Die Unterhaltung.

[327] Die Lust zum Plaudern ist eine der Grundzüge menschlicher Natur. Sie plaudern alle gern, die Alten und die Jungen, Hohe und Niedere, die Herren der Schöpfung und das sogenannte schwache Geschlecht, das sich doch so oft als das stärkere erweist – große und kleine Geister. Selbst der berühmte große Schweiger plauderte gern, was sich allerdings erst nach seinem Tode erwiesen hat – er plauderte eben schriftlich, in Briefen und Tagebüchern und wir können es ihm danken, weil so für alle Zeiten festgehalten und allen zugänglich gemacht werden kann, was sich als gesprochenes Wort doch längst verflüchtet hätte.

Ja, wir gehen noch weiter und behaupten, daß selbst die Säuglinge plaudern, lange bevor sie sprechen gelernt. Denn was ist das Lallen und Girren, Krähen und Jauchzen kleiner Kinder anderes als ein Plaudern auf ihre Art? Aufrechte Haltung und Sprache sind[327] bekanntlich die Hauptunterschiede zwischen Mensch und Tier und kühn möchten wir da wohl die Hypothese aufstellen, daß die entwickelteren Tiergattungen es im dunklen Instinkt bitter empfinden, daß sie sich nur durch Laute zu äußern vermögen. Bei Pferden und Hunden trifft dies sicher zu. –

Das Plaudern des Menschen wird ebenso verschieden sein als Befähigung und Charakteranlagen desselben. Nicht immer sind es die hochstehenden Geister oder die durch Wissen und Können ausgezeichneten, welche fesselnd und anregend zu plaudern verstehen – im Gegenteil. Nur stockend und unsicher geht oft die Rede aus dem Munde hervorragender Gelehrter, während geistig unbedeutende Menschen eine allerliebste Plauderei anzuregen und fortzuführen wissen.

Zum Plaudern gehört mithin Begabung; es ist Talent und zwar eins das man den Frauen in bevorzugtem Maße zuerkennt. Wenn sich nun zu natürlicher Befähigung noch Geist, Liebenswürdigkeit und lebhaftes Empfinden gesellen, kann eine Plauderei allerdings zu großem Genuß werden und mehr prickelnden Reiz ausüben, als vollendete Schönheit und glänzende Vorzüge der äußeren Persönlichkeit dies zu thun im stande sind. Es hat zu allen Zeiten Frauen gegeben, welche allein durch ihr hervorragendes Plaudertalent alle Männer bezaubert und zu ihren Füßen gezwungen haben. Nie wird auch der bedeutendste Mann so fesselnd zu plaudern verstehen als eine geistvoll liebenswürdige Frau. Am höchsten gewürdigt[328] und auch am meisten ausgebildet ist die Kunst des Plauderns in Frankreich. Man bezeichnet dort dieselbe bekanntlich als causerie und versteht darunter jenes flüchtige Geplänkel über alles und nichts, welches der auch geistig leicht bewegliche temperamentvolle Franzose allerdings noch reizvoller und sprühender zu gestalten wissen wird als eine zwar tiefer, aber auch schwerfälliger veranlagte Nordlandsnatur.

Schon der Begriff der Plauderei als solcher schließt eine gewisse Vertraulichkeit mit ein. Am besten plaudert es sich zu zweien, auch mehrere können sich daran beteiligen, viele nie – der intime Reiz des Plauderns wird dadurch zerstört und aus der Plauderei wird eben eine Unterhaltung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß auch im großen Kreise sich zwei zu einer Plauderei zusammenfinden können, die übrige Gesellschaft wird aber in solchem Falle alsbald nicht mehr für sie vorhanden sein und das eigentliche Wesen der Plauderei auch hier seine Macht behaupten.

Plaudern! Wer denkt da nicht unwillkürlich an die Dämmerstunde, da jegliche Arbeit unterbrochen wird und Familienangehörige traulich bei einander sitzen, um in anregendem Gespräch alles zu berühren, was gerade die Gefühls- oder Geisteswelt des einzelnen beschäftigt? Wer sähe da nicht rückblickend ein behagliches Gemach vor sich, von Lampenschimmer freundlich beleuchtet, auf dem Tische der surrende Theekessel und in traulicher Kaminecke sich selbst, mit einem Freund, einer Freundin plaudernd. Wir alle haben[329] gewiß den Zauber solcher Stunden empfunden und wissen, daß sie flüchtiger – weil übervoll an Reiz und Inhalt – vorübergehn als die glänzendsten Feste und doch unauslöschlicher in der Erinnerung haften. Ein eignes Heim muß der Mensch haben und eine verständnisvolle Seele zum Plaudern – dann läßt sich auch das elendeste Leben ertragen! Und der alte Bibelspruch: es sei nicht gut, daß der Mensch allein sei, ist sicherlich nicht zuletzt in diesem Sinne und aus solchem Bedürfnis heraus entstanden.

Etwas wesentlich anderes ist die Unterhaltung. Sie ist steifer, anspruchsvoller, feierlicher – an ihr können sich eine große Anzahl von Menschen beteiligen. Eine Unterhaltung können viele miteinander und durcheinander führen und sie wird deshalb nur um so belebter werden – ja, es sollen sogar möglichst alle Anwesenden eines Kreises – falls dieser nicht ein sehr großer und öffentlicher – daran teilnehmen und hineingezogen werden. Eine Plauderei zu führen ist Sache der Begabung, eine Unterhaltung leiten die der Kunst oder doch der Weltgewandtheit und Erziehung. Menschen von wenig Geist und Wissen verstehen es oft ausgezeichnet, eine großartige Unterhaltung im Gange zu erhalten, ohne daß sie selber eigentlich etwas dazu beitragen. Man muß es nur eben verstehen, andere durch ein Wort oder eine Frage zum Reden anzuregen.

Eine Plauderei darf eine Person allein oder doch zum größten Teil allein führen, die Unterhaltung[330] eines ganzen Kreises nicht. Der eine wird ja stets mehr als der andere dazu beitragen, aber sie allein beherrschen und die übrigen garnicht zu Worte kommen lassen ist wenig feinfühlend und auch durchaus unschicklich. Leider wird gerade gegen dies Gebot des guten Tons in unseren Gesellschaften, namentlich den kleineren, allzusehr gesündigt und niemand bedenkt dabei, wie verletzend oder unter Umständen langweilig es für die Unbeteiligten ist, stets nur zuhören zu sollen.

Ein Mittelding zwischen Plauderei und Unterhaltung ist das Gespräch. Es ist weniger reizvoll als erstere und nicht so feierlich als die andere. Ja, wir möchten fast sagen, schon im Klange des Worts liegt etwas Hausbackenes – und mit wie hausbackenen Dingen werden wir auch oft im Gespräch gelangweilt! Nicht nur daß manche Menschen die Gewohnheit haben, uns bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Gespräch festzuhalten, sie verbreiten sich auch über die gleichgültigsten, unbedeutendsten Geschehnisse, erzählen uns weitschweifig von den – nicht einmal allgemein interessanten – Angelegenheiten wildfremder Leute und sprechen natürlich mit Vorliebe von sich selber. Was man da zuweilen alles zu hören bekommt, ist unglaublich! Natürlich werden es nie wirklich gebildete und wohlerzogene Menschen sein, die sich solcher – bald hätten wir gesagt: Tierquälerei – schuldig machen und es gehört viel Duldung und Selbstbeherrschung von Seiten der Betroffenen dazu, ein derartiges »Gespräch« über sich ergehen zu lassen.[331]

Es ist überhaupt erstaunlich, wie wenige Menschen ein klares, sachgemäßes Gespräch ohne hundert Abschweifungen und überflüssige Längen zu führen vermögen. Freilich muß man, um das zu können, halbwegs logisch zu denken verstehen und sich vorher klar machen, was man eigentlich sagen will und worauf es hauptsächlich ankommt. Es ist daher allen, die sich bewußt sind, nicht eben sehr schlagfertig und gedankenschnell zu sein, anzuraten, sich stets vorher auf ein Gespräch – bei wichtigen weiß man ja im voraus, daß es bevorsteht – vorzubereiten, es wird dadurch dem Sprecher sowohl als dem Hörer viel Zeit und Qual erspart werden.

Auf eine Plauderei kann man sich allerdings nie vorbereiten – sie wird vom Augenblick geboren und ein hingeworfenes Wort, ein Gedankenblitz erzeugt sie. Sprudelnd wie die Schaumperlen, die edler Wein aufsteigen läßt, sprühen auch Geistesperlen in gehaltvoller Plauderei auf – wer wollte sie festhalten, wer sie vorher bestimmen! Dagegen kann man sich sehr wohl ebenso wie auf ein wichtiges Gespräch, auch auf gesellige Unterhaltung einigermaßen vorbereiten und zwar, indem man sich verschiedene allgemeine interessante Gesprächsstoffe zurechtlegt oder brennender Tagesfragen gedenkt, die, angeregt, eine belebte Unterhaltung ergeben könnten. Denn wie man für ein geselliges Beisammensein äußerlich Toilette macht, weshalb nicht auch geistige? Große Geister haben das ja, wie schon gesagt, nicht nötig, aber es braucht[332] durchaus noch kein beschränkter oder ungebildeter Mensch zu sein, der häufig in die verzwickte Lage gerät, sich im Augenblick auf nichts besinnen zu können.

Zu welcher Klasse gehören aber nun jene unversiegbaren, sich oft zu wilder Brandung steigernden Redeströme, die in den vielberühmten Damenkaffees alle Anwesenden mit fortreißen? fragt da vielleicht ein Boshafter. Haben sie Anspruch auf die Bezeichnung Plauderei, Unterhaltung oder Gespräch? Es wird da noch eine vierte Rangstufe geschaffen werden müssen – die des »Klatschens.« Ja, Verehrtester, überzeugten Sie sich denn, daß in allen Damenkaffees oder Thees, in allen nur von Frauen gebildeten Gesellschaften »geklatscht« wird? Es kommt doch immer auf die Zusammensetzung der einzelnen Elemente an und wir selber kennen Damengesellschaften, in denen vom lieben Nächsten garnicht die Rede, dafür aber um so eifriger von hohen geistigen oder künstlerischen Interessen gesprochen wird. Und andere kennen wir – was dem boshaften Frager vielleicht ebenso unglaublich klingen dürfte, an denen sehr elegante und nach neuester Mode gekleidete Damen teil nehmen, ohne daß doch nur ein einziges Wort über Toiletten laut wird – die Frauenwelt ist eben glücklicherweise doch nicht ganz so schlecht und oberflächlich, als man gewöhnlich von vornherein annimmt!

Freilich, es giebt schon Unterhaltungen zwischen Damen und nicht einmal ganz ungebildeten Damen, bei denen der Unbefangene nicht weiß, ob er davonlaufen[333] oder laut auflachen soll – die weder boshaft noch verleumderisch, nur so unglaublich albern und langweilig sind – aber darauf kommen wir später noch zurück.

Wir haben uns nun ausführlich über das Reden verbreitet, können aber diese Plauderei nicht schließen, ohne auch einige Worte über das Hören zu sagen. Daß auch letzteres bestimmten Regeln unterworfen und unter Umständen eine Kunst sein kann, ward schon vorhin angedeutet. Es ist allgemein bekannt, daß es als unhöflich gilt, einen Redner zu unterbrechen und, falls eine Einschaltung oder Zwischenfrage nötig erscheint, dafür um Entschuldigung zu bitten ist. Daß gerade hochgebildete und auch gesellschaftlich geschulte Menschen häufig gegen diese Regel verstoßen, findet man leider häufig, mag aber meist durch allzu große Lebhaftigkeit verschuldet und daher nicht allzu scharf verurteilt werden. Ein Verstoß bleibt es ja in jedem Fall.

Aus der Art, wie jemand zuhört, wird der Redner das größere oder geringere Interesse an seinem Vortrage erkennen. Man kann in sehr schmeichelhafter Weise zuhören, »ganz Ohr sein,« wie es bezeichnend heißt, und so den Vortragenden anfeuern, um so fesselnder zu sprechen. Und es giebt eine andere Art des Hörens, die nicht nur beleidigend für den Redner ist, sondern seinen Gedankengang stört, ihn unruhig weiterhasten oder sich ungezählte Male wiederholen läßt – so, wenn des Hörenden Blicke umherschweifen, man es seinem Gesicht ansieht, daß er garnicht bei der[334] Sache, oder die Rede gar alle Augenblicke durch eine störende Bewegung, eine nicht zum Thema gehörende Frage unterbrochen wird. Auch das verstößt gegen den guten Ton, denn selbst wenn der Vortrag nur langweilig, verlangt die Höflichkeitspflicht gegen andere, daß wir uns auch mit Anstand zu langweilen wissen. Wem es erspart bleibt, um so besser; man kann ja in Zukunft vermeiden, mit Menschen zusammenzutreffen, die uns langweilen und nur im eignen Hause ist es schwer, solchen Besuchern zu entrinnen. Was aber das heißt, weiß leider jeder. Es giebt thatsächlich Menschen, in deren Gesellschaft man nach wenigen Minuten von Gähnkrämpfen befallen wird und die sich einem »auf die Nerven« legen, wie die durchaus zutreffende Bezeichnung lautet. Der Himmel bewahre jeden gnädig vor solchen Besuchern! Lieber unbedeutende oder selbst boshafte Menschen ertragen, nur nicht solche, die gleich langweilig beim Reden wie beim Schweigen sind. Und wird es gar zu arg damit, so hilft es eben alles nichts, es muß einmal die Rücksichtsnahme auf andere beiseite gesetzt und der Verkehr abgebrochen werden. Zum Sclaven zarter Schonung soll man sich denn doch nicht machen und ebenso wie anderen sind wir solche auch uns selber schuldig. Gerade langweiligen Menschen gegenüber behält jenes bekannte Dichterwort Geltung, daß oft »erfrischend wie Gewitter wirken gold'ne Rücksichtslosigkeiten!«

Aber nur im Notfall, bitte![335]


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 327-336.
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