Kirchliche Feste.

Wir haben uns nunmehr eingehend mit den verschiedenen Familienfesten beschäftigt und möchten zum Schluß mit wenigen Worten auch der rituellen Feste gedenken, die ja jede Konfession je nach ihren religiösen Vorschriften feiert. In welcher Art diese Feier in Haus und Familie zu begehen, ist nicht die Sache des guten Tons, sondern des Gefühls. Doch möchten wir wohl dafür eintreten, diese Ruhetage im Getümmel des Lebens so genußreich und behaglich als nur immer möglich zu gestalten.

Genußreich – damit soll nicht gesagt sein, das geräuschvolle Vergnügungen und weltliche Genüsse sie ausfüllen sollen, im Gegenteil. So ein still in Haus und Familie oder im anregenden Freundeskreis verlebter Feiertag erfrischt – besonders wenn auch die Erbauung im Gotteshause nicht fehlte – Herz und Gemüt und macht uns um so tüchtiger für die berufliche Thätigkeit der nächsten zeit, während ein[202] durchschwelgter Festtag Geist und Körper erschlafft und mit Unlust zur Arbeit erfüllt.

Festtage sind das Paradies der Kindheit und man sollte schon der Kleinen wegen trachten, sie mit allem Zauber zu umkleiden, den konfessioneller Brauch und Sitte des Landes vorschreibt. Wir denken da in erster Linie an den poesievollen deutschen Weihnachtsbaum, der, aus heidnischer Zeit auf uns überkommen, mit vollem Rechte den Christen und Nichtchristen gehört und auch allmählich beginnt, in fremden Ländern heimisch zu werden. Wer ihn nicht zur Erinnerung an die Geburt des Weltheilands zum Weihnachtsfest in blendendem Kerzenglanz erstrahlen läßt, kann es ebensogut zur Feier der Sonnenwende, des nun wieder höher steigenden Tagesgestirns thun, in welchem Sinne es ja auch einst bei den Heiden geschah. Und selbst wenn man keinerlei tiefere Deutung damit verbindet – die Sitte ist schön und poetisch und hat deshalb allein ein Recht auf Bestehen und weitere Verbreitung. Wer erfreute sich nicht gern mit jubelnder Kinderschar unter strahlendem Tannenbaum, wer würde für diesen einen Tag im Jahr nicht wieder Kind unter Kindern und wer endlich, der für die Seinen nach besten Kräften ein frohes Fest bereitet, gedächte dabei nicht in thätiger Menschenliebe der Armen, die keine Festesfreude kennen?

Alle christlichen und außerchristlichen Feste lassen sich irgendwie mit der universellsten menschlichen Religion, dem Naturglauben, in Verbindung bringen. Wir möchten, an die christlichen anschließend, nur die[203] hauptsächlichsten derselben in dieser Doppeldeutung darstellen: Weihnachten – Geburt des Heilandes – Sonnenwende. Ostern – Auferstehung des Herrn – Auferstehung der Natur aus Winterschlaf. Pfingsten – Erleuchtung durch den heiligen Geist – Fest des Frühlings und der Blütenpracht – Erblühen des Geistes und Erblühen in der Natur. Und wenn dieser religiösen und naturgemäßen Deutung noch die humanistische beigefügt würde und man jedes Fest ein solches des Wohlthuns und der Menschenliebe sein ließe, dann erst wäre die Feier eine vollkommene.


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 202-204.
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