IV. Nach Italien.

[102] Also nach Italien, dem paradiesischen Lande, dem klassischen Boden der Kunst, sollte ich nun kommen, an einem Hose glänzenden Verhältnissen entgegengehen! Wie freuten sich meine Freunde, daß mir das Glück so günstig war! Wie wurde ich von so vielen um dasselbe beneidet! Ob es aber wirklich ein Glück war? Die Zeit wird es lehren!

Am Morgen des 24. Oktober, nachdem ich schon Tags zuvor mein Gepäcke abgegeben, um es auf die für die Reise bestimmten Fourgons zu laden, begab ich mich in das schöne Palais Albert auf der Bastei, wo Prinz Eugen wohnte. An wenige Bedürfnisse gewöhnt, hatte ich nur meinen Mantelsack mit Zeichenmaterial, etwas Wäsche und mein Portefeuille bei mir. Ich wurde dem Obristen Triaire vorgestellt, einem Adjutanten des Prinzen, der im Felde eine Art Hausmarschall war. Unter seiner Aegide sollte ich vorerst die Reise bis Klagenfurt zurücklegen. Er lud mich zu einem Gabelfrühstück ein, an welchem auch ein Secretair Antheil nahm, ein gefälliger angenehmer Franzose, dem ich empfohlen wurde und der mein Reisegefährte sein sollte.

Eine schöne und bequeme Kalesche wartete unser im Hofe, und nun ging es fort in raschem Laufe über Wienerneustadt den steyerischen Gebirgen zu.

Wer zum erstenmale die hohe See oder das Hochgebirge[102] sieht, wird einen überwältigenden Eindruck empfinden, falls er nur einigermaßen Sinn für die Schönheit der Natur und ein Herz hat. Ich hatte bisher das Gebirge nur aus der Ferne gesehen und gerieth in eine wahre Begeisterung, als wir den Bergen immer näher kamen und uns zuletzt mitten in denselben befanden.

Es war ein heiterer Herbsttag, als der hohe Semmering, von der Abendsonne beleuchtet, mit seinen Felsen, Klüften und Wasserfällen vor uns lag. Ich konnte mich gar nicht satt sehen, fand keine Worte, meine Freude auszudrücken und bedauerte, daß die Pferde so rasch gingen und alles so schnell an uns vorüberflog, während mein Gefährte fand, daß wir gar nicht schnell vom Flecke kämen und die Berge und deutschen Postillone, welche ihre Pferde so schonten, verwünschte. Mir brach diesmal die Nacht viel zu frühe herein, denn leider mußten wir den größten Theil des Wegs über den Semmering bei Nacht zurücklegen. Den folgenden Tag um 10 Uhr Morgens kamen wir zu St. Michael an der Mur bei Leoben an. Hier trafen wir wieder mit Triaire zusammen. Dieser war von Prinz Eugen beauftragt, mich auf das dortige Schlachtfeld zu begleiten und mich über den Verlauf des dort gelieferten, für die französisch-italienische Armee so glücklichen Treffens zu unterrichten. Dieser Auftrag kam mir sehr erwünscht, ich fand die Gegend reizend, zeichnete den ganzen Tag und konnte mich dabei an den Bergen recht ergötzen, da wir vom herrlichsten Wetter begünstigt waren.

Hier hatte ich Gelegenheit, zu beobachten, was Pünktlichkeit im Dienste bedeutet. Triaire war an dem militärischen Hofe eine bedeutende Persönlichkeit und nichts weniger als ein geschmeidiger, angenehmer Charakter, aber er trug die Langeweile, hier fast einen ganzen Tag wegen meiner Zeichnerei müßig zu sitzen, mit großem Gleichmuth und drängte mich gar nicht; er betrachtete es als eine Dienstsache. Unten im Thale warteten längst schon ein Paar starke steyerische Hengste an einem leichten Wagen, uns zur nächsten Post zu bringen; wir reisten abermals die Nacht hindurch. Am 26. Mittags trafen[103] wir in Klagenfurt ein, wohin Abends 10 Uhr auch Prinz Eugen kam.

Von Klagenfurt führte die Reise nach Villach, wo wir vierzehn Tage verweilten. Geschäfte und politische Verhältnisse mögen den Vicekönig dazu veranlaßt haben. Von da machte er einen Ausflug nach der nahe liegenden Veste Sachsenburg an der Drau, besuchte die bedeutenden Bleibergwerke bei Villach und stieg überall unter sehr unbequemen, oft auch gefährlichen Verhältnissen bis in den tiefsten Schacht hinab. Ich durfte ihn überallhin begleiten und war somit seiner Suite einverleibt. Welchen Eindruck diese kolossale Unterwelt auf mich machte mit ihren ungeheuren Schluchten, Gewölben und Bogen, bisweilen einem gothischen Bau ähnlich, kann ich nicht beschreiben. Sie setzte mich in Erstaunen und erfüllte mich mit Bewunderung über den Geist und die Kühnheit des Menschen.

Bei Sachsenburg bivouakirte der Prinz mit seinem Gefolge einige Stunden in einem Walde. Ich machte hievon eine Zeichnung, die ich in Villach in Aquarell sauber ausführte und welche ihm so viel Vergnügen bereitete, daß er mir eine Sitzung gewährte, um sein Portrait recht ähnlich machen zu können. Er schickte das Bild später seiner Schwester Hortensia.

Die Gebirge um Villach haben einen schönen, mitunter großartigen Charakter, besonders gegen Tarvis und Pontebba. In dieser Richtung umschließen sie ein ziemlich flaches Thal mit schroffen Felswänden von immenser Höhe und schönen Formen. Diese Felsen haben eine ziemlich helle, rothgelbe Farbe. Nirgends sah ich das Alpenglühen so herrlich als hier; überhaupt hatten wir in Villach ein unverändert schönes Herbstwetter trotz der vorgerückten Jahreszeit.

Mein Reisegefährte von Wien bis hieher bewies sich mir als ein äußerst gefälliger Begleiter; es war ein wohlgestalteter schöner Mann mit blonden Haaren in dem Alter von dreißig bis vierzig Jahren mit äußerst abgerundeten, eleganten Manieren und sehr lebendigen Geberden. Ich hatte nur einen Fehler an ihm bemerkt, welchen er freilich mit vielen seiner Nation gemein hatte: mit den ihm von der Natur verliehenen[104] Anlagen und der französischen Gewandtheit, mit welcher er sich alle Verführungskünste angeeignet hatte, war er dem schönen Geschlechte wirklich sehr gefährlich, und deßhalb ebenso für einen jungen unverdorbenen Mann kein gutes Beispiel. Auf mich übte er jedoch keinen schlechten Einfluß, denn er trieb es so arg, daß es die Gegenwirkung hervorbrachte und Widerwillen erregte. Im Uebrigen mußte ich zum bösen Spiele ein gutes Gesicht machen, ich war ihm um seiner Artigkeit willen, mit der er mir begegnete, verbunden.

Eines Abends (am 11. November) machten wir zusammen in den Umgebungen von Villach einen Spaziergang: die Schönheit der Natur, die hereinbrechende Abenddämmerung, welche schon den ersten Sternen am Horizonte ihren Glanz nicht mehr streitig machen konnte, das Geläute der Glocken, der stille Friede, welcher in diesen von majestätischen Bergen umschlossenen Thälern zu wohnen schien, hatten mich ungemein weich gestimmt. Ich dachte an die Heimath, an die schönen Stunden im Umgange mit edeln Freunden. Der Himmel über mir war heiter, aber in meinem Herzen lag eine trübe Ahnung, daß ich von der schönsten Zeit meiner Jugend, auf die ich mit Stolz zurückblicken konnte, Abschied nehme.

Ueberhaupt beschlich mich in meinen neuen Verhältnissen, so ehrenvoll und glückverheißend sie auch sein mochten, öfters ein unheimliches Gefühl: sie waren mir zu fremd, der Uebergang zu rasch erfolgt. Mein Begleiter hatte mich bei seiner Menschenkenntniß längst durchschaut und bemerkt, was in mir vorging. »Sie sind ein ausgezeichneter junger Mann,« unterbrach er unser Schweigen, »wohlgesittet, talentvoll, gesund, in der Blüthe Ihrer Jahre gehen Sie einer schönen Zukunft entgegen; aber der Zustand, in welchem Sie sich jetzt befinden, kann kein bleibender sein, Sie werden vielmehr manche schöne Ansicht über die Welt und die Menschen aufgeben und gegen eine andere in der großen Welt, in welche Sie jetzt treten, gangbarere vertauschen müssen. Ich begreife, daß Sie dabei manches vermissen werden, aber Sie müssen sich eben in das neue Leben finden, wenn Sie aus Ihrer jetzigen Stellung den[105] gehörigen Vortheil ziehen wollen.« Unter solchen Gesprächen kamen wir erst bei völliger Dunkelheit nach Hause.

Nie konnte ich diesen Moment vergessen; es war wirklich der Uebergang in ein ganz anderes minder glückliches Leben. In wenigen Stunden ist man von Villach an der italienischen Grenze, und mit den Schritten über die kleine Brücke bei Pontebba waren die Würfel über mein ganzes künftiges Leben gefallen. Ich hätte das, was mir in jener Stunde dieser praktische Weltmann sagte, besser beherzigen sollen, allein ich hing zu fest an meinen Idealen!

Gegen Mitte November reiste alles von Villach ab; zwei jüngere Adjutanten des Vicekönigs waren beauftragt, mich in ihrem Wagen mitzunehmen und mich auf das nahe gelegene Schlachtfeld bei Tarvis zu begleiten, welches ich zu zeichnen beauftragt war, wozu jedoch einige Stunden genügten. Das Wetter fing an, ungünstig zu werden. Meine beiden Begleiter eilten nach Pontebba voraus, mich führte von Tarvis dorthin ein alter Bauer. Ich hatte noch mehrere Gulden österreichisches Papiergeld in meiner Brieftasche gefunden. Dieses Geld schenkte ich ihm, weil er der letzte Deutsche war, der mich führte. Der Alte war ganz verblüfft und küßte mir Rock und Hände aus Dankbarkeit.

Pontebba ist der merkwürdigste Uebergang über eine Grenze, welche mir je vorgekommen ist. Ein und derselbe Ort ist durch einen kleinen Fluß getrennt: Auf der einen Seite ist alles deutsch, Sprache, Sitten, Gebräuche, Bauart, selbst der Menschenschlag, sobald man aber die kleine Brücke überschritten hat, herrscht der vollendetste Gegensatz: alles italienisch. Man erzählte uns, daß es hier Leute gebe, welche da geboren und alt geworden seien, ohne je diese Brücke überschritten zu haben.

Wir soupirten in einer Osteria auf der italienischen Seite; eine ausgetretene, steinerne, schmutzige Treppe führte in einen ziemlich großen Vorplatz mit hohen Fensterbögen, die aber keine Gläser mehr hatten. Dies war der Salon des Hauses, in welchem wir speisten. Ein kalter Gebirgswind blies durch die[106] Fenster, der Regen goß in Strömen herab, ein Reisigfeuer wurde in einem großen Kamine angezündet; wir suchten uns an ihm zu wärmen, aber es war vergebliche Mühe; frierend setzten wir uns zu Tische und frierend standen wir wieder auf. Auch das Essen war ächt italienisch und wollte mir gar nicht schmecken. Ich fühlte mich entsetzlich unbehaglich und konnte aus meinem Erstaunen über einen so grellen Contrast gar nicht herauskommen.

Wir reisten die Nacht hindurch auf einer Straße, die noch immer zwischen den schroffsten Felsenmassen durchführte. So sehr mich auch die Gebirge anzogen, so war ich damals froh, als wir endlich wieder etwas ins Freie kamen und uns dem venetianischen Gebiete näherten, denn die Regenzeit trat ein. Der Regen fällt hier oft wochenlang ununterbrochen in Strömen, und wirklich reisten wir im schlechtesten Wetter bis Mailand.

Recht komisch kam mir das italienische Volk vor: seine wunderlichen Fetzen von Mänteln und alles Erdenkliche, was es bei schlechtem Wetter umhängt; seine Wagen und Pferde mit dem schlechten Gebändel von Geschirren, Hausgeräthe und Wohnungen, alles däuchte mir wohl sehr malerisch, aber auch recht schmutzig und unappetitlich. Das Oede der Campagna mit den vielen unschönen, entlaubten Maulbeerbäumen, die vielen leeren, zum Theil halbzerfallenen Landhäuser, oft ohne Fenster, die verödeten, gänzlich vernachlässigten Gärten in der venetianischen terra ferma erregten in mir recht unangenehme Eindrücke. Ich hatte noch nichts von den Reizen des Landes gesehen, von dem ich so viel gehört, alles widerte mich an, selbst die Postillons, obwohl sie schneller fahren als die deutschen, ärgerten mich, weil sie so roh und lieblos mit ihren Pferden umgingen.

Die alte interessante Stadt Verona passirten wir zur Nachtzeit, und erst am Gardasee, an dem wir bei Anbruch des Tages ankamen, erhielt ich zum erstenmale einen angenehmen Eindruck. Dieser wurde noch erhöht, da ich im Posthause zu Desenzano zwei bayerische Offiziere traf, welche als Couriere[107] nach Mailand reisten. Aus Freude über diese Begegnung machten sie mir das Anerbieten, in ihrem Wagen Platz zu nehmen, was ich mir nicht zweimal sagen ließ.

Von Desenzano ging es, ohne Aufenthalt und ohne daß etwas Bemerkenswerthes vorgefallen wäre, bis Mailand, wo wir am 18. November anlangten.

Da war ich nun an dem Orte meiner künftigen Bestimmung, in dem großen heitern Mailand und in einer neuen, mir ganz fremden Welt.[108]

Quelle:
Adam, Albrecht: Aus dem Leben eines Schlachtenmalers. Stuttgart 1886, S. 102-109.
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