Der Verkehr zwischen Herren und Damen

Der Verkehr zwischen Herren und Damen.

Verbindliche Gesprächsformen.

[309] Daß der Verkehr zwischen Männlein und Weiblein seit Adams Zeiten durch die verschiedenen Jahrhunderte[309] hindurch auch die verschiedensten Wandlungen erfahren, wissen wir alle – ebenso, daß unsere Urmutter Eva es nach kurzer Paradiesseligkeit recht schwer hatte. Natürlich war sie schuld daran – schon dem bekannten »Cherchez la femme« nach ist eben die Frau immer schuld! Jedenfalls hat schon das erste Menschenpaar, von dem die Sage berichtet, das Bild der Ehe vorgezeichnet, wie es mit den verschiedenen Variationen bis zum heutigen Tage gültig – erst das Land, da Milch und Honig fließt: Honigmond, Flitterwochen. Dann Vertreibung aus dem Paradiese: Kampf ums Dasein, Vatersorgen und Mutterpflichten – und die Frau an alledem schuldig – ganz wie heut!

Etwas später – das »etwas« auf die Jahrtausende angewandt – ward es dann wohl besser. Jedenfalls muß es Madame Potiphar doch schon recht gut und sie sehr wenig zu thun gehabt haben, daß sie vor lauter Wohlleben und Langerweile auf allerlei ebenso dumme als böse Gedanken kam. Und dann im alten Rom, das nach herrlichster Blütezeit unterging, weil Verweichlichung, Üppigkeit und Genußsucht, an denen die Frauen ihr überreich Teil hatten, die Menschen entnervt und verderbt hatten – während im Gegensatz dazu bei den alten Germanen den Frauen alle Haus- und Landarbeit zu ihren Muttersorgen und Erziehungspflichten aufgebürdet wurde, indes die Eheherrn in behaglicher Halle auf den bekannten Bärenfellen lagen und eben – immer noch eins tranken![310]

Darauf mit Einführung des Christentums und des Marienkultus wieder die steigende Verehrung des Ewigweiblichen, die das Minnesängertum erstehen ließ und schließlich jene Übertreibung der Frauenverherrlichung züchtete, welche später in der Satire vom Don Quichote ihre verdiente Geißelung erfuhr. Denn konnte knechtischer Minnedienst und vernunftlose Verhimmelung der Frauen lächerlicher gemacht werden als durch Schilderung jenes idealistisch sentimentalen, fahrenden Ritters, der sein Leben dem Dienst einer Dame weiht, die er nie gesehen? Der seine Herzenskönigin in begeisterten Dithyramben als das Urbild aller Schönheit und Vornehmtheit preist, während sie doch – falls sie überhaupt existierte, wofür nur schwache Anhaltspunkte vorhanden – eine Kuhmagd von abschreckender Häßlichkeit war? Schärfer konnte allerdings hirnlose Phantasterei und ungesund sentimentaler Frauenkultus nicht gegeißelt werden!

Dann erlebte die Welt zur Abwechslung wieder die Barbarei der Hexenprozesse – worauf allmählich das Zeitalter der ausgesprochensten Galanterie herauszog, jene Zeit der girrenden Schäferspiele, welche für die unglückliche Maria Antoinette auf dem Schaffot endete. Und so durch allerlei Wirren, Gärungen und Klärungen hindurch bis zum heutigen Tage, da den Frauen statt der Schäferspiele der Kampf um die Existenz zufällt, den die Mehrheit derselben durchzuringen hat. Längst haben die Männer verlernt, mit den Frauen als Gattung Kultus zu treiben – wozu[311] auch! Bei der beängstigenden Überzahl derselben haben sie das nicht mehr nötig!

Und das Minnesängertum, die fahrenden Ritter und Schäferspiele entbehren die modernen Frauen, welche mehr oder weniger denken gelernt haben auch gern. Schwer aber würden sie jetzt und zu allen Zeiten die Höflichkeit und Rücksichtnahme auf das schwächere Geschlecht vermissen, welche unsere heutigen Herren zum Teil schon jetzt für überflüssig erachten. Es giebt deren, die es sogar für unvereinbar mit ihrer Manneswürde halten, den Damen kleine Ritterdienste, wie etwa das Aufheben eines zur Erde gefallenen Tuches oder das Aufstehen in der Pferdebahn, um ihnen einen Sitzplatz zu bieten, zu erweisen – wie traurig für die Männerwelt, wenn ähnliche, rein formelle Höflichkeitspflichten in Wahrheit ihr Selbstbewußtsein untergrüben!

Zum Glück ist dem nicht so. Und wenn hier und da in Wort und Schrift die Stimme eines Erretters kraftvoller Manneswürde von den Banden der Frauenknechtschaft – soweit diese in äußeren Höflichkeitsformen besteht! – erschallt, so wissen wir, daß es eben kein Mann von gesellschaftlicher Bildung ist, der sie ertönen läßt und gehen achselzuckend darüber hinweg. Denn Ritterlichkeit gegen Frauen wird stets und überall der Männer schönster Schmuck und ihre stärkste Waffe dort sein, wo sie zu siegen wünschen – und solche Wünsche werden auch den Nüchternsten und Verstandeskühlsten kommen, so[312] lange es eben Männer und Frauen auf der Welt giebt.

Und nicht im Einzelfalle allein – der wahrhaft gebildete Mann wird sich allen Damen gegenüber, selbst solchen, die ihm gleichgültig – oder gar unsympathisch sind, stets höflich und zuvorkommend erweisen und jene kleinen Ritterdienste erfüllen, die der gute Ton im Verkehr mit Damen vorschreibt. Dazu gehört nun allerdings, daß er sich sofort bückt, sobald irgend ein Gegenstand zur Erde fällt, um denselben aufzunehmen und mit höflichem Wort zu überreichen – wie keine Dame es auch je an freundlichem Dank dafür fehlen lassen wird. Ebenso wird kein Mann von Bildung ruhig im Pferdebahnwagen oder sonstigen öffentlichen Verkehrsvehikeln sitzen bleiben, wenn eine Dame – und vielleicht gar eine alte – vor ihm steht und sich bei der schwankenden Bewegung des Wagens mit Mühe aufrecht erhält. Ferner gehört zu den Höflichkeitspflichten des wohlerzogenen Mannes, der Dame überall den Vortritt zu lassen – in der Familie, in Gesellschaft, beim Hinabsteigen der Treppe – während der Aufstieg allerdings das umgekehrte Verhältnis zur Regel macht – an öffentlichen Orten, kurz, eben überall, wo sich Gelegenheit dazu ergiebt. Aber nicht das Zurücktreten allein genügt – es gilt auch, der Dame mit geschickter Bewegung die Thür zu öffnen und zur Seite stehen zu bleiben, bis sie dieselbe durchschritten. Derselbe Dienst ist auch fremden Damen zu erweisen, falls[313] man bei zufälligem Vorüberschreiten sieht, wie sich diese etwa bemüht, eine schwere Hausthür oder einen Wagenschlag zu öffnen – ein freundlicher Dank wird nie ausbleiben und fällt selbst derselbe kühl aus, kann man doch überzeugt sein, daß die Artigkeit wohlthuend berührte. Es ist schließlich so leicht für Herren, sich durch ritterliche Höflichkeit überall beliebt und angenehm zu machen und kostet nichts, als ein wenig Aufmerksamkeit und Unbequemlichkeit – wunderbar genug, daß so viele Männer verschmähen, sich dieses Vorteils zu bedienen!

Zuweilen kommt es allerdings vor, daß die gebotene Höflichkeitspflicht nicht so leicht und bequem zu erfüllen: so z.B. wenn dem Herrn die Aufgabe zufällt, eine Dame aus Gesellschaft oder nach sonst einem Zusammensein sicher nach Haus zu geleiten. In der Kleinstadt, wo es keine Entfernungen giebt, wird sich das ja mit leichter Mühe bewerkstelligen lassen, in der Großstadt kann es zum Opfer werden, welches die Arbeitskraft des nächsten Tages beeinträchtigt. Denn spät abends, vielleicht nach Mitternacht, erst eine Stunde gehen, um die Dame zu ihrer Wohnung zu geleiten und nachher denselben Weg zurück machen – ist wahrlich eine Aufgabe, die keine Dame dem Herrn zumuten oder sie auch nur gestatten sollte. Junge Mädchen werden sich ja ohnehin nie in der Nacht allein von einem Herrn geleiten lassen – es wäre sehr unschicklich und fordert üble Nachrede geradezu heraus: noch weniger aber dürfen sie[314] einen Wagen mit ihm benutzen, und werden Gastgeber oder Familien, denen der Besuch der jungen Dame galt, in solchem Falle Sorge zu tragen haben, daß Ungehörigkeiten vermieden werden.

Im Wagen ist eine Dame jedenfalls so sicher aufgehoben, daß es weitere Begleitung nicht bedarf. Soll der Nachhauseweg aber in Gesellschaft der Mutter oder anderer Damen zu Fuß angetreten werden, ist es allerdings Sache des Herrn, seine Begleitung anzubieten, damit die Damen nicht allein gehen und Belästigungen ausgesetzt sind. Bei großer Entfernung aber müssen letztere selbst soviel Einsicht und Taktgefühl besitzen, ein derartiges Opfer unter keinen Umständen anzunehmen. Es wird, falls keine andere Fahrgelegenheit vorhanden, ein Wagen herbeizuschaffen sein, der sie sicher befördert oder sie müssen das im voraus bedacht und angeordnet haben, daß sie durch einen Dienstboten oder ein männliches Familienglied abgeholt werden. Denn wenn der Herr auch aus Höflichkeit diese Kavalierpflicht übernimmt, gern wird er sie gleichgültigen Damen gegenüber sicher nicht erfüllen und sich in Zukunft hüten, in ähnliche Lagen zu kommen. Feinfühlige Damen aber werden viel zu stolz sein, erzwungene Ritterpflichten anzunehmen. Ist nun aber in solchem Falle Ablehnen Pflicht der Damen, besteht solche ebenso unerläßlich für den Herrn, die Begleitung anzubieten oder sich doch zu versichern, ob dieselben ohne solche ungefährdet nach Hause kommen. Nichts flegelhafter[315] vom Herrn und beleidigender für Damen, als nach geselligem oder sonstigen Zusammensein die letzteren in die Nacht hinauslaufen zu lassen, ohne auch nur zu fragen, wie sie denn nach Haus kämen und ob Begleitung angenehm oder geboten wäre. Und doch machen so oft Herren, die sich zur guten Gesellschaft rechnen und sich gar auf ihre Lebensart etwas einbilden, diesen nie zu entschuldigenden Verstoß, der ihre ganze Bildung als höchst zweifelhaft erscheinen läßt.

Pflicht der Höflichkeit seitens des Herrn ist es auch, der Dame, die vielleicht für einen kurzen Weg die gebotene Begleitung angenommen, den Arm zu bieten – besonders wenn es eine ältere. Nicht jede Dame ist nun geneigt, den stützenden Arm anzunehmen und handeln da die einen nach bestimmten Grundsätzen, die andern vielleicht nur nach Gewohnheit und Neigung. Da nun eine kurze schroffe Ablehnung beleidigend wäre, gilt es, eine solche in freundlichster Weise zu geben und möglichst zu begründen. Denn wenn der Verkehr mit Damen wohlerzogenen Männern Höflichkeitsdienste auferlegt, dürfen solche, wo sie geboten, auch nie in beleidigender Art zurückgewiesen werden – eine Verpflichtung erzeugt eben die andere. Am Tage sich von einem fremden Herrn auf der Straße führen zu lassen, ist in Deutschland nicht üblich, obgleich derselbe damit doch nur eine Kavalierpflicht erfüllt, die jedenfalls harmloser ist, als das Umfassen beim Tanzen, welches unbedenklich jedem Herrn[316] gestattet wird. Da wir uns aber den heimischen Gebräuchen zu fügen haben, wird jede Dame besser vermeiden, ohne zwingenden Grund den Arm eines Herrn zu nehmen, der nicht ihr Gatte, Verlobter oder sonst ein naher Anverwandter ist. Aber auch hier entscheidet der Sonderfall über das, was geboten; bei einer Gebirgs- oder Waldpartie, sowie überall auf schwierigen Wegen wird es selbstverständlich erscheinen, daß der Herr seiner Begleiterin den stützen den Arm bietet und zwar selbstverleugnend den älteren Damen zuerst.

Wo es sonst noch bei geselligen und festlichen Anlässen üblich, der Dame den Arm zu reichen, wird in den betreffenden Abschnitten angedeutet werden.

Die Höflichkeitspflichten der Herren dem schwächeren Geschlecht gegenüber sind so mannigfache, daß es schier unmöglich, sie alle einzeln aufzuzählen. Schule und Haus werden ja da die nötige Grundlage und allgemeinen Regeln bereits gegeben, wie wir auch bei den Ausführungen über die Familie darauf hingewiesen haben, daß es Sache der häuslichen Erziehung, Knaben schon von frühem Alter an ritterliches Entgegenkommen der Mutter, den Schwestern und allen Damen gegenüber anzugewöhnen. Nicht leicht wird ein derartig wohlerzogener junger Mann in Verlegenheit darüber kommen, was sich schickt und was man von ihm erwartet; er weiß, daß er stets Damen einen Sitz zu bieten oder den Stuhl herbeizuholen, ihnen auch alles darzureichen hat, was sie etwa zur Hand zu haben[317] wünschen. Bei Tisch wird er sie bedienen und zwar sich um beide Nachbarinnen kümmern, an beide das Wort richten, nicht, wie es so häufig geschieht, alle Aufmerksamkeit der Dame zu seiner Rechten zuwenden und die zur Linken garnicht beachten. Gewiß gebührt ersterer als eigentlicher Tischdame größere Berücksichtigung, ganz aber ist auch die andere Dame nicht zu vernachlässigen, besonders wenn sie vielleicht gar ohne Tischherrn ist, was bei den Mahlzeiten in der Familie und auch bei kleinen zwanglosen Gesellschaften garnicht selten. Bei großen Festlichkeiten werden die Gastgeber ja Sorge tragen, daß keine Dame ohne Tischherrn bleibt, welcher dann während des ganzen Festes ihr »cavalier servant,« das heißt in gutem, allerdings nicht so kurz gefaßten Deutsch der stets um sie ritterlich bemühte und alle Höflichkeitspflichten erweisende Herr bleibt. Jede Vertraulichkeit ist darum doch streng ausgeschlossen. Man kann sich einer Dame gegenüber der vollendetsten Ritterlichkeit befleißigen und dennoch kühl bis ans Herz bleiben – nur mit gesellschaftlichen Formen nicht vertraute Menschen werden der einfachen Erfüllung von Kavalierspflichten tiefere Bedeutung zuschreiben und daraus das Bestehen oder auch nur den Wunsch nach gegenseitiger näherer Beziehung folgern.

Begleitet ein Herr eine Dame, hat er ihr Gegen stände, welche sie trägt, abzunehmen – so etwa Tuch oder Mantel für den Abend, Bücher, Päckchen, oder was es sonst immer sei. Offizieren wird sich diese[318] Höflichkeitspflicht etwas schwierig erweisen, da es in Deutschland nicht üblich, daß diese sich mit irgend welchen Dingen beladen, wenn sie Uniform tragen. Obgleich das Reglement in dieser Beziehung nichts vorschreibt, ehren Militärs doch die Uniform zu sehr, als daß sie dieselbe, und sei es durch Tragen eines Päckchens, verunzierten. Damen werden sich danach zu richten haben und alles vermeiden, was den Kavalier mit dem Offizier in Konflikt bringen könnte – für gewöhnlich sind ja beide eins und selbst Feinde werden das dem deutschen Offizier nachrühmen!

Auch im Gespräch wird sich der gebildete und gesellschaftlich geschulte Mann verbindlicher Redeformen befleißigen. Von den in guter Gesellschaft allgemein üblichen wurde bereits an anderer Stelle gesprochen und erübrigt hier nur noch anzudeuten, daß Herren sich Damen gegenüber möglichst gefälliger Redewendungen bedienen sollten. Es kann eine Frage, eine Antwort durchaus richtig und angemessen ausgedrückt und doch schroff, fast verletzend klingen, während eine Umschreibung, oft nur die Hinzufügung eines einzigen Wortes das Gesagte viel höflicher und verbindlicher erscheinen läßt. Das einleitende »Gestatten gnädige Frau« oder »Erlauben Sie, mein Fräulein?« spielt eine große Rolle im Gespräch und muß jedem Herrn sehr geläufig sein, da es garnicht zu entbehren und auch schwer durch eine andere Form zu ersetzen. Folgendes Beispiel kennzeichnet wohl am besten, wie die Einkleidung einer Frage dieser je nachdem eine verbindliche[319] oder kurze und schroffe Tonart zu geben vermag. Nehmen wir an, es steigt ein Herr ins Coupé, in dem bereits eine Dame anwesend. Ist er Weltmann, wird er natürlich einen leichten Gruß nicht unterlassen, ebensowenig versäumen, einen Gegenstand, der etwa am Boden liegt, sei es nun ein Buch, Handschuh oder sonst etwas – aufzuheben. Obgleich nun in solchem Falle kein Zweifel bestehen wird, daß dieser Fund der Dame zugehört, wäre doch das Gegenteil nicht ausgeschlossen und eine Frage nicht zu umgehen. Nun würde ja durchaus genügen, wenn er kurz fragte: »Gehört Ihnen das?« und klänge doch wenig verbindlich, schon der direkten Anrede wegen. Wie ganz anders hört sich dagegen an, wenn er etwa sagt: »Ich darf wohl annehmen, daß Ihnen das Buch gehört,« aber auch: »Verzeihen Sie – ist das Ihr Buch?« So widersinnig es scheint, für einen geleisteten Dienst, wie es das Aufheben und Überreichen eines Gegenstandes doch ist, noch um Verzeihung bitten zu sollen, wird diese oder eine ähnliche Form doch kaum zu vermeiden sein. Die Bitte um Verzeihung gilt dann eben der Thatsache, daß ein Fremder sich unterfängt, die Dame anzusprechen. Aber auch bei bekannten Damen wird man diesen zu erweisende Dienste oder eine Frage oft mit einem »Verzeihen Sie,« einleiten müssen, nur weil es eben verbindlich klingt. Will ein Herr beim Ab- oder Anlegen eines Mantels behilflich sein, ist das »darf ich mir erlauben,« oder ähnliche Redeform ebenso unvermeidlich und doch gilt[320] es auch hier, einen Dienst zu erweisen; und so in hundert anderen, hier nicht heranzuziehenden Fällen. Aber nicht nur beim Fragen, auch beim Antworten hat man sich verbindlicher Redeformen zu befleißigen. Auch hier soll schon das Kind gewöhnt werden, nie mit Ja oder Nein allein zu antworten, sondern stets noch einige Worte hinzuzufügen. »Jawohl, Papa« oder, »wie du befiehlst, Mama« klingt da schon viel besser. Für Erwachsene gilt dies Umschreiben des kurzen Ja und Nein noch unerläßlicher und erscheint es geradezu ungezogen, nur damit zu antworten.

Daß Damen in derselben höflich verbindlichen Weise mit Herren zu verkehren haben, ist selbstverständlich. Nie berechtigt sie der natürliche Vorrang, den sie Herren gegenüber einnehmen, zu unhöflichem Benehmen. Die seinen Unterschiede des Gefühls, die verschiedenen Grade zwischen Sympathie und Antipathie werden auch zu kennzeichnen sein, wenn äußerlich ihr Betragen gegen alle Herren, mit denen sie gesellschaftlich in Berührung kommt, genau dasselbe – und es soll auch ein gleiches sein. Die Frau von Erziehung und Weltgewandtheit wird den Herrn, welcher sie wenig oder garnicht leiden mag, genau so höflich behandeln als jenen, der ihr vielleicht innerlich nahe steht – ersteren wahrscheinlich noch höflicher, um ihm so zu sagen durch die Form zu ersetzen, was dem Verkehr an Inhalt fehlt. Eine Dame darf zum Herrn kalt, scharf, spöttisch, neckisch, abweisend sein – ungezogen nie, wie sie ihn auch nie vor andern bloßstellen[321] darf. Herzenstakt ist auch hier genau dasselbe wie guter Ton. Manche Damen halten es für geistreich, wenn sie grob und rücksichtslos sind – Grobheit aber hat weder mit Bildung, noch mit Geist etwas zu schaffen und einer wahrhaft gebildeten Frau wird eine derartige Verwechslung völlig unmöglich sein.

Sehr vorsichtig haben junge Mädchen im Verkehr mit Herren zu sein. Allzu große Freundlichkeit wird der Welt sofort Anlaß geben, allerlei Schlüsse zu ziehen, auch wohl bei dem Herrn den Verdacht erregen, nicht ganz harmlos zu sein. Zu große Zurückhaltung hingegen wieder die Annäherung erschweren, außerdem den Charakter der Dame stolz und hochfahrend erscheinen lassen. Es ist ja nicht leicht, hier die rechte Mitte zu finden und doch auch nicht so schwer, als es den Anschein hat. Berechtigtes Selbstgefühl, das sich allerdings nie bis zu Hochmut und Anmaßung steigern darf, behütet am besten junge Mädchen davor, sich durch allzu bereitwilliges Entgegenkommen Herren gegenüber etwas zu vergeben, wie wohlwollende Freundlichkeit sie bewahren wird, durch Kälte und Sprödigkeit zu verletzen. Burschikose Ausdrücke im Munde junger Damen wirken ebenso unschön als sie unschicklich sind und wenn manche glauben, dadurch »fesch« und »originell« zu erscheinen, befinden sie sich im Irrtum. Ebenso unpassend ist ein Sichgehenlassen im Sprechen; es hat sich diese Unsitte in den letzten Jahren in sporttreibenden hohen und höchsten Adelskreisen eines Nachbarlandes so sehr eingebürgert,[322] daß man dort vom »Stalljargon der Komtessen« als etwas Selbstverständlichem, wenn nicht gar besonders Rühmenswertem, spricht. Ob es schön und nachahmungswert? Das zu entscheiden überlasse ich dem Feingefühl unserer deutschen Frauen.

Junge Mädchen haben auch darauf zu achten, daß sie im Gespräch mit Herren diese nie berühren, was bei lebhafter Unterhaltung ja oft unwillkürlich geschieht. Allzuviel Gesten sind überhaupt zu meiden. Eine fernere, strenge Regel ist, einzelner Körperteile sowie mancher intimer – das deutsche Wort erschöpft hier nicht ganz den Sinn – Bekleidungsstücke nie Erwähnung zu thun. So feindlich wir jeder lächerlichen Prüderie gegenüberstehen, verletzt es doch, in Gegenwart von Männern von Mädchenlippen Worte wie etwa »Knie,« »Beine,« »Hemde,« »Strumpfband« und ähnliche fallen zu hören. Diese Ausdrücke an sich sind ja ebensowenig unanständig wie das, was sie bezeichnen; die Vorstellungen aber, die sich daran knüpfen, können so vieldeutig sein, daß schon eine Andeutung derselben zartfühlenden und sittenstrengen jungen Mädchen die Schamröte ins Gesicht treiben muß. In England gilt als Anstandsregel für junge Damen, nie davon zu sprechen, was »unter dem Tisch,« wobei man natürlich die sitzende Stellung im Auge hat. Doch scheint uns diese Regel wenig erschöpfend und auch nicht zutreffend. Denn weshalb sollte man z.B. nicht vom Fuß oder der Fußbekleidung sprechen dürfen? Anstößig ist das doch keineswegs und es giebt sogar[323] Menschen, denen derartige Gespräche besonders interessant sein werden. Wir brauchen da nur der, bei vielen bis zur Schwärmerei gesteigerten Vorliebe für kleine Füße oder der galanten Sitte vornehmer Polen, die Gesundheit der von ihnen verehrten Dame aus deren Schuh zu trinken, gedenken.

Aber auch nicht von allem was »über dem Tisch« wird ein junges Mädchen, ebensowenig eine züchtige Frau in Gegenwart von Herren sprechen und z.B. nie das Wort »Busen« im Zusammenhang mit ihrer eigenen oder anderen weiblichen Personen erwähnen. Das sich das nicht bis zur Lächerlichkeit steigern und zu ängstlicher Vermeidung des Worts »Meerbusen« und anderer ähnlicher führen darf, ist wohl kaum besonders zu erwähnen, denn jede verständige Dame wird dergleichen Prüderie und Ziererei abgeschmackt finden. Überhaupt mögen jüngere und ältere Damen nie vergessen, daß Natürlichkeit des Wesens nicht nur der schönste Schmuck, sondern auch die Vollendung gesellschaftlicher Bildung ist. Die wirklich vornehme Frau wird auch stets Weltdame in des Wortes bester Bedeutung und völlig frei von geschraubtem Auftreten und verzierten Mätzchen sein; nur wer sich unsicher im Verkehr mit der Gesellschaft fühlt und sich der Mängel seiner Bildung und sonstigen äußeren Schulung bewußt ist, wird zur Ziererei greifen, um sich anders und besser erscheinen zu lassen, als er in Wahrheit ist. Daß scharfblickende Augen dies sofort erkennen und durch derartige Manöver stets das Gegenteil[324] von dem erreicht wird, was sie bezwecken, sagen sich freilich die Betreffenden nicht.

Die große Zauberformel im Verkehr, welche so manche Frauen, die sich überall Achtung und Wohlwollen erringen, zu besitzen scheinen, ist in zwei Worte zusammenzufassen und heißt: Natürliche Würde und würdige Natürlichkeit!

So viel im allgemeinen über das Benehmen der Damen Herren gegenüber. Um noch einige Einzelfälle zu berühren, möchten wir hier noch der tadelnswerten Gewohnheit mancher jungen Mädchen oder auch älterer Damen gedenken, nur zu Herren gesprächig und liebenswürdig zu sein und ihre Mitschwestern arg zu vernachlässigen. Es ist oft spaßhaft – wenn es nicht zugleich traurig wäre – wie solche Männerfreundinnen mit gelangweilter Miene stumm dasitzen, solange nur Damen in der Gesellschaft anwesend sind und wie plötzlich verwandelt nnd belebt sie werden, sobald Herren dazu kommen. Jeder Unbefangene wird ja nun daraus seine Schlüsse ziehen und sicher kein schmeichelhaftes Urteil über den Charakter der Dame fällen. Aber auch durchaus unschicklich in Bezug auf äußere Form ist ein derartiges Betragen. Man darf in der Gesellschaft niemand, es sei nun Herr oder Dame, auffallend bevorzugen, ebenso niemand auffallend vernachlässigen, denn alle, die mit uns gesellschaftlich zusammentreffen, gelten als gleichstehend, und gleichmäßiges Verteilen von Aufmerksamkeit und Freundlichkeit wird nicht nur der Gastgeber Pflicht,[325] sondern auch die aller Anwesenden sein. Die verschiedenen Grade des Wohlwollens und der Zuneigung lassen sich trotzdem kennzeichnen, ohne daß der eine besonders hervorgehoben, der andere vielleicht beleidigt wird. Auch Herren sollten das bedenken. Es ist so natürlich und menschlich begreiflich, wenn Jugend und Schönheit sie anzieht oder eine geistig bedeutende Frau sie mehr fesselt als eine geistlose Puppe; sie mögen ja auch immerhin diesem Zuge folgen, nur dabei minder Bevorzugte des weiblichen Geschlechts nicht ganz übersehen. Und nicht das allein genügt – es darf auch nicht sichtbar hervortreten, daß diese Beachtung nur eine gezwungene, vom guten Ton vorgeschriebene ist – letzteres würde noch mehr verletzen als gänzliche Vernachlässigung. Und darum gilt es auch hier – nicht etwa verwerfliche Heuchelei, denn niemand wird dadurch geschädigt – sondern Selbstbeherrschung, Menschenfreundlichkeit und Rücksichtnahme auf andere, die unverrückbare und in allen Lebenslagen geltende Grundlage gesellschaftlicher Bildung und des guten Tons![326]


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 309-327.
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