Erste Reise für die Museen

Aufenthalt in Italien (1872/73)

Zweck der Reise und ihre Vorbereitung

[69] Meine Reise nach Italien, zusammen mit Julius Meyer, wurde um eines doppelten Zweckes willen geplant: einmal damit ich für die von Graf Usedom in Aussicht genommene Sammlung von Abgüssen nach den Meisterwerken der italienischen Plastik des Mittelalters und der Renaissance durch Auswahl der Bildwerke, Verhandlung mit der italienischen Regierung und den Behörden der Museen, Kirchen usw., in denen sich die Stücke befanden, durch Auswahl und Kontrakte mit den Formern alle Vorbereitungen träfe; sodann und vor allem, damit wir uns nach hervorragenden Gemälden italienischer Künstler, namentlich der Renaissance umsähen, die im Handel oder sonst käuflich wären. Beide Aufgaben hatten wir uns leichter gedacht, als sie waren.

Die Abformung der Skulpturen in den Museen freilich machte keinerlei Schwierigkeiten. Da hier einzelne Stücke schon wiederholt und seit längerer Zeit abgeformt waren, gaben die Vorstände unschwer die Erlaubnis, wenn nur die Former gewählt wurden, die regelmäßig die Abformungen in den betreffenden Museen gemacht hatten. Ja, man war diesen gegenüber nur zu entgegenkommend. Niemand beaufsichtigte damals ihre Arbeiten oder die spätere Reinigung der abgeformten Skulpturen, so daß z.B. im Bargello noch heute einzelne der Marmorbildwerke ihre Ölflecke vom Abformen haben. Von den Bronzen verloren einzelne, wie namentlich der David von Verrocchio, ihre schöne alte Patina, haben sie aber[69] mit der Zeit langsam wiedergewonnen. Verschiedene Marmorskulpturen dagegen haben durch Ölen und Waschen mit Spiritus ihren warmen Ton leider für immer eingebüßt. Wie rücksichtslos in alter Zeit beim Formen verfahren wurde, das hat namentlich die Paradiesespforte Ghibertis erfahren müssen. Sie wurde in den fünfziger Jahren für das South Kensington Museum abgeformt. Da unerwartet ein längerer Frost eintrat, mußten die Arbeiten eine Zeitlang eingestellt und die Formstücke darauf gelassen werden. Als diese bei wärmerem Wetter endlich abgenommen werden konnten, hatte sich das Gold der Bronze an den Formstücken festgesetzt und wurde mit ihnen abgerissen. Konnte also in den Museen die Erlaubnis zur Abformung unschwer erlangt werden, so war dies bei den anderen Bildwerken, zumal an den Außenseiten der Kirchen um so schwieriger. Gemeinden und Kirchen pflegten die Zustimmung gerade weil die Regierung sie gegeben hatte, zu verweigern. Ganz sicher erfolgte eine Ablehnung, wenn der Former nicht am Orte lebte. Erst allmählich lernte ich diese Schwierigkeiten überwinden, und zwar auf die allereinfachste Weise: ich überließ es den Formern, sich die Erlaubnis zu verschaffen; sie wußten die Mittel und Wege dazu regelmäßig unschwer zu finden. Doch auf dieser ersten Reise galt es zunächst nur Informationen einzuholen, die Hauptaufgabe war die Anschaffung einzelner Werke klassischer italienischer Maler und die Vorbereitung späterer Erwerbungen, wofür ein Kredit bis zu 100000 Talern gewährt war.

Auf mancherlei Schwierigkeiten, die sich gerade dieser Aufgabe entgegenstellen würden, waren wir vorbereitet. Die Akten über Waagens Italienfahrt in dem Jahre 1841/42 erzählten zur Genüge von seinen großen Plänen und den schließlichen Mißerfolgen, abgesehen von den fast kostenlosen Ankäufen plastischer Renaissancewerke, die nicht vorgesehen waren. Die Denkschrift, die Waagen gleich nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. für diesen ausgearbeitet hatte, beweist, daß er über hervorragende Gemälde in italienischem Privatbesitz und zum Teil auch in Kirchen, deren gelegentliche Erwerbung[70] als aussichtsvoll galt, gut unterrichtet war. Aber die Wege und Mittel, dazu zu gelangen, schien er meist nicht recht zu wählen, vor allem fehlte es ihm an Ausdauer, nach dem ersten Mißerfolge diese großen Ziele weiter im Auge zu behalten. Er ließ sich's dann mit der Er werbung mittelguter oder geringer Gemälde genügen, die im Programm ausgeschlossen waren, und gerade infolge dieser Erwerbungen wurde ihm die Verfolgung der ursprünglichen Pläne später nicht mehr gestattet. Sie sind wenige Jahre darauf von der Londoner National Gallery aufgenommen und in glänzender Weise durchgeführt worden, mit nicht einmal erheblich größeren Mitteln, aber sehr viel geschickter und stetiger, freilich begünstigt durch die schwere Geldverlegenheit in Italien vor und nach dem Kriegsjahr 1859.

Der Mann, dem die Londoner Galerie diesen Erfolg verdankt, war ein Deutscher, Otto Mündler, der damals als Kunsthändler in Paris lebte und wiederholt erfolgreiche Erwerbungen in Italien gemacht hatte. Er hatte mehr als einmal in Berlin angeklopft, aber vergeblich. Da er zum Teil dieselben Bilder in Aussicht stellte, die Waagen hatte kaufen sollen, traute man ihm nicht. Auch waren hier inzwischen andere Pläne, namentlich der unglückliche Ausbau der Gipssammlung, dem alle Angebote geopfert wurden, in den Vordergrund getreten. Ist doch damals die herrliche Woodburnsche Sammlung von Zeichnungen Raphaels und Michelangelos, die heute den Anziehungspunkt des Oxforder Museums bildet, um 10000 £ abgelehnt worden, weil man diese Summe gerade für die Abformung und den Transport der Abgüsse der Rossebän diger vom Quirinal nötig zu haben glaubte! Erst als in Berlin gar keine Aussicht war, wandte sich Mündler nach London, wo Eastlake auf seine Vorschläge einging. Seit etwa 1857 hat Mündler alljährlich Italien monatelang für die Londoner Galerie durchreist, und was er an hervorragenden Bildern käuflich fand und aushandelte, das prüfte und erwarb Eastlake, der alljährlich auf wenige Wochen zum Abschluß der Ankäufe nach Italien hinüberging. Diese Ankäufe bildeten den[71] Grund der ganz einzigen Sammlung von Meisterwerken der italienischen Schule, welche die National Gallery heute besitzt.

Über die Zeit seiner Tätigkeit als Kommissar der Londoner Galerie hatte Mündler in seinen Notizbüchern, die Meyer mit seiner Bibliothek erwarb, wertvolle Auskunft gegeben. Von diesen Aufzeichnungen wie von Waagens Erfahrungen hofften wir auf unserer Reise, die für die Wintermonate und das Frühjahr vorgesehen war, Nutzen zu ziehen. Aber die Verhältnisse hatten sich in den wenigen Jahren wesentlich geändert. Die deutschen Freunde, wie die Brüder Frizzoni und Giovanni Morelli in Bergamo, die Waagen noch mit ihren Ratschlägen zur Seite standen, waren inzwischen für die Engländer gewonnen oder zu begeisterten Italienern geworden. Die tüchtigen Händler von damals waren alt geworden oder lebten nicht mehr. Vor allem aber hatte der Krieg 1870 in vieler Beziehung neue Bedingungen geschaffen: war doch der Kunsthandel so gut wie eingeschlafen, es gab damals weder ernsthafte Käufer noch Verkäufer oder Unterhändler. So fanden wir eine ganz neue Situation vor, in die wir uns erst einleben mußten. Dabei ging es nicht ohne mancherlei Irrungen ab, die zum Teil auch mit unserer damals noch recht mäßigen Erfahrung im Kunsthandel zusammenhingen.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 69-72.
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