber zählte zu einem noch selteneren Naturwunder: meine ersten Reime[11] galten weder schwarzen noch blonden Mädchenlocken – sondern Hamlet. Ich sang:


»In schwarzer Hülle angetan,

Wie staune ich dich Hamlet an.«


Die zweite Offenbarung für mich an derselben Stätte war »Fiesco«: »Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt!« – heißt es im zweiten »Faust«. Die Stehgalerie, der höchstgelegene Platz im Stadttheater, war für mich der höchste in der Welt überhaupt. Die längsten Stücke waren mir die liebsten. Zum Beispiel: »Die Armen von Paris«. Fünf Akte und ein Vor- und Nachspiel: Ich addierte sieben Akte: ich mußte das Stück sehen. Nach dem Nachspiel im Theater gab es dann ein zweites für mich zu Hause: nämlich Ohrfeigen! – Denn nicht auf rechtlichem Wege hatte ich die olympischen Höhen erstiegen: entweder ich stahl das Geld dazu aus dem Scheingroschenkörbchen meiner Mutter, oder ich stahl mich ohne Eintrittskarte – bei den Phrenologen gilt ja dieselbe Vertiefung am Scheitel des Schädels zugleich für Diebs- und Schauspielertalent – am alten Billetteur vorbei auf die »Offene«. Manchmal erbettelte ich mir die paar Kreuzer von einer Schwester meiner Mutter. Aber Tante Pepi wohnte weit, am anderen Ende der Stadt. Ein unbemerktes Sichdrücken für so lange Zeit war ausgeschlossen. Doch halt – so geht's! Man gibt vor, wegen eines hohlen Zahnes zu den »Barmherzigen Brüdern« gehen zu müssen, läßt sich zum Beweis, daß man nicht geschwindelt, eine Wurzel in stummer Begeisterung wirklich ziehen, und da man zu Hause ja alles mit dem langen Warten auf den Pater Zahnarzt motivieren kann, so bleibt Zeit genug, die Finanzoperation bei der Gönnerin auszuführen. Es ist nicht zu sagen, was für byzantinische Schmeichelkünste ich anwendete, um die paar Kreuzer von der guten Tante zu erpressen. Ich holte ein Polster[12] herbei, damit sie bequemer sitze, einen Schemel für ihre Füße, küßte ihre Hände, erfand die süßesten Verkleinerungsworte und versprach, später eine ihrer Töchter zur Frau zu nehmen, ohne eine weitere Mitgift als die neun oder zehn Kreuzer für die Stehgalerie. – Der plötzliche Gedanke, ich könnte mit meinen Geschwistern wohl selbst Theaterstücke aufführen, war für mich so etwas wie für den Erfinder der Moment, da in seinem Gehirn die offenbarende Idee aufblitzt. Der ländliche, mit moosüberwucherten Schindeln gedeckte, niedere Heuschober war unsere Probebühne und mußte per Leiter erklommen werden. In das Rembrandtsche Halbdunkel dieses Raumes schleppten wir nun aus allen Winkeln und Schlupfen des Hauses geliehenen, erbettelten, gestohlenen Trödel. Gewöhnlich gab auch ein markantes Requisit Anstoß zur Einstudierung eines Stückes. Ein Plättbrett! Was fehlte da noch, um den »Fiesco« zur Aufführung zu bringen? Sah ich nicht im Stadttheater, wie Verina den Diktator von einem Brett ins Meer warf? – Ein langes Küchenmesser! Wie hätten wir da zögern sollen, das Drama des blutdürstigen Shylock zu geben? – Eine dreiteilige »spanische Wand« aber weckte in mir den dramatischen Dichter und gebar meine Tragödie »Der Gefangene«. Die Titelrolle fiel einem jüngeren Schwesterchen zu. Wir steckten das Mädchen in »Schlangenhofen« (ein Knabenkleid, großzügig aus einem Stück geschnitten und aus Verdauungsrücksichten hinten knöpfbar) und legten es in Eisen; d.h. wir fesselten die Hände des reizenden Rotköpfchens mit Papierketten, einem der stolzesten Stücke unseres theatralischen fundus instructus. Das Dekorationsstück wurde so gestellt, daß es die Kleine völlig einschloß. Darauf trat ich mit einem Nürnberger Gewehr vor die Zitadelle und hielt Wache. Ich klagte über Liebesschmerzen und bejammerte die Pflicht, auf meinem Posten ausharren zu müssen, dieweil die[13] Geliebte mit offenen Armen meiner warte. Liebe und Pflicht – der Leser errät den tragischen Konflikt! Eine andere Schwester (die 20 Jahre später Eduard Hanslick zu seiner Frau machte) hatte eine sehr sympathische Stimme und unserer Gouvernante einige italienische Volkslieder abgelauscht. Ich wäre ein schlechter Dramaturg gewesen, hätte ich diesen günstigen Umstand unausgenützt gelassen. Die Sängerin mußte hinter den Kulissen, welche wir einfach durch ein über einen langen Besenstiel geworfenes geblumtes Kaffeetischtuch gebildet hatten, eines ihrer Lieder er tönen lassen. Allerdings mit einer kleinen Textveränderung von mir: statt »Lucia cara, Lucia bella« sang sie meinen Namen »Luigi caro, Luigi bello. Natürlich vermochte Luigi nicht zu widerstehen, warf die Flinte ins Heu und sich selbst in die Arme der Nachtigall hinter dem Kaffeetuch. Jetzt schob die ahnungsvolle Schlangenhose einen Flügel der »Spanischen« zurück, sprengte Riegel und Ketten und entlief. Aber wehe! ein jüngerer Bruder als, »Hauptmann« betrat die Szene! Seine Würde markierte ein Schiffhut aus blauem Zuckerhutpapier, versehen mit einem Federbusch aus Fidibussen, gestohlen vom Schreibtisch meines Vaters. Schon im Auftreten hatte der Krieger zu rufen: »Ha, der Gefangene ist entflohen«. Wohl kehrte ich jetzt wieder zurück auf den verlassenen Posten. Doch zu spät! Seine Gestrengen donnerte: »Du bist des Todes!« Er winkte hinter die Kulisse, wie Geßler seinen Reisigen. Und hervor trat mein jüngstes Schwesterchen – ein rechter Plumpsack mit einem schnurrigen, klugen Vollmondgesichtchen, in dem sich zwischen Polsterbacken ein keckes Stumpfnäschen eingenistet. Der Hauptmann raffte nun das Gewehr auf, das ich zuvor – nicht allein des theatralischen Effektes wegen, sondern auch weil wir kein zweites in unserer Rüstkammer besaßen – von mir geworfen, und überreichte es der drei Käse hohen Dicklichkeit. Dies[14] gab mir Zeit, der Geliebten, welche mir gefolgt war, zuzurufen: »Weib meiner Seele, räche mich«, und ihr heimlich einen »Dolch« in die Hand zu drücken. »Angelegt!« kommandierte der grimmige Zuckerhut, und der bewaffnete Däumling, unaufhörlich über einen ihm umgehangenen grauen Mantel stolpernd, gehorchte. Bei dem zweiten Kommandoruf: »Feuer!« hatte eine dritte Schwester hinter der Szene in die Hände zu klatschen, um den Knall aus dem tödlichen Feuerrohr zu markieren. Damit fiel der Held maustot zu Boden. Jetzt hob die Geliebte den rächenden Stahl aus Holz, und mit den Worten: »Du hast meinen Luigi getötet, stirb Barbar!« durchstach sie die böse Fidibus-Charge, die alsbald dalag wie ein Käfer, der sich tot stellt. – Eine Münchner Theaterabonnentin erklärte mir einmal: »Wissen Sie, bei Trauerspielen gehe ich immer schon nach der zweiten Leich.« Bei diesem Prinzip hätte sie nie die ganze reinigende Größe meiner Tragödie genossen: nicht umsonst hatte ich die letzte Szene im Hamlet gesehen: noch mehr Leichen! »Da mein Geliebter tot ist, mag ich auch nicht mehr leben!« rief die Sängerin und senkte sich die noch von Blut dampfende Waffe in die Brust. Als nun die graue Mantelmotte uns alle auf der Erde liegen sah, meinte sie, das gehöre so zur Sache und legte sich zum größten Entsetzen des Dichter-Regisseurs zu den übrigen. Da einige Kinder aus der Nachbarschaft im Proszenium des Heubodens als Zuschauer figurierten, geriet ich ob der Blamage in hellste Wut, stieß – tot wie ich war – die extemporierte Leiche so lange mit den Füßen, bis sie gleich einem Stehaufmännchen emporschnellte und zur Mutter flüchtete, um Drama und Dramaturgen heulend zu denunzieren.

Ganz Österreich war damals – in den sechziger Jahren –noch deutsch, und blieb es auch trotz geringer Konzessionen, die man, seit Palacki sein (übrigens deutsch geschriebenes)[15] Monumentalwerk »Die Geschichte Böhmens« erscheinen ließ, den slawischen Stämmen gewährte. Ich erinnere mich, daß man der Jugend Anekdoten von Joseph II. und Friedrich II. durcheinander erzählte, unterschiedslos, als von zwei großen deutschen Monarchen. Erst nach 1866 und 1870/71, da der deutsche Kaiser nicht mehr in Wien, sondern in Berlin saß, gelang es den tschechischen Ellenbogen, die Konsequenz daraus zu ziehen, und ihre nationalen Führer präsentierten Österreich aus alten Archiven stammende, vergilbte Rechnungen, auf denen sie zäh bestanden. In den Gymnasien und Realschulen genügte für die tschechische Sprache eine einzige Stunde in der Woche, und auch die war – wenn ich mich recht erinnere – nicht obligatorisch. In meiner Klasse gab sie ein kleines, eitles Tölpelchen, das beständig hin und her lief und unaufhörlich mit dem Taschentuche seine gänzlich staublosen Lackstiefel abklopfte; es waren seine einzigen Glanzlichter, auf die er aufmerksam machen wollte. Im übrigen hatten wir ausgezeichnete Lehrer, zumeist Väter des Augustinerklosters, das in seinen gotischen Räumen bedeutende Männer (berühmte Dichter, Gelehrte, Musiker) beherbergte. Nicht aus dem Kloster stammte der Herr Katechet. Ein stramm-feister Goliath, der die christliche Demut, die er lehrte, dadurch illustrierte, daß er uns ein über das andere Mal zurief: »Ihr seid nicht wert, den Staub unter meinen Füßen zu küssen!« – Aber trotz der trefflichen, wohlwollenden Schwarzröcke blieb ich ein miserabler Schüler; hier, wo Physik und Geometrie mehr galten als »Hamlet« und »Fiesco«, war ich konsequent der Letzte, und nur darum, weil es keinen Letzt-Letzten gab. Unaufmerksamkeit allein war es nicht: all mein Leben sind mir Dinge, die einzig mit dem trockenen Verstande zu erfassen sind, selbst bei heißem Bemühen, unübersteigbare Berge gewesen. So kann ich z.B. – als Kuriosum sei es[16] hergesetzt – bis zur Stunde trotz der besten Augen nicht fließend lesen und stolpere bei der zweiten Zeile. Man versuchte es mit Privatunterricht. Der Lehrer meiner ältesten Schwester sollte ihn mir erteilen: Pater Glatzel. Dieser alte Gelehrte, gleichfalls ein Weiser des Augustinerklosters, durfte damals von sich sagen: »Die höhere Töchterschule der Stadt bin ich.« Alle besseren Häuser, oder um die Sprache der Geschäftsstadt zu sprechen: alle Häuser, die besser standen, beriefen ihn zum Bildner der heranwachsenden Jungfrauen. Ich sehe ihn vor mir, den urwüchsigen Alten! Auf seinem massiv gezimmerten Körper, der mit dem starken Embonpoint seinen Raum im Raume beanspruchte, saß ein grau-umlockter Cyklopenkopf, trotz seiner Häßlichkeit an das Haupt Jupiters erinnernd; wohl auch vermöge der hohen Intelligenz, die in lächelnder Ruhe auf den breiten Fettmassen des Antlitzes thronte. In hohen Stiefeln und langem Schwarzrock, einen uralten Zylinder aus der Biedermeierzeit auf dem pathetischen Haupte, den Bauch wie ostentativ vorreckend, in der Rechten einen derben Stock, in der Linken unfehlbar zwei bis drei dicke Bände, in der hinteren Rocktasche ein schweres Exemplar der beiden Teile »Faust«, als wollte er auf diese Weise seiner Person das nötige Gleichgewicht geben – so durchschritt er die Straßen Brünns. Obgleich ihn seine eigene Neigung, sein Enthusiasmus, eine Generation idealer Mütter heranzubilden, zum Erzieher höherer Töchter gemacht, so war er doch ein schlechter Lehrer. Er war der extremste Idealist, dem ich jemals begegnet; ein Gemengsel von Ibsens Rosmer und Stockmann. Weder die klugen, noch die törichten Jungfrauen, die er, gleichgültig welcher Konfession sie angehörten, »meine katholischen Schwestern« nannte, vermochten seinen Unterricht zu fassen. Ob er wohl an ein magnetisches Fluidum glaubte? Wahrscheinlich! Denn während er den guten Backfischen allerlei Subtilitäten[17] zum besten gab, hielt er ihre zarten Hände in den seinen und sah sie unverwandt mit seinen milden, braunen Augen an. Das Beste, was die Mädchen von ihm profitierten, war nicht positives Wissen, sondern der ideale Schwung, den er ihren Seelen einhauchte. Die Brünner höheren Töchter waren Philanthrop-, Idealist-, Sozialist- und Kommunistinnen – aber leider nur bis zu dem Augenblick, da sie die Ehe mit diesem oder jenem Schafwollwarenerzeuger eingingen; es war wie ein chemischer Prozeß: der Idealismus verflüchtete und der Wollsack blieb als Bodensatz zurück. Pater Glatzel zählte zu den alten Kindern, deren Gutmüt gkeit an das Pathologische grenzt; er war der Geist, der stets bejaht. Was er verdiente, ließ er sich so willenlos abnehmen, daß ihm jahraus, jahrein kein Kreuzer in der Tasche blieb. Kaum alten ihm seine Schülerinnen am Ersten das Geld in die Tiefen seiner Schoßtasche praktiziert – denn nur auf diese Weise vermochte man ihm sein Honorar zukommen zu lassen –, so wurde er von den am Kloster auf seine Rückkehr lauernden Ausbeutern gleich wieder geplündert. – Politisch war Glatzel ganz Mann der Freiheit und für die Sache der Tschechen ehrlich begeistert, die ihn als einen ihrer größten Dichter feierten. Seine radikalen Anschauungen mußten ihn endlich mit dem Kloster in Konflikt bringen, und so flüchtete der edle Alte nach Amerika, wo er als Gründer einer sozialistisch-religiösen Sekte in sehr hohem Alter starb. – Eine ungünstigere Wahl hätten meine Eltern nicht treffen können: was mir nottat, war der Drill eines Unteroffiziers und nicht das Victor-Hugo-Pathos Meister Glatzels. Auch drehte sich die Szene bald: mein Lehrer wurde mein Hörer; warum sollte sich eine Klosterzelle nicht zu einer Bühne umgestalten lassen? Ich brüllte wie der von der Schlange umschlungene Laokoon, und Wandel- und Kreuzgänge, sonst nur von dem rhythmischen Tritt eines Klostermannes feierlich durchhallt,[18] erdröhnten von dem Donner der Traumerzählung Franz Moors. Die Sache paßte Glatzel so recht in seinen Kram: es galt eine Seele zu retten aus dem Bereich der Bierfässer und Wollsäcke. »Da nehmen Sie sich nur weiter keine Mühe,« sagte er meinen Eltern, »aus dem Buben wird doch nichts anderes als ein Schauspieler.« Ich hörte die Worte und mir wurde dabei so behaglich zumute wie einem Kälbchen, wenn man's im Nacken kraut. Das Kälbchen – um das treffende Bild festzuhalten – zählte damals elf und – dürstete nach Taten. Brünn ist freilich zu groß, dachte ich; aber sollte man nicht in dem Marktflecken Geyer, den ich von Steinitz her kannte, ein Theater gründen können? Gedacht, getan! Ich pumpte ein paar unserer Dienstmägde erfolgreich an, stahl meiner Mutter einen schwarzseidenen Überwurf (den Mantel Hamlets!), stopfte schöne Theaterrequisiten in eine große Handtasche und zog aus wie Don Quijote auf Abenteuer. Geyer, reflektierte ich, ist nur fünf Meilen von Brünn entfernt, meinen Eltern und Großeltern wohnen dort und im nahen Austerlitz Geschäftsfreunde – es wird großartig! Zwar ist es hart zu Fuß zu laufen bei schneidender Kälte im dünnen Mäntelchen – dafür aber ist der Winter eine gute Theaterzeit!

Spät abends kam ich in dem kleinen slawischen Flecken an, ganz vereist wie ein verfrorener Apfel. Ein Branntweinbrenner, der nach Steinitz Geschäfte machte, nahm mich in sein Haus. In der warmen Stube taute ich auf wie ein Tierchen aus dem Winterschlaf. Der alte, gutmütige Jude redete mir meinen Unsinn aus und fütterte mich koscher, aber ausgezeichnet. Er wollte mich selbst im Wagen nach Brünn bringen, doch sollte ich noch einen Tag warten, denn ein »Bocher« war angekommen und sollte bei ihm morgen zu Tische sitzen und beten. Bocher sind Studierte von besonderer Frömmigkeit, die von »Kille« (kleine jüdische[19] Gemeinde) zu »Kille« reisen und in angesehenen, streng-religiösen Familien »Seder halten«, was soviel heißt, als unter hundert Zeremonien speisen und dann predigen. Er wird Rebbeleben genannt. Man sieht in Mähren noch genau dasselbe wie vor zweitausend Jahren und zurück in Palästina! Denn auch Jesus war nichts anderes als so ein fahrender Scholast der Juden: ein Bocher, ein Rebbe, der in den Gemeinden predigte. Freilich wie!!! Denn das Wie ist alles in der Welt und kann zum Gotte machen! Der Bocher hat kein anderes Gewerbe als seine Frömmigkeit und lebt also ähnlich wie die Derwische am Ganges. Er wird hochgehalten und ein sinnvolles, jüdisches Sprichwort heißt: »Aus einem Bocher (Weisen) kann man alles machen.« – Anderthalb Jahre nach dieser verkrachten Direktionsreise kam – der zweite Streich! Ich ging durch nach Wien, um Karl Treumann, dem Direktor des »Kaitheaters«, meine Kräfte anzubieten. Nachdem ich vor dem Bühneneingang zwei Stunden lang geschildert und auf den berühmten Komiker und Bühnenleiter gewartet und Pläne bis in den Himmel und von da aufwärts bis ins Burgtheater gebaut, kam endlich der Ersehnte, und ich fragte ihn – wie spät es sei?! Der Augenblick machte mich wie Falstaff zu einer »Memme aus Instinkt«. Am Abend sah ich Nestroy als Sansquartier in »Zwölf Mädchen in Uniform«. Das linke Auge – so erforderte es die Rolle – bedeckte eine Binde, aber das andere, große, schöne, rumorte lustig, und sein Geist sprang über auf den Zuschauer und hielt ihn fest. Ein Jahr darauf ging Nestroy von der Bühne ab; denn er »setzte an«. Es ist gar tragisch, wenn einem Schauspieler, dessen Spezialität all sein Leben die Magerkeit war, ein Bäuchlein wächst. Nestroys Partner, den ausgezeichneten Wenzel Scholz, hatte ich schon früher einmal in Brünn gesehen, gelegentlich seines Gastspiels in »Handschuhmacher und Strumpfwirker«. Er war klein[20] und kugelrund, und darum liebte ihn Nestroy an seiner Seite; denn dadurch wurde er selbst – eine Art optische Täuschung, die der Komik zugute kommt – noch dünner und länger. – Weil es einmal zum Programm des braven Spießers gehört, gegen den Beruf des Schauspielers zu protestieren, eiferte man zwar im väterlichen Hause gegen meine Neigung und Pläne, aber im Grunde war man doch eitel darauf, daß sich zwischen Bierfässern, Malz- und Hopfensäcken ein phantastisches Geschöpf meiner Art hat bilden können. Und als ich fünfzehn Jahre alt war, hieß es: Es sei! Aber ein »Kompetenter« soll uns vorher bestätigen, daß Du wirklich Talent hast.« Ein solcher existierte nach den damaligen Begriffen in Österreich einzig am K. K. Burgtheater. Mein Vater reiste also mit mir nach Wien. Zuerst klopften wir bei Laroche an. Der greise Meister mit dem frappanten alten Goethe-Kopf, zeigte sich weltmännisch-artig, speiste uns aber, ohne mich zu prüfen, mit der boshaft pointierten Bemerkung ab: »Nun, wenn ihn das Brünner Theater inspiriert hat, dann muß schon was dran sein.« Es ging zu Dr. Förster. Welch ein Gegensatz zu dem vornehmen Alten, der noch Goethe gesehen und gehört, und dem auch äußerlich roh-gefugten Doktor-Regisseur. Er schrie mich an wie ein Unteroffizier: Grade stehen! Und damit mir die weise Belehrung faßlich werde, gab er mir – jeder Zoll ein Hausknecht – einen derben Schups in den Rücken. Das war alles! Mit der Bemerkung: »Der Bengel soll erst deutsch lernen«, entließ er uns, ohne mich gehört zu haben. Wir wollten nicht umsonst nach Wien gefahren sein und beschlossen, unser Glück bei Ludwig Loewe zu versuchen. Der Theaterwagen – ein behäbiger Kasten aus Väterzeiten, mit zwei ausrangierten K. K. Rossen – hielt am Tor, um den Altmeister zur Probe zu fahren. Demungeachtet gestattete er uns, einzutreten, und mein Vater durfte zum drittenmal seine Ansprache, die er[21] auf der Reise sorglich memoriert hatte, vorbringen. Loewe fixierte mich einen Augenblick mit seinen klugen, grauen Falkenaugen und sagte dann derb-burschikos: »Na, soll ich's ihm denn von der Nase absehen, oder hat der Junge etwas auswendig gelernt?« Die Worte waren kaum heraus, als ich auch schon am Boden lag, um die Sterbeszene Valentins aus »Faust« dem Meister zu versetzen. Fühlend, daß der historische Augenblick für mich gekommen, wollte ich alles geben, was in mir war. Was ich an Leidenschaft und Ton aufwandte, hätte für den ganzen Faust ausgereicht. Nachdem ich zu Ende gerast, sagte Loewe: »Hat ja gebrüllt wie ein Heiduck; aber 's liegt was drin!« Eine beseligende Wärme durchströmte mich bei den Worten des großen Mimen, eine Wonne, ähnlich wie sie den Jüngling durchschauert beim zärtlichen Gruß der Geliebten. Und als er mir mit seiner Hand wohlwollend übers Haar strich, empfand ich so etwas wie Tasso, da er den Lorbeer empfängt: »Nehmt ihn hinweg, er sengt mir meine Locken!« – Ich war immer stolz darauf, daß es gerade Loewe war, der mit jenem freundlichen Wort mein Leben entschied, weil er einer der radikalsten Naturalisten der deutschen Bühne gewesen, schon damals, ehe dieses Wort für die Schauspielkunst erfunden war. Unbeirrt von seiner künstlerischen Umgebung, einzig dem kategorischen Imperativ seiner starken Begabung folgend, glich er dem Flusse, der, einen breiten See durchziehend, seine Strömung beibehält. Selbst Goethe, den er, wie er mir später erzählte, in Karlsbad bei einer festlichen Gelegenheit den Orest tragieren sah, und der in seinen Attitüden einer wandelnden Glyptothek glich, vermochte den damals jungen Mann nicht wankend zu machen in seinem Streben nach Wahrheit und Natur. – Am Abend sah ich im Burgtheater »Uriel Acosta« von Gutzkow. Die Vorstellung machte gar keinen Eindruck auf mich; Josef Wagner, der Darsteller der Titelrolle,[22] ein geistiger Antipode Ludwig Loewes, deklamierte rücksichtslos; was er um so weniger hätte tun dürfen, als es schon der Dichter ausgiebig tat. In diesem Falle aber ist es Pflicht des Schauspielers, den Dichter zur Natur zurückzuzwingen. Deklamieren beide, so geraten sie ins Wolkenreich. Logischerweise und nur für den Laien verwunderlich, verträgt darum der Rhetoriker Schiller amallerwenigsten den Kothurn und hat ihn sich bekanntlich auch als echter Dramatiker energisch verbeten. –

Es war kein glücklicher Zufall für mich, daß mein Vater tags darauf im Café Stierbeck (der damaligen »Börse« Wiens) zwei Freunde traf, die in dem mährischen Städtchen Lundenburg eine Zuckerfabrik besaßen. »Sicher muß der Mensch gehen«, hieß es, »lerne erst ein Jahr die Zuckergewinnung durch die Rübe, und dann treib', was Du willst; geht's nicht mit der Kunst, so bleibt Dir die Zuckerbranche«. Vierzehn Tage darnach saß ich in Lundenburg. Sehr erstaunt war ich über die Großartigkeit der bautenreichen Fabriksanlage, erst vor kurzem gegründet von den beiden bescheidenen jüdischen Herren Hirsch und Ignatz Kuffner. Die Juden Österreichs saßen lange, lange Jahre in versteckten Gemeinden, wo man sie und ihren kleinen Handel mit Bedarfsgegenständen der Dorfbewohner als da sind: Schnittwaren, Kleidungsstücke, wirtschaftliche Geräte usw. duldete. Sie sparten, scharrten, legten zusammen, verwandelten Groschen in Gulden. Waren davon 40–50000 beisammen, so hieß es von dem Besitzer: »der große Löw«, oder »der gewaltige Wolf«. Da kamen die liberalen Gesetze! Und siehe! Der gedrückte Mann der Kille verließ seinen Schlupfwinkel und erschien in der Hauptstadt. Meist taten sich mehrere zusammen, gründeten, spekulierten großzügig, unternahmen, mit dem richtigen Instinkt des Kaufmanns, und wie über Nacht hatten sie Handel und Industrie der Länder Österreichs in ihren Händen. Die[23] behaglichen Leute von früher, zumal in Wien die gemütlichen »Bürger von Grund«, wurstelten dagegen solide weiter in ihren kleinen »G'schäfteln« und »G'wölbeln« – wenn's nur zu einem Sonntagsausflug mit »Backhendl« in den Wiener Wald reichte. Und als sie sich endlich doch umsahen und sich die Augen rieben, da wurden sie – Antisemiten. Aber, o Wunder! Nicht nur Handel und Industrie beherrschten die Leute der Kille, auch die Journalistik, auch ein Geschäft, und kein schlechtes, hatten sie an sich gebracht. Die Reichen von ihnen wurden Herausgeber und Verleger, die Kleinen, aus Tarnopol oder Czernowitz kommend, ließen sich die »Peissen« (Seitenlöckchen der Orthodoxen) abschneiden und schrieben über – Richard Wagner! Nicht anders war es mit dem Theater: Thalia wurde eine koschere Göttin! Und will man ehrlich sein, gar oft nicht zu ihrem Schaden. Man denke an die großen Schauspieler, die diese Rasse, welche so eindringlich mit ihren Händen zu sprechen weiß, daß ihr der persische Gott mit den hundert Händen als der Gott der Beredsamkeit erscheinen könnte, hervorgebracht hat: Dessoir, Davison, Sonnenthal.

Quelle:
Wohlmuth, Alois: Ein Schauspielerleben. Ungeschminkte Selbstschilderungen von Alois Wohlmuth. München 1928, S. 7-24.
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Vorschule der Ästhetik

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Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

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Große Erzählungen der Hochromantik

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Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

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