XIII. München und Mailand.

[259] »Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und wäre er in Ketten geboren,« sagt der unsterbliche Schiller. Aber wer ist denn so frei, daß er sich seiner Freiheit rühmen und von ganzem Herzen darüber freuen kann? Auf jeden Fall ist derjenige der freieste Mann, der die wenigsten Bedürfnisse hat, nichts von Andern braucht und sich nicht von seinen eigenen Leidenschaften tyrannisiren läßt. In diesem stolzen Bewußtsein meiner Freiheit verlebte ich meine Jugendjahre bis zum Eintritte in das Mannesalter.

Ich befand mich in einem ungemein glücklichen Zustande. Alle die großen Mühseligkeiten, die ich von früher Zeit an zu bekämpfen hatte, um mich in der Kunst emporzuarbeiten, däuchten mir Kinderspiele; nie und nirgends verlor ich den Muth. Eine große Heiterkeit des Geistes gesellte sich zu blühender Gesundheit und körperlicher Kraft, die mir alles, was ich unternahm, leicht machte. Das Fundament von dem Allem aber war, daß ich schon in frühester Jugend gelernt hatte, mich an die härtesten Entbehrungen zu gewöhnen. Darauf beruhte die innere Zufriedenheit mit meinem Schicksale. Ich hatte eben keine Bedürfnisse, wenn ich keine wollte, und schüttelte sie mit Leichtigkeit ab, wenn sie mir irgend hindernd in den Weg traten. Am allerwenigsten berührten mich die Schleppereien, mit denen sich die Menschen im gewöhnlichen Leben belasten und sich ihr Vorwärtskommen[259] selbst erschweren. Ich ließ sie unbeachtet liegen und wanderte mit leichtem Bündel meinem Ziele zu.

Diese heitere, schöne Zeit meiner Jugend, sie ist leider nur allzu schnell entschwunden, wie ein Traumbild an mir vorübergezogen, aber schöne Erinnerungen hat sie mir zurückgelassen, Erinnerungen an ein reiches, glückliches Leben, ein Leben voll Beschwerden und Kämpfen zwar, aber auch voll Freuden, voll großer Erfahrungen. Süß ist im Alter der Rückblick auf eine so glücklich durchlebte Epoche.

Nach zurückgelegtem 26. Jahre wählte ich mir eine Lebensgefährtin, und vorbei war es nun mit meiner Freiheit, mit jener Freiheit im schönen Sinne des Wortes, die den Menschen über alle ungünstigen Einflüsse von außen erhebt. Mit diesem Schritte übernimmt der Mann Pflichten höherer Art; er gehört nicht mehr sich allein an, die Sorge für ein zweites, drittes und noch mehr Wesen raubt ihm die Freiheit, seine Bedürfnisse nach Belieben zu beschränken. Daran knüpft sich eine unberechenbare Folge von Nachtheilen, die, wenn er die Sorge als Familienoberhaupt nicht aus den Augen verlieren will, auch seinem künstlerischen Wirken hemmend in den Weg treten. Diese Nachtheile ließen nun in Folge ungewöhnlicher Ereignisse in der That nicht lange auf sich warten.

Bei der Wahl meiner Gattin war ich zwar glücklich, ich fand an ihr eine treue, ergebene Lebensgefährtin mit dem reinsten Herzen und einem wahrhaft kindlichen Gemüth. Sie liebte mich mit Innigkeit und Zartgefühl; ihr ganzes Wesen war echte weibliche Tugend und zarte Sitte, aber eben das ist es, was dem Manne, wenn er nicht unedel handeln will, zarte Rücksichten auferlegt und Fesseln bereitet. Es gibt keine größere Macht als die Liebe, welche sich auf gegenseitige Achtung gründet.

Bis zu meiner Rückkehr aus Rußland fühlte ich eigentlich noch gar nicht recht, daß ich verheirathet war. Durch die Ereignisse mit fortgerissen führte ich ein unstätes Leben und hatte noch gar nicht Zeit, ernstlich daran zu denken, meinen eigenen Herd zu gründen. Drei Jahre hindurch war ich mit dem Soldatenleben auf das engste verwoben. Ich führte zwar nicht[260] das Schwert in der Hand, aber ich theilte mit den Soldaten alle Beschwerden des Krieges sammt dessen Gefahren. Dieses bewegte Leben übte großen Reiz auf mich. Mein heißes Blut wollte sich austoben, und mein unruhiger Geist fand seine Nahrung dabei. Jetzt aber war die Zeit gekommen, den Degen mit Pinsel und Palette zu vertauschen und an ein ernstes Studium zu denken. Ich hatte mir in den Feldzügen von 1809 und 1812 Schätze von Motiven für Bilder gesammelt, die mehr als ein Menschenalter erforderten, wenn ich auch nur das Bedeutendste davon ausführen wollte; aber für die ausübende Kunst hatte ich in jenen Jahren viele Zeit verloren. Ich war daher jetzt ernstlich darauf bedacht, mich an die Staffelei zu setzen und meinen Haushalt möglichst einfach einzurichten, denn daß vorerst für längere Zeit meines Bleibens in München nicht sei, war wohl zu vermuthen.

Der Uebergang von dem Leben, das ich so lange Zeit geführt, zurück in die engen Schranken des Alltäglichen war nicht so leicht, als ich mir anfänglich gedacht hatte. Recht süß war es zwar, an der Seite einer liebenden Gattin zu leben, die in meiner Abwesenheit mir einen kräftigen Knaben geboren, aber die Stubenluft wollte mir nicht behagen, es kam mir alles so enge vor. Acht Monate lang hatte ich mich in freier Luft bewegt, Wind und Wetter und allen klimatischen Einflüssen ausgesetzt; von Ende Juni bis Ende November hatte ich kaum mehr in einem Bette geschlafen, und nun schien mir alles, was mich umgab, so weichlich, mitunter kleinlich, und eine Menge Dinge, auf die man im gewöhnlichen Leben so oft einen großen Werth legt, kamen mir so entbehrlich, wo nicht abgeschmackt vor, daß ich es sehr lächerlich fand, wie sich die Menschen mit so vielem belasten können. Es brauchte lange Zeit, bis ich mich wieder in ein bequemeres Leben gewöhnt hatte, jedoch eine entschiedene Abneigung gegen alles Weichliche ist mir bis in mein hohes Alter geblieben. Uebrigens hatte mich dies so geraume Zeit geführte Leben so gekräftigt, daß ich bei meiner Ankunft in München ganz blühend aussah und Jedermann, der mir begegnete, sich darüber wunderte.[261]

Mit ganz besonderem Wohlbehagen setzte ich mich nun an meine Staffelei und entwarf ein paar Bilder, von denen aber nur eines zur Ausführung kam; denn bald wurde diese Arbeit unterbrochen durch den Auftrag, ein Reiterportrait des Prinzen Karl von Bayern zu malen. Dieser stand damals in der Blüthe des Jünglingsalters, war ein guter Reiter und zu Pferd eine schöne Erscheinung. Mit großer Freude ging ich an die Ausführung dieses Bildes. Diesem folgte ein zweites Reiterportrait des in der Schlacht bei Borodino verwundeten und zu Moshaisk gestorbenen Barons Karl von Zweibrücken. Nicht ohne Wehmuth ging ich an diese Arbeit: ich hatte eine große Anhänglichkeit an diesen meinen frühern Beschützer, der seine Heldenlaufbahn so frühe enden mußte.

Eine größere Arbeit konnte ich ungewiß über meine künftige Stellung und die Dauer meines Aufenthaltes in München nicht unternehmen: es fehlte mir zudem ein passendes Atelier und die nöthige Ruhe.

Unterdessen trafen die erschütterndsten Berichte über den unglücklichen Rückzug der Armee in München ein. Eine Trauerpost folgte der andern. Das verhängnißvolle 29. Bulletin legte ein offenes Bekenntniß vom gänzlichen Untergange der Armee ab. Es bildete einen furchtbaren Contrast zu den früheren napoleonischen Bulletins voll Bombast und Prahlerei.

Allmählig kamen die traurigen Zeugen des Unterganges zum Vorscheine: Offiziere der verschiedensten Grade und Waffengattungen kehrten in bejammernswerthestem Zustande nach München zurück und gegen das Frühjahr 1813 erreichten 1400 Bayern, vom Generale Graf Rechberg geführt, die Grenzen ihres Vaterlandes: der Rest der 30000 Mann herrlicher Truppen, die vor einem Jahre ausgezogen. Welch ein Schmerz für das treffliche Herz des guten Königs Max, welch ein Herzeleid für das ganze Land!

All dem Jammer, welcher jetzt kund wurde, konnte ich ruhig zusehen. Aber ich war stets tief ergriffen, so oft neue Trauerposten zu uns gelangten; viele mir sehr werthe Freunde hatte ich bei der Armee zurückgelassen, deren Schicksal mir nicht[262] gleichgiltig sein konnte, und obwohl das Schlimmste, was ich hörte, mich nicht überraschte, stimmte es mich oft recht traurig, alle meine schlimmen Vermuthungen verwirklicht zu sehen. Niemand konnte sich vorstellen, wie sich das durch den verunglückten Feldzug entstandene Chaos entwickeln werde. Das aber stand bei mir fest, daß ich im Jahre 1813 nicht wieder nach Rußland werde reisen müssen, um mich bei der Armee einzufinden. Diese Ansicht war schon beinahe Ueberzeugung gewesen, als ich Moskau verließ. Was ich übrigens zu thun habe, wußte ich selbst nicht, und so verstrich das Frühjahr und ein Theil des Sommers mit unbedeutenden Arbeiten.

In Bayern herrschte eine ungewöhnliche Thätigkeit, wieder eine neue Armee in das Feld zu stellen. Mit welchen Opfern dies geschah, läßt sich leicht vorstellen. In unbegreiflich kurzer Zeit stand eine große Anzahl gut ausgerüsteter und exercirter Truppen auf den Beinen. In der Nähe von München wurde ein großes Lager bezogen, um sie im Felddienst einzuüben. Hier ereignete es sich, daß ein furchtbarer Orkan losbrach, der das ganze Lager zerstörte und die Zelte sammt einer Menge anderer Geräthschaften auf der Ebene weithin forttrieb und herumschleuderte. Viele betrachteten dieses Ereigniß als eine Vorbedeutung des Ungemachs, welchem diese Armee auf's Neue entgegenzugehen bestimmt sei. Doch sollten diese deutschen Söhne nicht noch einmal für napoleonische Eroberungen sich verbluten, vielmehr ihre Wassen gegen ihn kehren. Freilich getraute man sich damals kaum, das recht zu denken, aber in den meisten Herzen regte sich das empörte Gefühl über die Rücksichtslosigkeit, mit der in den napoleonischen Kriegen die deutschen Bundestruppen hingeopfert und behandelt wurden. Das Maß der verletzten Menschenrechte war voll und das Streben, das unwürdige Joch abzuschütteln, immer fühlbarer.

Napoleon hatte schon im Dezember die Armee verlassen, einige Zeit darauf auch Murat. Prinz Eugen, der seines ritterlichen Charakters wegen am längsten das Vertrauen der Truppen sich bewahrte, hielt die traurigen Reste der unglücklichen Armee noch zusammen, bis Napoleon im Frühjahre mit einer neuen[263] Armee wieder in Deutschland vorrückte. Sein Genie und die Macht, die er noch in Händen hatte, thaten Wunder. In kürzester Zeit konnte er wieder eine neue Armee in's Feld führen, aber es waren nicht mehr die alten Soldaten, an deren Fersen der Sieg fesselt war. Ihrem Laufe war schon das Ziel gesteckt, ehe sie Preußens damalige Grenzen erreichten. Deutschland hatte sich ermannt und rief Napoleon das ernste Wort entgegen: »Bis hieher und nicht weiter.«

Prinz Eugen wurde gegen Ende des Frühjahres beordert, nach Italien zu gehen, um auch dort eine neue Armee zu organisiren. Alles handelte sich ja damals darum, Geld und Soldaten herbeizuschaffen, um den Krieg mit Nachdruck eröffnen zu können. Aber in Italien stieß man auf große Schwierigkeiten; der brauchbaren jungen Leute für den Kriegsdienst wurden immer weniger, man mußte zuletzt Verheirathete nehmen. Dies erregte, verbunden mit den übrigen großen Lasten und Erpressungen, eine sehr üble Stimmung. Die Italiener sahen finster darein und machten einstweilen die Faust im Sacke. Mit gewaltigen Zwangsmaßregeln gelang es wohl zuletzt, wieder eine Armee in's Feld zu führen, aber sie taugte nicht viel, sie bestand aus Rekruten und Neulingen, die, wenn sie vor den Feind kamen, sich schlecht schlugen. Was Gelegenheit fand zu desertiren, lief davon, und die strengsten Maßregeln dagegen blieben erfolglos. Der gute Prinz Eugen hatte schweren Stand unter so mißlichen Verhältnissen. Die Italiener werden bei richtiger Behandlung im Verlaufe der Zeit auch gute Soldaten, sie haben unter napoleonischer Zucht Beweise hievon gegeben, aber sie brauchen länger, als irgend eine andere Nation, bis sie sich gewöhnen, Pulver zu riechen und Kugeln pfeifen zu hören.

Zufällig war ich nicht in München, als der Prinz auf seiner Durchreise nach Mailand einen Tag dort verweilte, aber schon nach einigen Wochen brachte mir ein durchreisender Courier den Befehl, mich mit allen Zeichnungen, die ich aus Rußland gerettet, in Mailand einzufinden. Um Zeit zu gewinnen und eine begonnene Skizze der Schlacht bei Borodino zu vollenden,[264] schrieb ich nach Mailand und erbat mir Reisegeld, das ich auch umgehend erhielt. Gegen Mitte Juli verließ ich mit Frau und Kind München. Um schnell zu reisen, hatte man damals kein anderes Beförderungsmittel als Extrapost. Da man am Hofe des Vicekönigs gewohnt war, jede Ordre schnell und pünktlich vollzogen zu sehen, fuhr ich Tag und Nacht und kam am dritten Tage in Mailand an. Die Freude meiner Frau machte sich in einem Strome von Thränen Luft, als wir nach einer sechzehnmonatlichen Abwesenheit, in der so viel Wichtiges vorgefallen und auch ihr Vater gestorben war, an einem heitern Morgen bei der Porta Orientale einzogen.

Ich begab mich unverweilt zu meinem Gebieter nach Monza. Er empfing mich in Gegenwart seiner reizenden Gemahlin mit den Worten: »Voilà le déserteur!« aber er war gewohnt, nicht lange zu grollen. Meine Zeichnungen sah er bis zum letzten Blättchen mit großer Aufmerksamkeit und Interesse durch und freute sich, daß ich so vieles gesammelt und alles gerettet habe. Er empfahl mir, diese Sachen ein wenig zu ordnen, Einiges, was sehr flüchtig entworfen war, besser auszuführen und alles sorgfältig zu bewahren, bis er weiter disponiren würde. Sein lebendiger Geist fand mitten unter dem Drange wichtiger Geschäfte Zeit, seine Aufmerksamkeit auch diesen Dingen zuzuwenden. Hier sah ich den Prinzen zum letzten Male in Italien, er ging bald darnach zur Armee ab, um einen erfolglosen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen. Erst zwei Jahre später sah ich ihn in München wieder.

Die Uebergangsperiode vom Jahre 1813 bis 1815 versetzte die meisten Menschen in eine recht unbehagliche Stimmung, welche beinahe in ganz Europa und ganz besonders in Italien fühlbar war. Mit immer düstereren Wolken umhüllte sich der politische Horizont und wie einem schweren Gewitter eine lästige Schwüle vorangeht, so drückte dieser Zustand auf die Gemüther und hemmte die freie Bewegung des geistigen und materiellen Lebens. Man fühlte, daß ein großer Mann nicht allein zu Grunde geht, sondern daß er in seinem Falle Tausende mit sich fortreißt. Mit banger Erwartung sah man der Entwicklung[265] der furchtbarsten Katastrophe der neueren Zeit und dem Gange der Kriegsereignisse entgegen, aber in einem Punkte liefen alle Wünsche, alle Hoffnungen zusammen: in der Sehnsucht nach dauerndem Frieden. Der Krieg war unerträglich geworden, man wollte eine Aenderung um jeden Preis.

Für mich war die Zeit vom Sommer 1813 bis zum Jahre 1814 eine sehr trübe. Ich betrachte sie für mein Künstlerleben als eine fast ganz verlorene. Nicht, daß ich müßig gewesen wäre, aber es war weder ein Gedeihen, noch ein Fortschreiten in dem, was ich schuf, es war ein künstlerisches Vegetiren, was sonst gar nicht in meiner Art lag. Ich lebte still und zurückgezogen in meiner Familie, die sich im November um ein Töchterlein vermehrte und wartete ruhig den Gang der Ereignisse ab.

Zu Anfang des Jahres 1814 verdüsterte sich die Stimmung in Mailand. Die italienisch-französische Armee wurde durch die österreichische unter dem Feldmarschall Bellegarde langsam zurückgedrängt bis gegen Mantua. Mailand war gänzlich von Truppen entblößt, was gerechte Besorgnisse erregte. Man errichtete deßhalb eine Art Nationalgarde zur Wahrung der innern Sicherheit. Sie wurde guardia civica genannt und bestand aus Besitzenden (possedenti), Staatsdienern und solchen Individuen, deren Interesse an den Staat gekettet ist. Dieses Corps trug (mit Ausnahme der Officiere) keine Uniform; man erhielt eine Vorladung zugesandt, durch die man auf ein corpo di guardia beschieden wurde. Dort erschien man in beliebiger Kleidung, erhielt Ober- und Untergewehr nebst Patrontasche und bezog die Wache. Auch ich erhielt zu verschiedenen Malen eine solche Vorladung, stellte mich aber nicht ein; zuletzt wurde ich dringend aufgefordert, vor dem Generalstabe zu erscheinen. Dieser Vorladung leistete ich Folge. Man befragte mich um die Gründe, weßhalb ich mich nicht zu diesem Dienste einfinde. Ich erklärte, daß ich in den gegenwärtigen, mißlichen Verhältnissen in Mailand eine ganz neutrale Stellung zu beobachten wünsche. Ich würde mich ruhig verhalten, keiner Partei anschließen, und auf keinen Fall einen[266] Waffendienst verrichten. Man machte nun auf italienische Art eine Menge schöner Worte und stellte die Sache in das vortheilhafteste Licht, aber ich beharrte auf meiner ersten Erklärung, motivirte diese jedoch etwas mehr und sagte: »Ich bin Künstler; meine Verbindlichkeiten gegen den Vicekönig legen mir die Pflicht auf, diesen im Kriege und auf Reisen zu begleiten. Ich stehe unmittelbar unter seinen Befehlen und unter keinem andern Commandanten. Sobald er mich rufen läßt, werde ich meinen Verbindlichkeiten nachkommen. Sowie ich mich aber zu militärischen Diensten hergebe, muß ich mich unter einen andern Commandanten stellen. Das verträgt sich nicht mit meinem Dienst.« Ich fügte noch hinzu, wenn hier ein Zwang stattfinden sollte, so müßte ich um einen Paß nach Bayern bitten. Dorthin wollte ich mich dann begeben und die weitern Ereignisse abwarten.

Der Obrist des Generalstabes fragte mich, ob ich gesonnen sei, diese bestimmte Erklärung schriftlich zu geben. Ich bejahte es, erhielt Feder und Papier und schrieb sie nieder. Von diesem Augenblicke an ließ man mich in Ruhe; ich wurde auf keine Weise weiter belästigt und lebte zurückgezogen mit meiner Familie und bei meinen Arbeiten bis zum gänzlichen Sturze der napoleonischen Regierung.

Die üble Stimmung nahm in Mailand von Tag zu Tag zu. Wer diese Stadt des Luxus und der Ueppigkeit in ihrem Glanze gesehen hatte, auf den mußte sie in den ersten drei Monaten des Jahres 1814 einen höchst langweiligen, ja betrübenden Eindruck machen. Viele der bei der Regierung Angestellten waren durch die schlimmen Gerüchte, die von dem Mißgeschicke der französischen Waffen sich verbreiteten, eingeschüchtert und um ihre Existenz besorgt. Durch die Abwesenheit des Militärs, besonders der Garden, fehlte ein Hauptglanzpunkt der Stadt. Das Militär hatte ja sehr viel Geld in Umlauf gebracht, besonders die Nobelgarde. Diese bestand meistens aus Adeligen und Söhnen reicher possedenti; fast jeder dieser Leute hatte seine eigene Geliebte (mantenuta), und diese Geschöpfe, die ihr leicht erworbenes Geld auf Putz- und[267] Luxusgegenstände verwendeten und so wieder unter die Leute brachten, waren jetzt ebenfalls in ihrer Existenz bedroht und mit ihnen noch unzählige Menschen. So stockte alles, und der Mangel an Geldverkehr und öffentlichen Belustigungen war sehr drückend. Das Ganze glich einem Körper, der einem Siechthum entgegengeht.

So schleppte sich alles fort bis Mitte April. Die Nachricht hatte sich schon früher verbreitet, daß die Verbündeten in Paris eingezogen und Napoleon für sich und seine Nachkommen der Krone entsagt habe. Prinz Eugen, der von den Oesterreichern in Mantua eingeschlossen war, wurde durch den französischen Senat seiner Stelle als Vicekönig von Italien enthoben und erhielt den Befehl, die unter seinem Commando stehenden französischen Truppen nach Frankreich ungehindert zurückgehen zu lassen. Bald darnach führte der Divisionsgeneral d'Anthouard diese Truppen an den Stadtmauern Mailands vorbei, ohne die Stadt selbst zu betreten. Die Würfel waren gefallen und in dem für den Augenblick herrenlosen Mailand gährte es ernstlich. Am 20. April brach eine Revolution los, die einen sehr ernsten Charakter anzunehmen drohte und wobei der Finanzminister Prina ein Opfer der Volkswuth wurde.

Es verbreitete sich das Gerücht, daß der Senat von Mailand beabsichtige, Schritte zu thun, um im Namen der Nation bei den Verbündeten den Prinzen Eugen als König von Italien zu begehren. Wie sich die Sache in Wirklichkeit verhielt, vermag ich nicht zu sagen, aber richtig ist es, daß am 19. April Unterschriften gesammelt wurden, um sich eigenmächtigen Schritten des Senates in dieser Angelegenheit zu widersetzen, ein Theil des Adels stand hiebei an der Spitze; man trieb die Sache im Theater della Scala am Abende ganz offen. Tags darauf versammelte sich der Senat zu einer außerordentlichen Sitzung; vor dem Palaste des Senates hatte sich ein kleiner Haufen Menschen zusammengefunden, der sich anfangs damit begnügte, die Senatoren zu verspotten und mißliebige Töne auszustoßen; im übrigen ließ er die Wagen ungehindert hineinfahren. Nach[268] und nach aber wuchs dieser Haufe zu einer ungeheuern Menschenschaar an, die bald durch gehässige Gerüchte in wilde Aufregung kam. Man drang in den Palast und Sitzungssaal, insultirte die Senatoren und zwang den Präsidenten, die Sitzung aufzuheben. Bald folgten gröbere Excesse. Das Volk ging zur Plünderung und Zerstörung über, vor allem wurden die Papiere des Senats vernichtet, die Senatoren mußten von je zwei Officieren der guardia civica am Arme in ihre Wagen gebracht werden, um sie vor der Volkswuth zu schützen.

Mit Ungeduld harrte das Volk auf das unglückliche Schlachtopfer dieses Tages, welches man in der Sitzung anwesend glaubte: auf den Finanzminister Prina. Wie aus einem Munde schrien alle, daß die Luft zitterte: »Prina, Prina, fuori Prina!« Es war ein fürchterliches Todesurtheil, das mir heute noch in den Ohren gellt. Prina war jedoch nicht anwesend. Um ihn zu suchen, drang der wüthende Haufe massenweise in den Palast und begann eine furchtbare Zerstörung: Möbel, Spiegel, Bilder, Büsten, Bodenteppiche, Gefäße, kurz, was irgend losgemacht werden konnte, wanderte zu den Fenstern hinaus. Man belustigte sich, alles zertrümmert zu sehen, und begnügte sich mehr mit der Zerstörung als mit dem Plündern. Was an Büchern, Schriften, Documenten vorhanden war, nahm denselben Weg auf die Straße. Das gab ein wahrhaft tragikomisches Bild. Der Palast des Senates stößt nämlich dicht an den mit üppigen Bäumen bewachsenen giardino publico, und da es ein regnerischer, windiger Tag war, so hingen alle Bäume voll Schriften und Papiere, die der Wind weit umher wehte und sein Spiel damit trieb. Auf solche Weise tobte das Volk fort, bis gegen 3 Uhr Nachmittags, wo das Haus ausgeleert dastand.

Ueber dieses tragische Ereigniß bin ich in der Lage, ganz authentische Nachrichten zu geben, da ich mein Atelier damals in dem ehemaligen Kloster zu St. Pietro celestino hatte, das dicht bei dem Senatsgebäude steht und mir somit die Gelegenheit geboten war, den ganzen Vorgang von seinem Anfang an zu beobachten.[269]

Nach 3 Uhr ging der Strom gegen das Haus Prina's; auch dieses Palais wurde durchsucht, ohne diesen finden zu können, und nun begann auch hier die Zerstörung mit noch ärgerer Wuth, als im Senatsgebäude. Das Haus glich von außen einem Ameisenhaufen; man ging so weit, daß die stärksten eisernen Fenstergitter wie schwacher Draht herausgerissen wurden. Es war Erstaunen erregend, was Menschenhände in so kurzer Zeit zerstören können. Bis gegen Abend blieb nichts mehr vorhanden, als die nackten Mauern.

Gegen 7 Uhr Abends soll man endlich Prina unter dem Dache gefunden haben; er hatte sich bis dorthin von Gemach zu Gemach geflüchtet, und mußte all das Schreckliche mit anhören. Im Triumphe wurde er in den ersten Stock heruntergeschleppt, der zahllosen Volksmenge auf dem Balkon zur Schau ausgestellt. Da ertönte der fürchterliche Ruf: »giù, giù, butta giù, questa canaglia!« Das geschah auch, und er wurde nun mit Fußtritten und den Spitzen der Stöcke und Regenschirme empfangen.

Von einem Einschreiten gegen das wüthende Volk konnte gar keine Rede sein: Mailand war gänzlich von Truppen entblößt, einzelne Patrouillen wurden verhöhnt, wo sie sich zeigten; ein einziger Mann wurde respectirt: der würdige alte General Pino. Dieser ritt mit einigen Adjutanten und Officieren in den Straßen herum und suchte das Volk durch Vorstellungen und gute Worte zu besänftigen. Er kam auch zu jenem fürchterlichen Auftritte, und da Prina zu beichten begehrte, brachte er es dahin, daß jenem dieser letzte Trost gewährt wurde. Prina wurde dazu in das Lokal eines nahe gelegenen Mercante di vino gebracht. Man sagte, General Pino habe hiebei Versuche gemacht, das Volk zu beschwichtigen und von weiteren Mißhandlungen des schon halb zu Tod gequälten Prina abzuhalten. Deßhalb habe er einem Adjutanten insgeheim den Auftrag gegeben, Prina zu verbergen, und dieser habe ihn in ein leeres Faß gesteckt. Als aber Prina zu lange nicht zum Vorschein kam, fiel das Volk über den Adjutanten her, der sich nur dadurch retten konnte, daß er ihnen sein Schlachtopfer überließ.[270]

In dem Weinhause hat der unglückliche Minister auf jammervolle Weise geendet. Man erzählte sich die abscheulichsten Dinge, mit welch' satanischer Bosheit er langsam zu Tode gemartert worden sei; erst gegen 3 Uhr Morgens soll er verschieden sein. Auch sein Leichnam wurde noch mißhandelt und an Stricken bei Fackelschein durch die Straßen geschleppt. Eine Patrouille der guardia civica soll den Leichnam endlich aus den Händen des Pöbels mit guten Worten befreit haben.

Das Palais Prina's wurde einige Zeit darauf dem Erdboden gleichgemacht; man wollte alles entfernen, das an dieses Ereigniß erinnern konnte.

Prina war schon längst eine allgemein verhaßte Persönlichkeit. Man beschuldigte ihn, daß er durch sein seltsames Talent, immer neue Finanzquellen zu entdecken und aus dem Volke Geld zu pressen, sich bei Napoleon in hohe Gunst gesetzt habe. Der Italiener aber liebt das Geld über alles; wer ihm dieses nimmt, greift in sein Herz! In der That waren auch in der letzten Zeit der napoleonischen Herrschaft die Lasten unerträglich gewesen, war doch der Sinn aller Reden und Dekrete Napoleons seit dem russischen Feldzuge nur: »Schaffet mir Geld und Soldaten!« In Mailand mußte sein Organ, der Finanzminister, welcher ihm nur zu gute Dienste geleistet hatte, dafür büßen. Man sagte sich auch über Prina's Privatleben wenig Gutes. Zu seinem Unglücke war er von Geburt Piemontese; diese waren 1814 noch nicht so beliebt in Mailand wie 1859.

Noch am 20. April trat eine provisorische Regierung aus Männern zusammen, deren Namen bei dem Volke einen guten Klang hatten. Es wurden zwei Plakate an allen Straßenecken angeschlagen. Das eine rief alle gutgesinnten Bürger auf, unter die Waffen mit einer weiß und rothen Cokarde zu treten und zur Herstellung der Ordnung beizutragen; durch das zweite wurden die Abgaben auf Tabak, Salz und Stempelpapier aufgehoben.

Ein wahrhaft komisches Aussehen hatte die Stadt am 21. April. Mit dem Oberhaupte der Douanen, dem Finanzminister,[271] verschwanden alle Douaniers. Der Eingangszoll für Lebensmittel fiel damit weg und nun zeigte sich die Industrie des Italieners. Mailand wurde mit Waaren und Viktualien aller Art, die sich aufbewahren lassen, auf Jahre hin versehen; die Verzehrungssteuern waren sehr bedeutend gewesen und nun beeilte sich alles, möglichst viel Produkte hereinzubringen. Alle Straßen standen voll Karren und Leuten, die beschäftigt waren, jene Produkte abzuladen. Eine große Rolle spielten hiebei Käse, Wein und Branntwein, Oel, Speck u.s.w.

Ein anderer Gegenstand brachte auch Leben in die Straßen; unzählige Menschen entwickelten eine rastlose Thätigkeit, um jedes Andenken an die napoleonische Herrschaft zu vertilgen. Alle Wappen an den öffentlichen Gebäuden, an Lotterie- und Tabaksläden und sonstigen privilegirten Lokalen wurden herabgerissen und mit Lust zerstört. An den Straßenecken sah man Tüncher stehen, die emsig beschäftigt waren, Aufschriften verschwinden zu machen, die irgend eine Beziehung auf die napoleonische Herrschaft und ihre Glorie hatten. Immer belustigte sich hiebei ein großer Haufen Volkes und machte Witze und Bemerkungen zu diesen Arbeiten. Dann kam wieder ein langer Zug, der jubelnd durch die Straßen drang, vor ihm her Leute, die, statt den Fahnen, an langen Stangen gelb und schwarze Tücher und Bänder trugen. Sie zogen auf den Platz vor der Residenz, wo das wenige Militär, das noch in Mailand anwesend war, aufgestellt wurde und verhöhnten dasselbe. Neben diesen burlesken Auftritten gab es auch ernsthafte Versuche, zu plündern. Diesen wurde jedoch jedesmal durch die guardia civica Einhalt gethan. Die Errichtung derselben erwies sich in den bedenklichen Tagen der Aufregung sehr brauchbar, und mancher Exceß wurde durch sie verhütet.

Einige Tage trieb sich das Volk in dem Bewußtsein seiner plötzlich errungenen Freiheit gleich einem Pferde, das dem Stalle entronnen und ohne Zaum und Zügel herumjagt. Endlich legte sich der Tumult theils von selbst, theils durch kluge Maßregeln der provisorischen Regierung. Der Italiener kalkulirt gerne; man kam zum Nachdenken und fragte sich: »Was[272] soll denn aus solchen Vorgängen werden?« Der ordentliche und fleißige Bürger (und deren gab es in Mailand viele) sehnte sich aufrichtig nach dem Einrücken der Oesterreicher; allein diese zögerten zu lange, Besitz von Mailand zu nehmen und gaben dadurch selbst den ersten Anlaß zu den Unabhängigkeitsbestrebungen, die fortwucherten und Oesterreich so viel Unheil bereitet haben.

Nur zu bald wurde im Volke eine Stimme laut: »Wozu brauchen wir denn die Oesterreicher? Wir haben uns selbst frei gemacht, wir wollen ein selbständiges, unabhängiges Volk sein!« Es gab eine Partei, die nicht säumte, diese Stimmung auszubeuten. Ueber einigen Wachtzimmern der guardia civica las man die Worte: »Independenza o morte!«

Endlich hielten die österreichischen Truppen einen feierlichen Einzug in Mailand, aber der Empfang war kalt. Nach weniger als Jahresfrist wurde eine weitverzweigte Verschwörung entdeckt, die viele Verhaftungen von angesehenen Persönlichkeiten zur Folge hatte. Darunter befand sich auch General Lecci, ein Mann, der im Kriege in Spanien und Rußland unter Napoleons Fahnen sich bemerkbar gemacht hatte. Mit dieser Verschwörung begann das unheilvolle Treiben der Carbonari.

Ruhe und Ordnung wurde indessen von den Oesterreichern hergestellt und äußerlich ging alles bald seinen geregelten Gang. Mailand hatte wieder sein Feiertagskleid angezogen. Man war vergnügt und guter Dinge, weil man nunmehr nach dem Sturze Napoleons auf einen dauernden Frieden hoffte. Der Adel, der sich durch die mißlichen Verhältnisse in letzter Zeit gedrückt gefühlt, entwickelte nach und nach wieder mehr Luxus. Der Corso belebte sich mit Equipagen, schönen Damen und der Unzahl von Tagedieben und Pflastertretern, an denen Mailand zu allen Zeiten so reich war, und die in den Kaffeehäusern, halb sitzend, halb liegend, ihr dolce far niente pflegten. Der Mittelstand fand wieder mehr Beschäftigung und Absatz seiner Produkte. Der fleißige Landmann freilich war, wie zu allen Zeiten, in Italien schlecht daran, aber dieser kümmerte sich nicht viel darum. Ihm konnte[273] man nichts nehmen, denn er hatte nichts; im Schweiße seines Angesichts aß und ißt er sein Brod und muß für die reichen Grundherren sich plagen. Es war ihm darum ziemlich gleichgiltig, ob die Franzosen oder Oesterreicher regierten, er bleibt ja doch in Italien immer das Lastthier. Der einzige Gewinn, den er von der Aenderung der Dinge zu hoffen hatte, war, daß jetzt der Bedarf an Soldaten weniger werde; immerhin ein Gewinn, denn der Italiener zieht nicht gerne in den Krieg.

Die Wendung der Dinge und die zurückgekehrte Heiterkeit in Mailand hatte auch auf mich günstigen Einfluß. Mehrere reiche Mailänder, darunter ein Graf Anoni, Alalari, Cigognia und andere Adelige mehr wandten sich an mich, um Werke von mir zu haben. Man war um so begieriger darnach, als man wußte, daß ich, solange Prinz Eugen in Mailand als Vicekönig residirte, für niemand Andern arbeiten durfte. Es liegt eben in der Natur des Menschen, daß das, was ihm schwer wird zu erhalten, mehr Reiz auf ihn ausübt, als das, was er mit leichter Mühe erwerben kann. Das äußert sich voran bei Kunstsachen, und manche Künstler verstehen es vortrefflich, durch eine gewisse Charlatanerie sich rar zu machen, und ihren Werken dadurch einen erhöhten Werth in den Augen der Liebhaber zu verschaffen. Mir lag das mein ganzes Leben hindurch ferne: ich trieb die Kunst aus Liebe und war nur zu wenig Speculant.

Von nun an hatte ich alle Hände voll zu thun, um alle Aufträge auszuführen, die an mich gelangten, denn da seit dem Sturze Napoleons der Bezug meines Gehaltes aufgehört hatte und ich über meine künftige Stellung zu dem Prinzen Eugen ganz im Ungewissen war, so trug ich kein Bedenken, wenigstens vor der Hand, die erhaltenen Aufträge auszuführen. Bald wurde ich auch mit der militärischen Aristokratie der österreichischen Besatzung bekannt: Feldmarschall-Lieutenant Sommariva, der General der Cavallerie, Graf Klenau, Graf Hadick und Andere wollten von mir gemalt sein. Besonders auszeichnend begegnete mir Graf Klenau. Ich war viel an seiner Tafel.[274] Da er sich in einer hohen Stellung befand, so machte ich durch ihn sehr interessante Bekanntschaften. Er war für die Kunst sehr eingenommen und ein Mann von feiner Bildung und wahrhaft ritterlichem Charakter, ein Cavalier im besten Sinne des Wortes.

Später erhielt ich den Auftrag, den Feldmarschall Bellegarde mit seiner Umgebung in einem größeren Bilde zu malen. Dieses Gemälde und einige andere aus jener Zeit sah ich nach 40 Jahren wieder in Wien, wo sie in der Familie aufbewahrt und in Ehren gehalten wurden.

Mit wahrer Lust ergriff ich jetzt nach einem traurig durchlebten Jahre, in dem ich mich in lethargischem Hinbrüten und Harren auf den politischen Umschwung befunden, Pinsel und Palette und arbeitete mit jugendlicher Frische. Ich fühlte wieder meine Kraft; jede Sorge für meine Zukunft war entschwunden.

So lebte ich seit Mai 1814 in meiner Familie und meinem Atelier in den angenehmsten Verhältnissen, wie sie sich ein Künstler nur wünschen kann. Prinz Eugen jedoch hatte seine Ansprüche auf mich nicht aufgegeben. Von dem Congresse zu Wien zurückgekehrt berief er mich nach München mit dem Bedeuten, alle meine Zeichnungen und Arbeiten, vollendet oder unvollendet, mitzubringen. Ich konnte aber diesem Wunsche erst sechs Monate später entsprechen, da ich Arbeiten unter der Hand hatte, die ich nicht fallen lassen durfte. Erst nach deren Vollendung schickte ich mich zur Abreise an; ich hätte die vortheilhafte Stellung, in der ich mich zu Mailand befand, noch lange ausbeuten, ja in pecuniärer Hinsicht mir eine sehr angenehme Lage für immer bereiten können. Ich war der allein Gefeierte und hatte in meinem Fache auch nicht annäherungsweise einen Concurrenten oder Nebenbuhler; aber gerade, daß ich allein war, betrachtete ich als Klippe und größte Gefahr für einen jungen Künstler. Es zog mich mächtig an, in ein reges Kunstleben zu kommen, und das fand ich in Mailand nicht. Mit Ausnähme einiger sehr geschickten Architekturmaler, einiger mittelmäßigen Landschaftsmaler und des gefeierten[275] Historienmalers Appiani, der große Verdienste hatte, waren keine hervorragenden Maler dort. Appiani stand mir zu ferne, und mit den übrigen war nicht gut umgehen. Professor Sabatelli war der einzige Mann, von dem ich mich angezogen fühlte. Er hatte viele Verdienste, besonders in Hinsicht auf Zeichnung und Composition und bewies überall einen milden, liebenswürdigen Charakter. Er besuchte mich noch 1850 acht Tage vor seinem Tode in meinem Atelier zu Mailand, als ich die Schlacht von Novara malte.

Die persönliche Anhänglichkeit, die ich stets gegen Prinz Eugen hatte, erleichterte mir den Entschluß, Mailand zu verlassen und die großen Vortheile, die sich mir dort boten, aufzugeben.

Die Trennung von Mailand selbst fiel mir übrigens nicht schwer; ich hatte immer eine Art Widerwillen gegen diese moderne Stadt und die dortige Lebensweise, ohne mir Rechenschaft darüber geben zu können. Ueberall in Italien gefiel es mir besser, als dort, und ich konnte über diesen Widerwillen nie Meister werden.

Schwerer als von Mailand trennte ich mich von meiner Familie. Ich hielt es nämlich der Klugheit angemessen, diese vorerst zurückzulassen und allein nach München zu reisen, um zuzusehen, wie sich meine Verhältnisse dort gestalteten, bevor ich ganz umsiedelte und eine so vortheilhafte Stellung gänzlich aufgab.

Meine treffliche Frau fügte sich, wo es sich um wichtige Entschlüsse handelte, immer gerne in meine Ansichten, und so verließ ich mit ruhigem Herzen und dem Bewußtsein treu erfüllter Pflichten einen Ort, in dem ich, verschiedene Unterbrechungen abgerechnet, sechs Jahre hindurch gewohnt hatte, und eilte meinem lieben Vaterlande zu.[276]

Quelle:
Adam, Albrecht: Aus dem Leben eines Schlachtenmalers. Stuttgart 1886, S. 259-277.
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