Beziehungen zu Kronprinz Friedrich Wilhelm

[105] Während der jahrelangen Kämpfe am Museum hat uns der Kronprinz stets in aufopfernder Weise gegen Graf Usedom beigestanden und mich persönlich in so liebenswürdiger Weise herangezogen, daß mir dadurch gerade diese schwere Zeit auch besonders liebe Erinnerungen hinterlassen hat. Vom ersten Tage, an dem ich mich ihm vorstellen durfte, bis zu seinem allzufrühen Tode hat er mir sein Wohlwollen immer in der gleichen Weise erwiesen, hat er meine Pläne in jeder Weise zu fördern gesucht und vertreten, trotz der großen Widerwärtigkeiten, die es ihm brachte, namentlich auch dem greisen Kaiser Wilhelm gegenüber, der seinen alten Graf Usedom nicht fallen lassen wollte und schließlich selbst bei den größten Rücksichtslosigkeiten, die sich dieser dem hohen Protektor gegenüber erlaubte, ein Auge zudrückte. Mehr als einmal hat mir der Kronprinz bei gescheiterten Ankäufen versichert: »Ich bin Ihr Verhängnis, Bode. Sie können mir's glauben, wäre ich es nicht gewesen, der ihn meinem Vater warm empfohlen hätte, so wäre Ihr Antrag durchgegangen.« Er kam sehr häufig in die Museen, sowohl allein als auch mit seiner Gemahlin. Sobald eine neue Erwerbung zu sehen war, wenn wir Proben zu anderen Einrichtungen[105] und Bauten oder Änderungen in der Aufstellung gemacht hatten, erschien er regelmäßig, blieb oft stundenlang und hatte stets ein freundliches, anerkennendes oder aufmunterndes Wort. Wenn hohe Verwandte oder andere Fürstlichkeiten am Hofe zu Besuch waren, führte er sie und ließ mich dazu rufen, stellte mich mit der typischen Formel »die Säule unserer Museen« vor und setzte gelegentlich hinzu: »nimmt keine Bedientenorden, hier bin ich Führer, Bode ist nur mein Souffleur«. Sein eigenes Urteil ordnete er stets dem unsrigen unter und hörte zu, statt selbst zu sprechen. Wenn er sich Vortrag halten ließ, stellte er sich breitbeinig hin, legte beide Hände auf die Koppel des Pallasches, den er vor sich stemmte und sah den Vortragenden mit seinen schönen blauen Augen ernst und freundlich an: so ist sein Bild in meiner Erinnerung lebendig geblieben. Leider hat nie ein Künstler, so oft auch der Kronprinz in Standbildern verewigt ist, ihn so dargestellt. In dieser Stellung als Statuette, wie sie z.B. Blaeser von Schinkel modelliert hat, würde diese herrliche männliche Gestalt eines der populärsten deutschen Bildwerke geworden sein.

Die hohen Besucher, die der Kronprinz häufig mitbrachte, hatten nur selten ähnliches Interesse wie dieser. Einzelne gingen stumm und gelangweilt durch die Säle, wie der Schah von Persien und Kaiser Alexander III., oder hatten nur einige verbindliche Worte. Ein eifriger, interessierter Besucher unserer Sammlungen war der wohlwollende alte Großherzog von Weimar, der uns dann meist lange Vorträge vor seinen Lieblingsbildern hielt. Von einem dieser Besuche erinnere ich mich noch einer komischen Szene, die ihm sein vor ihm verstorbener Sohn, der den Schwärmereien seines Vaters nicht folgen konnte und wollte, bereitete. Wir waren noch im ersten Raume der Galerie, als der Großherzog den Namen »Goethe« bereits wiederholt aussprach. Ärgerlich rief ihm sein Sohn zu: »Aber, lieber Vater, den ollen Goethe hättest du auch einmal zu Hause lassen können!« Ein stummer, tieftrauriger Blick traf den verlorenen Sohn, während in den entsetzten Mienen der zahlreichen Hofgesellschaft[106] ein eigentümlicher Zug spielte, den ein boshafter Beobachter wie unterdrücktes Lachen hätte deuten können.

Die Kronprinzlichen Herrschaften zogen mich von vornherein zu ihrer Geselligkeit heran, nicht nur zu den Winterfesten in Berlin, sondern vor allem zu kleinen Vereinigungen im Neuen Palais, das sie sich als Sommerresidenz in geschmackvoller, wenn auch einfacher Weise hergerichtet hatten. Ich erinnere mich meines ersten Besuches dort im Sommer 1873 an einem Sonntagnachmittag. Ein Ausflug nach dem nahen Gut Paretz, das dem Kronprinzen gehörte, war geplant, zu dem, außer der Umgebung des Kronprinz lichen Paares, nur noch das Ehepaar Helmholtz und ich zugezogen wurden. Die Fahrt wurde auf einem kleinen Dampfer gemacht, der unterwegs auflief; wir mußten den Weg zu Fuß fortsetzen. In Paretz hatte die Frau Kronprinzessin ein Fest für die Kinder der Gutsarbeiter veranstaltet, die sie stundenlang mit Spielen amüsierte; davon waren die Kinder einiger Leute, die sich schlecht betragen hatten, ausgeschlossen worden. Als wir nun auf der Rückfahrt in dem offenen Wagen, in dem einige von uns mit der Kronprinzessin saßen, vom Dorf in den Wald hineinfuhren, stürzten plötzlich jene ausgeschlossenen Kinder hinter den Büschen hervor und überhäuften die hohe Dame mit den gemeinsten Schimpfworten, die ihre Eltern ihnen eingelernt hatten.

Bei einem dieser meist mit Ausfahrten verbundenen Besuche im Neuen Palais traf ich, soviel ich mich erinnere, zum erstenmal mit dem Prinzen Wilhelm zusammen, der damals auf dem Gymnasium in Kassel war, aber seine Ferien in Potsdam verbrachte. Wir fuhren allein in einem Wagen, und da sich seine Eltern einigen hohen Diplomaten, die mit geladen waren, widmen mußten, blieb der Prinz auch den Abend über fast allein auf mich angewiesen. Er war von außerordentlicher Frische und Freundlichkeit, fragte nach allen unseren Museumsdingen und zeigte sich dabei sehr gut orientiert.

Im folgenden Frühjahr 1874 wurde ich unerwartet zu einer Abendgesellschaft der Frau von Schleinitz geladen, offenbar[107] auf Veranlassung des Kronprinzen, der sich von mir über die Sammlung Suermondt erzählen lassen wollte. Den Ankauf dieser Galerie hatte Meyer tags vorher in Brüssel abgeschlossen. Menzel war gleichfalls zugegen, und auf Vorschlag der Gräfin mußte er sich daran machen, die Gesellschaft in einer Zeichnung zu verewigen. Den Kronprinz wollte er als Hauptfigur in die Mitte bringen und begann daher zunächst mit ihm. Mehr als zwei Stunden mußte der Kronprinz vor ihm stehen, bloß weil es den Künstler reizte, die hohen glänzenden Reiterstiefel, mit denen er den Anfang machte, recht detailliert wiederzugeben. Zur Unterhaltung wurde bald dieser, bald jener befohlen. Helmholtz und Hoffmann erklärten ihm die Sonnenflecken und Protuberanzen. Angeli kam dazu und machte seine amüsanten Witze im Wiener Jargon. Schließlich mußte ich über die Suermondtbilder, über den beabsichtigten Umbau der Galerie und andere Museumsdinge berichten. Als Menzel endlich dem Kronprinzen das erlösende Wort sprach, nun sei er fertig, jetzt müsse Frau von Schleinitz an die Reihe kommen, mit der doch der Kronprinz am meisten geredet habe, sagte der Kronprinz: »Nein, dann muß Bode daran kommen, denn der hat mich ja fast allein unterhalten.« Schließlich kam ich aber gar nicht mit auf die Zeichnung. Sie wurde erst bei der Frau Hausministerin an einem zweiten Teeabend vollendet, zu dem ich nicht geladen war. Angelis sprudelnder Witz, der uns in Wien und namentlich in Italien bei täglichem Zusammensein köstlich unterhalten hatte, war im Kreise der höchsten Herrschaften nicht selten etwas sehr absichtlich und riskant. An jenem Abend bei Frau von Schleinitz leistete er das Unglaublichste. In der Unterhaltung mit der Frau Kronprinzessin fiel ihm ein kostbares Kollier aus antiken und anderen Kameen auf, ein Geschenk der Königinmutter, das sie auf dem bloßen Halse trug. Angeli nahm das Kollier, legte seine Hand auf den Hals der Kronprinzessin und studierte eine Kamee nach der anderen, ohne sich um die peinliche Situation der hohen Frau zu kümmern.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 105-108.
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