Verlobung.

[162] Im Leben, namentlich im Leben der Frau (siehe den Abschnitt über die alleinstehende Frau) ist es ja nun nicht so selbstverständlich, daß der Konfirmation nach kürzerer oder längerer Zwischenzeit die Verlobung folgt. Wir haben uns hier aber nur mit denen zu beschäftigen, welchen dieser wünschenswerte normale Lebensgang beschieden. Männer sind ja in der bevorzugten Lage, Herren ihres Thuns zu sein und sich ihr Leben nach eigenen Neigungen zu gestalten. Sobald sie eine feste Lebensstellung errungen, steht ihrer freien Wahl nichts mehr im Wege, und daß sie nicht allzu jung in diese Lage kommen, dafür ist durch die schwierigen Zeit und sozialen Verhältnisse ausreichend gesorgt. So können wir nur allen jungen Mädchen die dringliche Mahnung ans Herz legen, nicht gar zu bald nach dem Erwachsensein daran zu denken, sich fürs Leben zu binden. Erst die Jugend genießen, die schöne, herrliche Jugend und[162] die köstliche Freiheit, die auf immer dahin sobald man erst den Ring, das erste Glied der nie mehr zu lösenden Kette, am Finger trägt. Wie kann auch ein Frauencharakter ausreisen und zur Selbständigkeit gelangen, wenn die Abhängigkeit von den Eltern mit der vom Gatten vertauscht wird, noch bevor das junge Mädchen so recht weiß, was Leben heißt und vor allem nicht, was Ehe bedeutet. Schwer und bitter hat sich zu frühes Heiraten, abgesehen von dem geschmälerten Genuß froher Mädchenzeit, oft genug gerächt. Auch physiologisch ist es nicht zu befürworten und verständige Ärzte meinen, daß es nicht unter vierundzwanzig Jahren beim weiblichen Geschlecht geschehen sollte. Meist heiraten Mädchen ja früher, oft aber auch viel später, ohne daß der Ehe Glück durch letzteren Umstand beeinträchtigt worden wäre.

Wir möchten hier wohl die Frage einschieben: Wie lange zählt ein Mädchen eigentlich zu den jungen? Ja, lieber Himmel – so wenig Schönheit, Persönlichkeit, Wesen und Charakter eines Menschen je durch eine mathematische Formel auszudrücken sein wird, um so weniger sind für die Zeit der Jugend bestimmte Jahre oder doch engbegrenzte Zahlen festzustellen. Wie traurig wäre es und wie sehr unsere Mädchen zu beklagen, wenn Jugend und Schönheit nur an wenige Jahre gebunden sein sollten! Da die Schule sie bis zum sechzehnten Lebensjahre gefangen hält und dann gewöhnlich noch einige weitere Jahre der Ausbildung gehören, die, wenn ein Berufsstudium hinzutritt, sich[163] bis zum oder gar über das zwanzigste Jahr hinausziehen, blieben unseren jungen Mädchen, welche von gedankenlosen Menschen mit vierundzwanzig Jahren als »nicht mehr ganz jung« bezeichnet werden, mithin nur wenige Jahre der Jugend und des Jugendgenusses! Ist dagegen eine Tochter mit vierzehn Jahren eingesegnet und mit sechzehn, aller Lehr- und Studienjahre enthoben, in die Welt eingeführt worden, um alles, was diese sogenannte Welt an Zerstreuungen und Genüssen bietet, auszukosten, dann kann man bei Erreichung des vier- oder sechsundzwanzigsten Jahres mit mehr Berechtigung sagen: »Nicht mehr ganz jung,« denn auch die innere Jugendfrische, die Unberührtheit des Empfindens wird dann nicht mehr so kindlich rein sein wie bei der Jungfrau, die erst mit zwanzig Jahren anfängt, Vergnügen mitzumachen und das Leben kennen zu lernen.

Was heißt überhaupt bei der Frau jung oder alt! Wenn je eine Beurteilung an das Persönliche gebunden und individuell genommen werden muß, so ist es die über Jugend und Alter der Frauen. So lange ein Mädchen (oder Frau) jung aussieht, sich Frische des Wesens und der Empfindung bewahrt, so lange ist es jung und hätte es sich selbst den dreißig genähert oder diese gar überschritten. Sind denn nur Knospen schön und nicht auch voll erblühte Rosen? Und ging ja etwas an äußerem Jugendschmelz verloren, wird das reichlich durch um so höher entwickeltes Gemüts-und Geistesleben ersetzt. Nehmen wir doch einige[164] Beispiele aus dem Leben großer Männer und der in Verbindung mit ihnen genannten und mithin auch unsterblich gewordenen Frauen – Goethe war siebenundzwanzig Jahre und in der Blüte seiner Mannesschönheit und Geisteskraft, als er Charlotte von Stein kennen und lieben lernte. Diese war damals drei – mancher Lesart zufolge sogar siebenunddreißig Jahre alt, Mutter einer zahlreichen Kinderschar und – nicht schön. Der junge Halbgott, dem alle Herzen in der thüringischen Hauptstadt zuflogen, und der nur zu wählen brauchte unter den jüngsten, schönsten und vornehmsten Töchtern des Landes, erkor trotzdem gerade diese Frau zur Herzenskönigin und, was viel mehr sagen will, sie behauptete diesen Platz zehn Jahre hindurch.

Ein anderes Beispiel ist Rahel Levin-Varnhagen. Als sie ihren späteren Gatten kennen lernte, war sie dreiunddreißig und er neunzehn Jahre alt. Man verlobte sich, doch dehnten widrige Verhältnisse diese Verlobung elf Jahre aus. Rahel, die gleichfalls nie schön gewesen war, begann also als junge Frau von vierundvierzig Jahren ihre Ehe, die trotzdem eine so glückliche wurde, daß, als sie den Siebzigen nahe starb, Varnhagen den Körper einbalsamieren und im Sarge über dem Gesicht ein Glasfenster anbringen ließ. Dann ward sie im Gewölbe beigesetzt und ihr Gemahl, der die treue Gefährtin um zwanzig Jahre überlebte, wandelte tagtäglich auf den alten Jerusalemer Kirchhof in Berlin und verweilte einige Zeit bei der[165] Abgeschiedenen, da er den Anblick des geliebten Gesichts nicht entbehren zu können behauptete. Eine etwas »gruselige« Treue allerdings für unsere modernen Nerven und eine Romantik, die wir nicht mehr verstehen. Es war eben jene Zeit, da Bettina von Arnim schon bei Lebzeiten ihren Sarg im Zimmer stehen hatte und des Fürsten Pückler-Muskau »Briefe eines Verstorbenen« mit Begeisterung gelesen wurden.

Aber auch aus jüngster Zeit wäre ein Beispiel anzuführen wie selbst ältere Damen, und zwar ganz gegen ihre Absicht, jung erscheinen, weil ihr Wesen und Empfinden eben jung geblieben ist. So schrieb Ernst von Wildenbruch, der mit seiner Dichterfantasie gewiß ein anspruchsvoller Beurteiler der Frauen, in der Biographie einer zeitgenössischen Schriftstellerin, als er von ihren weißen Haaren sprach: »Und dabei ist die Dichterin noch jung – erst siebenundfünfzig Jahre!« Wieviel Frauenherzen Wildenbruch dadurch gewonnen, daß er siebenundfünfzig Jahre mit Jugend in Verbindung brachte, mag der Dichter selber garnicht ahnen!

Wie man aber auch über diesen Punkt denke, jeden falls ist es höchst unpassend und wenig feinfühlig, Frauen ihre Jahre vor- oder nachzurechnen, doch immer nur in der Absicht ein »nicht mehr jung« herauszuspüren. Denn niemand rechnet die siebzehn oder achtzehn Jahre der jungen Mädchen breitspurig vor, stets nur die älteren Jahrgänge. In diesem Sinne ist das Gebot des guten Tons, vor und zu Damen [166] nie vom Alter zu sprechen, ein wohlberechtigtes. Es schädigt eben keinen dritten, wenn er nicht bis auf die Stunde nachzurechnen vermag, wie viele Jahre dies hübsche Mädchen oder jene schöne Frau auf der Welt: daß er ihnen diese Epitheta beizulegen vermag, genügt ja durchaus – würden sie ihm weniger hübsch erscheinen, wenn er wüßte, sie zählen einige Jahre mehr, als er in gutem Glauben angenommen? Ein Mehr oder Weniger der Jahre kann doch die Persönlichkeit nicht wandeln!

Das sollten aber auch alle diejenigen Frauen bedenken, die durchaus ewig jung erscheinen wollen und in Erreichung dieses Scheines zu Mitteln greifen, die sie nur lächerlich machen. Man muß auch alt zu werden verstehen, das heißt, in Kleidung und Gebaren den Jahren angemessen erscheinen. Und da wir das Altwerden mit allen Sterblichen teilen, ja, geneigt sind, dasselbe als Himmelsgnade zu empfinden, weshalb sich des Altwerdens schämen! Es hat ja jeder seine Jugend gehabt und jeder sollte trachten, sie auszunützen wie nur irgend möglich. Und darum noch einmal: Bemessen wir unseren Mädchen die Jugend nicht zu kurz!

Jede Mutter wird ja nun bestrebt sein, ihren Töchtern die flüchtig enteilenden Mädchenjahre so angenehm zu gestalten als es die Verhältnisse irgend erlauben. Sie wird in erster Linie suchen, gleichaltrigen Verkehr heranzuziehen, junge Mädchen sowohl als junge Männer. Wer keine schwärmerische Backfischfreundschaft[167] geschlossen und keine heiteren Gefährten der Mädchenjahre gehabt, dem ist ein gut Teil des Jugendreizes und der köstlichen Jugendthorheiten verloren gegangen. Nicht alle freilich sind empfänglich für Mädchenfreundschaft veranlagt – sie sind zu beklagen, denn erzwingen lassen sich diese Neigungen ebensowenig wie jede andere Neigung.

Und nun eine andere große Frage, ähnlich der über die Dauer der Jugend bei den Mädchen – dürfen junge Männer ständig in einer Familie verkehren, in der es erwachsene Töchter giebt, ohne die Annahme herauszufordern, sie trügen sich mit Verlobungsgedanken oder doch mindestens mit Liebesgefühlen? Unsere modernen Junggesellen, dem Familienverkehr meist abhold und in ewiger Angst, man könnte ihnen Schlingen legen, die zum Heiraten führen, antworten da gewiß überzeugungsvoll: Nein! und fügen, die Überhebung, die in diesem Nein liegt, etwas abzuschwächen, wohl hinzu: »Die Welt ist stets geneigt, dies zu vermuten und man ist es schließlich den Damen schuldig, sie nicht ins Gerede zu bringen.«

Also wieder die liebe Welt! Und der unberechtigten Anmaßung dieser sogenannten Welt, harmlosen Verkehr zu verbieten, soll man wirklich das Zugeständnis machen, sich danach zu richten? Wie kleinlich und engherzig! Gerade wenn alle Verständigen bestrebt wären, so unsinnigem Geträtsch offen die Stirn zu bieten und sich in allem Thun und Treiben, das sie vor dem eigenen Gewissen verantworten können, nicht[168] stören zu lassen, würde müßiger oder boshafter Klatsch bald verstummen müssen. Weshalb sollten die jungen Männer, die noch an gemütvollem Familienverkehr Gefallen finden, darauf verzichten nur fremder Leute wegen? Sie selber müssen nur Selbsterkenntnis genug besitzen, um sich zu sagen, daß es denn doch nicht nur des Zugreifens ihrerseits bedarf, um das Ja jeden jungen Mädchens zu erlangen, sondern bei der Mehrzahl der letzteren doch noch Neigung und Auswahl mitsprechen. Wenn freilich die Überzahl der Frauen sich stetig so steigert, wie es in den letzten fünfzig Jahren der Fall, werden wir nach einem Jahrhundert allerdings aller Wahrscheinlichkeit nach dahin gelangen, daß die Männer Seltenheitswert erlangen und es ihnen nie mehr geschehen wird, sich einen Korb zu holen. Jetzt sind wir, Gott sei Dank, noch nicht so weit und bleiben hoffentlich für immer vor solchen Zuständen bewahrt.

Da es mithin Anmaßung und Illusion der heiratsfähigen Männer, daß jedes junge Mädchen sie nur aufs Heiraten hin beachtet, mögen sie ruhig die Scheu vor Familienverkehr überwinden lernen. Nirgends sind sie zum Verloben verpflichtet, wo ihr Benehmen nicht diese Vermutung herausfordert, und wenn die jungen Mädchen auch nicht gleich ans »Festhalten« denken, so wollen sie doch die Jugend genießen, tanzen, lachen, necken und fröhlich sein, und dazu sind eben junge Herren unentbehrlich. Letztere mögen sich also ohne Scheu und Skrupel diesen harmlosen Jugendfreuden hingeben![169]

Es mag ja in vielen Familien geschehen, daß allerdings gleich Pläne geschmiedet und Netze geworfen werden – solchen Verkehr werden Herren zu meiden wissen. Wenn nun aber Gott Amor sein uraltes Recht übt und zwei Herzen verwundet, wie werden alsdann die irdischen Formeln himmlicher Liebe erledigt – mit anderen Worten, was gebietet die gute Sitte in solchem Fall?

In Frankreich und manchen andern Ländern schreibt der Sittencodex der seinen Gesellschaft vor, daß die Eltern vorerst unter sich diese Angelegenheit ordnen und dann das junge Paar einfach als Verlobte einander zuführen. Da die »Liebenden« sich oft vorher nie gesehen haben, dürfte Amors Anteil an solcher Verlobung gleich Null sein. Auch in deutschen Landen war's zu Urgroßväter Zeiten Sitte – in hohen und höchsten Gesellschaftskreisen meist wohl auch noch heut, – sich zuerst an die Eltern zu wenden und ihre Zustimmung zu erbitten. Heut aber, wo das Recht der Persönlichkeit mehr zum Gesetz erhoben, gilt auch mehr freie Selbstbestimmung und das Herz entscheidet in erster Linie. Und darum wird der Liebende zuerst trachten, sich der Gegenliebe und des Jaworts seiner Erkorenen zu versichern, ehe er vor die Eltern tritt und sie um die Hand der Tochter bittet, deren Ja er bereits erhalten.

Es hat dies in durchaus würdiger Weise zu geschehen, feinster Gesellschaftsanzug, also Frack, weiße Binde und weiße oder doch belle Handschuh sind dabei[170] unerläßlich. Der Bewerber hat vorerst den Vater um die Unterredung zu bitten und sein Anliegen vorzutragen, das diesem ja selten ganz unerwartet kommen wird. Falls er im allgemeinen nichts gegen diese Verbindung einzuwenden, werden sich vor fest erteiltem Jawort doch Verhandlungen materieller Natur nicht umgehen lassen. Der Vater hat das Recht, zu fragen, welche Versorgung der Freier seiner Tochter zu bieten und dieser die heilige Pflicht, ohne Umschweife seine Verhältnisse darzulegen. Die Mitgift, oder der ständige Zuschuß, welchen die Braut erhält, wird besprochen und festgesetzt und wo kein Vermögen vorhanden, muß jeder charaktervolle Vater es als Ehrensache betrachten, den Bewerber durch nichts über diese Thatsache hinwegzutäuschen. Erst wenn all diese Punkte zu gegenseitiger Zufriedenheit erledigt, wird man sich mit der Mutter ins Einvernehmen setzen und, falls auch dieser der Schwiegersohn genehm, die Tochter herbeirufen, ihr der Eltern Einwilligung zu verkünden. Da wir von der Voraussetzung ausgingen, daß die Liebenden bereits einig und der Freier dies bei der Werbung dem Vater mitgeteilt, hat dieser nicht nötig, das Töchterlein erst feierlich um ihre Meinung über diesen Punkt zu fragen, wie ja überhaupt viele Worte überflüssig, wo das Gefühl spricht. Jeder der Beteiligten wird in diesem Augenblick genau wissen, was er zu sagen und zu thun, da es sich aus der Sachlage von selber ergiebt. Wer aber in solchen Momenten erst an die vorgeschriebene Form denkt und genau[171] erwägt, wie danach zu handeln, dessen künftige Ehe wird menschlicher Voraussicht nach keine glückspendende sein, denn wahre Liebe hat nichts zur Schließung des Bundes beigetragen!

Wo bei einer Werbung nicht alles so glatt verläuft und zu Aller Zufriedenheit mit Bestellung der Verlobungskarten endet, wird es Aufgabe des Vaters sein, eine Ablehnung so schonend als möglich auszusprechen und ferner strenge Diskretion über das Vorgefallene zu bewahren. Weder für die Tochter noch die Eltern ist es schicklich und dem Feingefühl Gebildeter entsprechend, sich der Körbe zu rühmen, die man ausgeteilt hat. Am besten ist jedenfalls, es erst garnicht zur offenen Werbung kommen zu lassen, wo man nicht geneigt, eine solche anzunehmen; ohne die Gebote der Höflichkeit zu verletzen, kann man den Mann, der Freiersgedanken verrät, durch ausweichendes Benehmen kund thun, daß seine Bemühungen vergebliche sind. Der Bewerber wiederum sollte sich vorher soviel als möglich darüber zu unterrichten suchen, was er zu hoffen oder zu fürchten und sich danach richten. In zweifelhaften Fällen ist es jedenfalls zu raten, schriftlich anzuhalten, der ablehnende Entscheid wird dann weniger peinlich für beide Teile sein.

In unserem Fall gilt es nun allerdings, an die offizielle Verlobung zu denken. Gewöhnlich wird dieselbe im engsten Familienkreise gefeiert, glänzende Feiern kommen mehr und mehr ab. Wo aber vor großer Gesellschaft eine Verlobung bekannt gemacht[172] wird, geschieht dies, indem der Vater, oder wie bei Hofe und in hochadligen Geschlechtern, das älteste oder auch vornehmste Familienmitglied, bei Tafel sich erhebt und das frohe Ereignis bekannt giebt, gleichzeitig ein Hoch auf das Brautpaar ausbringend. Die Verlobungsringe, welche der Bräutigam zu besorgen, hat man gewöhnlich schon vorher ausgetauscht; man wählt dafür je nach Belieben Brillantringe oder jene einfachen, jetzt sehr breit und schwer gehaltenen Goldreifen, welche nachher bei der Trauung gewechselt werden und den Ehering bilden. Daß der Bräutigam dem Ringe ein seiner Vermögenslage angemessenes Geschenk, fast ausnahmlos in Schmucksachen bestehend, beifügt, ist überall Sitte. Auch die Braut erwiedert dies Geschenk in Form einer Handarbeit oder eines kostbaren Gegenstandes (Brillantnadel, Knöpfe oder dergl.). Für unseren Geschmack ist nun ja die Handarbeit das kostbarere Geschenk, da sie selbstgefertigt und nicht mit dem Gelde der Eltern bezahlt ist.

Selbst wenn aber die Verlobung vor größerem Kreise bekannt gegeben würde, enthebt das keineswegs der Verpflichtung, dieselbe allen Freunden und Bekannten besonders anzuzeigen. Man bestellt für diesen Zweck am besten lithographierte Karten, die jetzt sehr groß, auf starkem, am besten gelblichen Papier und mit Goldschnitt gewählt werden. Da die Sitte allgemein geworden, daß außer den Eltern der Braut auch der Bräutigam die Verlobung anzeigt, nimmt man am besten Doppelkarten, deren vordere Innenseite[173] die Anzeige der Eltern, die zweite die des Bräutigams zeigt. Der Wortlaut solcher Verlobungsanzeigen ist so allgemein bekannt und so übereinstimmend, jede Zeitung bringt täglich deren so viele, die man nötigen falls zum Muster nehmen kann, daß es uns völlig überflüssig erscheint, hier eine Probe zu geben. Nur soviel sei angedeutet, daß auch hier jeder unnütze Wortschwall streng zu vermeiden ist, dagegen aber Stand oder Titel der Eltern sowie des Bräutigams, ebenso der Familienname der Brautmutter anzugeben sind. Auf manchen An eigen findet man überflüssigerweise auch Stand und Titel der Eltern des Bräutigams sowie den Familiennamen von dessen Mutter angegeben, also etwa in folgender Weise:


»Die Verlobung unserer Tochter Anna mit dem Bergassessor Herrn Egon Goelling, Sohn des Ministerialrat Goelling und seiner Gemahlin, geb. Gräfin Remo, beehren sich hiermit anzuzeigen«


Gustav Siemring u. Frau,

geb. Knebel.


Da man solcher Ausführlichkeit fast ausnahmslos nur dann begegnet, wenn die Eltern des Bräutigams höhergestellt sind als die der Braut gewinnt sie dadurch einen prahlerischen Beigeschmack und bleibt lieber fort. Es kommt ja bei einer Verlobung nur auf den Bräutigam an und nicht auf dessen Eltern; sind dieselben geringe Leute, wird es gewiß den Brauteltern nicht einfallen, in der Verlobungsanzeige auf sie zurückzugreifen. –[174]

Übrigens ist es der letzteren Sache, die Anzeige zu beschaffen; nur wo die Braut allein steht oder Witwe ist, wird der Bräutigam diese Sorge übernehmen. In solchem Falle wählt man auch den Wortlaut der An zeige so kurz als möglich, etwa:


Frau Marie Evers

geb. Wiedemann

Ernst Lohden, königl. Baumeister.

Verlobte.


Lebt die Witwe wieder im Hause der Eltern, werden diese Anzeige erlassen. Auch durch eine oder einige gelesene Zeitungen giebt man gewöhnlich die Verlobung bekannt und zwar im selben Wortlaut, wie ihn die Karten zeigen.

Alle aber, die solche Anzeigen empfangen, haben die Pflicht, innerhalb von acht Tagen ihre Glückwünsche schriftlich oder persönlich auszusprechen. Fernerstehende wählen meist den ersteren Weg, Freunde machen ihren Besuch. Sind die Eltern des Brautpaares am selben Orte, haben die des Bräutigams die Brauteltern zuerst aufzusuchen, um die Braut und deren Familie kennen zu lernen. Im anderen Falle beginnt die Mutter des Bräutigams den Briefwechsel, indem sie schriftlich die Schwiegertochter willkommen heißt. Gelegenheit zu persönlicher Begegnung wird sich dann bald von selbst ergeben und es von den Verhältnissen abhängig sein, ob die Braut vielleicht in Begleitung der Mutter zu den Schwiegereltern reist, oder diese die Reise zu den neuen Verwandten antreten. Formell[175] richtig ist das letztere; sind die Eltern des Bräutigams jedoch sehr alt oder besonders hochgestellt, werden sie erwarten, daß der Sohn ihnen die neue Tochter zu führt und diese wird solchem Wunsch gern Folge geben.

Einige Wochen nach der offiziellen Verlobung heißt's dann für das junge Paar, die Besuchsrunde bei Freunden und Bekannten anzutreten. Es geschieht dies gewöhnlich zu Wagen, innerhalb der vorgeschriebenen Besuchszeit, doch sollte man möglichst vermeiden, den Sonntag dafür zu wählen. Beide haben sorgfältigste Kleidung anzulegen, der Bräutigam Oberrock, hohen Hut und helle Handschuh, die Braut reiche, geschmackvolle Toilette, im Sommer am schönsten weiß, im Winter etwa dunklen Sammet, doch darf das Kleid nicht Schleppe haben. Man thut gut: einen Lohndiener bei der Fahrt mitzunehmen, denn wenn auch diese Verlobungsbesuche thatsächlich abzustatten sind und nicht nur durch Abgabe der Karten erledigt werden können, ist es doch bequemer, vorher durch den Diener hineinzuschicken und anfragen zu lassen ob die Herrschaften anwesend und geneigt sind, den Besuch zu empfangen. Bei ausgedehntem Bekanntenkreis ist es zu empfehlen, auch für diesen Zweck Doppelkarten fertigen zu lassen, welche die Namen des Brautpaars zeigen. Selbstredend zählen diese Vor stellungsbesuche nur nach Minuten, wenn sie nicht gerade lieben Freunden gelten, die das Paar nicht so schnell fortlassen werden.

Seinen Freunden hat der Bräutigam den Besuch[176] natürlich allein abzustatten, den sie ihm auch in seiner Wohnung erwiedern werden. Für Militärpersonen gelten im allgemeinen dieselben Höflichkeitsformen, Abweichungen sind, da sie zum Dienstreglement gehören, dem Betreffenden so geläufig, daß jede Andeutung hier überflüssig wäre.

Nach Erledigung all dieser unruhvollen konventionellen Pflichten dürften die Verlobten nun endlich zum Genuß der schönsten Zeit ihres Lebens, des Brautstandes, kommen. Oder nein, vorläufig noch nicht, denn alle, denen man Besuch gemacht, werden es sich nicht nehmen lassen, das Brautpaar zu größerer oder kleinerer Gesellschaft einzuladen, in der dieses den Mittelpunkt bildet und von allen Seiten mit Aufmerksamkeiten überhäuft wird. Die Braut dürfte sicherlich bei ihrem Gedeck den üblichen frischen Blumenstrauß finden und der Hausherr nicht verfehlen, bei der Mahlzeit die Gesundheit des Paares auszubringen. In nicht gar zu engen Verhältnissen versäumen auch die Brauteltern sicherlich nicht, nach einiger Zeit eine größere Gesellschaft zu geben, gleichsam zum Dank für alle empfangene Freundlichkeit und damit den Zweck verbindend, die beiderseitigen Verwandten und Freunde des Paares miteinander bekannt zu machen.

Und nun der Brautstand, der Verkehr des jungen Paares miteinander – was wäre darüber zu sagen, das nicht jeder wüßte! Auch hier ergeben sich die Formen äußeren Verkehrs aus dem innern Gefühl heraus und wäre da vielleicht nur – wenigstens in[177] den meisten Fällen – etwas Überschwang abzudämpfen. Es ist ja nur zu natürlich, daß die Verlobten am liebsten sich selbst gehören, sich nur miteinander beschäftigen möchten, doch darf dies nicht bis zur völligen Nichtbeachtung der Welt und ihrer Höflichkeitsgebote gehen. Auch der Familie ist man die nötige Rücksicht schuldig. Vor allem wird ein taktvolles Brautpaar vermeiden, in Anderer Gegenwart Zärtlichkeiten auszutauschen, was für dritte nur langweilig oder peinlich sein kann. In Deutschland ist ja den Verlobten viel mehr Freiheit und Vertraulichkeit gestattet als in andern Ländern, z.B. in England und Frankreich. Niemand wird etwas dagegen haben, daß der Bräutigam, falls er am selben Orte lebt, täglich kommt, auch daß er sein Bräutchen in die Arme nimmt und herzhaft abküßt, erscheint selbstverständlich. Sehr unschicklich aber ist es, dies in Anwesenheit dritter zu thun, es genügt da ein Handkuß zur Begrüßung. Und obgleich es eine Mutter vermeiden soll und es auch wenig passend wäre, ein Brautpaar ganz sich selbst zu überlassen, wird sie doch ein ständiges Aufseheramt weder ihrer noch der Verlobten – denen sie ein sittliches Armutszeugnis dadurch ausstellte – würdig erachten. Es wird sich für diese demnach stets Gelegenheit und irgend ein lauschiges Plätzchen finden, wo sich ihr gutes Recht, Zärtlichkeiten auszutauschen, ausüben läßt.

Kein Verlobter, der gebildeten Kreisen angehört, wird sich auch durch die zwischen Braut und Bräutigam[178] gestattete und so natürliche Vertraulichkeit verleiten lassen, die Ritterlichkeit gegen seine Verlobte von nun an außeracht zu lassen oder auch nur darin lässiger zu werden – das Gegenteil sollte vielmehr der Fall sein. Gerade der Frau, die er liebt und zu seiner Gattin zu machen gesonnen ist, wird jeder Mann doch um so mehr Hochachtung entgegenbringen und bemüht sein, dies durch sein Betragen zu beweisen. Aufmerksamkeiten, in Gestalt von Blumen und andern Geschenken, sind in der Brautzeit selbstverständlich und werden gegenseitig gegeben, doch wird in normalen Verhältnissen der Bräutigam sich da gewiß nicht den Vorrang streitig machen lassen, besonders da ja nicht der materielle Wert die Schätzung der Gabe bedingt. Blumen, stets die schönste und sinnigste Aufmerksamkeit, sind ja zum Glück auch für wenig Geld zu haben – es brauchen doch nicht gerade Orchideen zu sein! Falls aber die Mittel dazu vorhanden, sind auch kostbare Geschenke üblich. Im allgemeinen gilt es nicht als schicklich, Bestandteile der Garderobe dafür zu wählen, doch ist füglich nicht recht einzusehen, weshalb ein Verlobter, immer in dem Streben, die Braut so reizend als möglich und zwar nach seinem Geschmack zu schmücken, nicht gelegentlich einen besonders schönen Schirm, ein kleidsames Hütchen oder dergleichen Luxussachen mehr schenken darf. In Frankreich gilt sogar, auch in vornehmsten Kreisen, die Sitte, daß der Bräutigam eine ganze Truhe kostbarer Stoffe, Spitzen und anderer zur Garderobe gehörigen[179] Gegenstände als Brautgabe überreicht. Unseres Erachtens können es sich auch die deutschen Bräute gefallen lassen, in ähnlicher Weise von ihren Verlobten überrascht zu werden. Letztere werden Takt genug besitzen, nichts Unpassendes zu wählen.

Spaziergänge kann das Brautpaar allein unternehmen, ebenso Besuche. Wenn es sich zu Konzert und Theater von der Mutter, Schwester oder Verwandten begleiten läßt, ist das schicklicher, wenn auch nicht durchaus geboten. Zur Notwendigkeit wird die »Anstandsdame« nur beim Besuch von Bällen oder sonstigen größeren Vergnügungen, ist da aber auch unerläßlich in der guten Gesellschaft. Allein Reisen zu unternehmen, hat ebenfalls ein Brautpaar zu vermeiden, obgleich ja Fälle eintreten können, wo die Notwendigkeit es gebietet. Und da heißt's denn auch wieder, nichts verschweigen und bemänteln, sondern das Auge stolz erheben in dem Gefühl, sich keines Unrechts bewußt zu sein und die Gebote guter Sitte in eigner Brust zu tragen.

Die Kleidung der Braut sei während der Verlobungszeit, namentlich im Hause, möglichst einfach, was ja bekanntlich Geschmack und Kleidsamkeit in keiner Weise ausschließt. Weiß oder doch hell sind jedenfalls die geeignetsten Farben, falls die Braut nicht etwa in reiferen Jahren. Eine Blume wird sie mehr schmücken als kostbare Geschmeide. Sind solche Geschenke des Bräutigams, müssen sie allerdings getragen werden, doch bleibt dies für große Toilette[180] und Gesellschaft aufgespart. Nichts unfeiner und parvenümäßiger – auch für Frauen und ältere Damen – als sich im Hause mit aufdringlichen Schmucksachen oder gar Brillanten zu behängen!

Wie lange ein Brautstand auszudehnen, dafür kann es keine Vorschriften geben, da das einzig und allein von den Verhältnissen bestimmt wird. Angenehm ist eine allzulange Verlobungszeit sicherlich für keinen der Beteiligten, auch nicht für die Familie. Führt sie schließlich allen Hemmnissen zum Trotz zu glücklicher Vereinigung, so ist ja nichts verloren, denn zum Heiraten kommen beide Teile immer noch früh genug. Traurig aber ist, und namentlich für die Dame, denn den Mann berührt ein Mehr oder Weniger von Jahren nicht weiter, wenn nach langem Harren solche Verlobung mit einem Bruch endet. Es bedeutet für die Betroffene gewöhnlich nichts mehr denn weniger, als Zusammenbruch des Lebensglücks, denn verblüht und der Jugendfrische beraubt, ist kaum darauf zu hoffen, daß ein anderer Mann noch einmal um ihre Liebe wirbt. Dann heißt's, mit dem zerstörten Leben, das einst – und vielleicht mit vollberechtigten – Glückshoffnungen erfüllt war, sich abfinden, ohne erbittert und menschenfeindlich zu werden. Eine schwere Aufgabe, die nur großen Geistern zu lösen möglich!

Aber auch nach kurzem Brautstand kann es geschehen, daß eine Verlobung aufgelöst, und so peinlich dies sein wird, ist es in jedem Fall dem Unglück vorzuziehen,[181] in eine voraussichtlich unglückliche Ehe zu gelangen. Im Grunde ist die Verlobungszeit ja doch eine solche ernsterer und näherer Prüfung, und noch sind die Bande zu lösen, die später durch Gesetz und Eidschwur festgekittet und schwer oder gar nicht lösbar sind. Eine in die Brüche gegangene Verlobung ist schlimm, schlimmer aber eine spätere Ehescheidung, am traurigsten jedoch die schier zermalmenden Ketten einer unglücklichen Ehe bis ans Lebensende zu tragen. Das sollten alle bedenken, die während der Brautzeit sich bewußt werden, daß man doch nicht so ganz zu einander passe als es anfangs erschien. Noch ist's Zeit, sich vielleicht in einen andern Glückshafen zu retten, später giebt's keine Rettung mehr.

Erkennt man aber die Notwendigkeit und kommt zu dem Entschluß, eine Verlobung aufzulösen, muß dies von beiden Seiten so schonend als möglich geschehen. Es ist keineswegs geboten, allen welche offiziell von dem eingetretenen Ereignis unterrichtet wurden, nun die Lösung des Verhältnisses anzuzeigen – es gar durch die Zeitung bekannt zu geben, erscheint roh und gebildeter Menschen nicht würdig. Man braucht es ja nur den nächsten Bekannten mitzuteilen und kann sicher sein, daß diese schleunigst das Amt der Zeitung übernehmen werden. Es ist üblich und wird sich bei feinfühligen Naturen ja auch von selber verstehen, daß die verlobt Gewesenen Briefe und Geschenke zurücktauschen, auch Bilder, obgleich der Besitz eines Bildes bei der heutigen Verbreitung der Photographien[182] nicht mehr annähernd die schwerwiegende Bedeutung hat als zu Großmutters Zeiten. Für die Entlobte ist es am klügsten, allen neugierigen Fragen und Vermutungen, welche die Auflösung einer Verlobung stets mit sich bringen wird, durch eine Reise zu Verwandten oder Freunden zu entgehen, auch wird sie durch diese Ablenkung wohl am ehesten das gestörte innere Gleichgewicht wieder herzustellen vermögen. Allen übereifrigen Fragern und Spürern aber sei es gesagt, daß es ebenso unschicklich als herzensroh bleibt, je die Rede auf das gelöste Verlöbnis zu bringen, falls nicht die Beteiligten selbst das Thema berühren, was wohl nur zu nächsten Freunden geschehen wird.

Geht aber bei einer Verlobung alles seinen erwünschten Gang und kommt es zur frohen Hochzeit, so giebt es da für Brautpaar und Eltern tausend Dinge zu thun, zu erwägen, zu berücksichtigen, wobei Rat und Hinweis nicht unwesentlich erscheint und mithin unseres Amtes ist.[183]


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 162-184.
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