Restauratoren

[100] Einige Zeit später hatte ich wieder einmal einer Kommission beizuwohnen, und zwar als wichtigstes Mitglied, da ich die Veranlassung zu der Untersuchung gegeben hatte. In der Kasseler Galerie, die ich seit meiner Universitätszeit kannte und seither fast jährlich wiedergesehen hatte, fiel mir schon bald nach dem Kriege 1870 der schlechte Zustand einzelner Bilder auf, die ich noch als intakt gekannt hatte. Als ich dann schließlich ein paar Porträts von Frans Hals, die nebst einigen anderen alten Bildern »zu Studienzwecken« in der Akademie hingen, bei einem Bekannten in Wien wiedersah, machte ich Anzeige dieser Zustände bei unserem Ministerium. Es fand sich bei der Untersuchung, daß der Direktor der Akademie »die beiden schlechten Bilder«, wie er sich ausdrückte, auf eigene Faust um tausend Taler verkauft hatte! Behufs Untersuchung der nach meiner Anzeige verdorbenen Gemälde der Galerie wurde, trotz des Protestes der Kasseler Künstlerschaft,[100] die sämtliche Bilder für völlig intakt erklärte, eine Kommission von Künstlern und Restauratoren eingesetzt, denen ich die besonders beschädigten vorzeigen mußte. Die Kasselaner waren nicht wenig erstaunt, als sie ihre Lieblinge auf der Staffelei im vollen Lichte sahen und die bösen Über malungen zugestehen mußten.

Es stellte sich heraus, daß der jüngst verstorbene Inspektor Maler Aubel während der Kriegsjahre, in denen die Galerie dem Publikum unzugänglich war, die Gelegenheit benutzt hatte, um eine Reihe von Bildern, die seiner Ansicht nach einer Rentoilage bedurften, auf neue Leinwand aufzuziehen. Da er dies heimlich und ohne jede Hilfe tat und zudem im Rentoilieren nicht bewandert war, riß der damals schon nahezu achtzigjährige Mann regelmäßig beim Plätten der großen Bilder Löcher in die Leinwand, die er ungeschickt wieder zusammenflickte und dann ohne jede Kenntnis des Restaurierens grob übermalte. Auf diese Weise waren »der weiße Pfau« von Hondecoeter, der »Orientale« von Rubens, der »junge Genueser Edelmann« von A. van Dyck, das sog. Selbstporträt von Rembrandt, lauter lebensgroße ganze Figuren, und andere Bilder arg beschädigt.

Auf Grund dieses beklagenswerten Resultates ist dann später, auf Antrag des neuen Direktors O. Eisenmann, eine gründliche Restauration aller schadhaften Bilder der Galerie durch den Restaurator der Münchener Pinakothek, Professor Alois Hauser, und seinen jungen gleichnamigen Sohn, den trefflichen, verstorbenen Restaurator unserer Berliner Galerie, in mehreren Jahren durchgeführt worden. Professor Hauser hatte damals gerade in der Pinakothek eine Reihe aus gezeichneter Restaurationen ausgeführt, deren Wert man über flüchtigeren Arbeiten aus den letzten Jahren des hochbetagten Mannes heute meist unterschätzt. Wenn jetzt die Hauptbilder der Boisserée-Sammlung kalt und hart erscheinen, so ist das nicht Hausers Schuld. So eifrige Sammler die Brüder Boisserée waren, so rücksichtslos waren sie zugleich. Sie glaubten, ihre Bilder zeitgemäß verbessern zu[101] müssen, übermalten sie in den bunten, schillernden Farben ihrer Zeit, und zwar nachdem sie sie vorher teilweise verputzt hatten. Jene Übermalungen hat Hauser mit Glück beseitigt, aber die Lasuren und was sonst an den alten Bildern abgerieben war, konnte er nur notdürftig ersetzen.

Sehr glücklich war er in der Entfernung aller Übermalungen, die direkt auf die alten Farben gesetzt waren, namentlich der modernen Übertünchungen, die der letzte Maler-Direktor Foltz vorgenommen hatte. Foltz war ernannt worden, gerade um dem Unfug des Restaurierens seines Vorgängers ein Ende zu machen. Er trat sein Amt mit der festen Absicht an, nie ein altes Bild zu berühren. Aber eine so große Galerie und Bilder von den riesigen Dimensionen, wie sie die Münchener Pinakothek besitzt, verlangen schon wegen der Veränderungen, welche die Temperatur auf sie ausübt, eine regelmäßige Pflege. So war auch Foltz, der gleichzeitig das Amt des Restaurators ver sah, zu gelegentlichen Restaurationen gezwungen. Dabei kam alsbald der moderne Maler in ihm zum Vorschein. Er »empfand«, wie er sich ausdrückte, daß diese oder jene Farbe, wenn sie auch nicht von einer Übermalung herrühre, doch ursprünglich nicht so ausgesehen haben könne, da sie aus der Gesamtharmonie des Bildes herausfalle. Sie müsse sich also verändert haben, und aus diesen Veränderungen wieder den »ursprünglichen Zustand« hervorzurufen, hielt er sich für verpflichtet. Ich erinnere mich, daß er gelegentlich, indem er mir in seinem Atelier diese seine Grundsätze auseinandersetzte, vor das große Rubenssche Familienbildnis des Lord Arundel, das auf der Staffelei stand, trat und mir sagte, hier könne ich ein derartiges besonders charakteristisches Beispiel kennenlernen. Dieses Blau, dieses Grün usw. sei nicht das ursprüngliche, er wolle mir gleich zeigen, wie die Farben ausgesehen hätten, als das Bild von Rubens' Staffelei gekommen sei. Dabei nahm er einen großen Borstenpinsel, übermalte in wenigen Minuten den Vorhang und andere Teile des Bildes, und in diesem Zustande wurde es nach einiger Zeit in der Galerie wieder aufgehängt. Ähnlich ist es einer Reihe[102] von Bildern gegangen. Die Wiederherstellung solcher Gemälde war verhältnismäßig nicht schwer und ist Professor Hauser stets vorzüglich gelungen. – Die Restaurationen, die damals an den Bildern unserer Berliner Galerie gemacht wurden, beschränkten sich fast ganz auf die Instandsetzung der neuen Erwerbungen, welche der Restaurator Schmidt, obgleich an der Galerie noch nicht angestellt, weil Graf Usedom den ihm gefügigen Assistenten Stübbe für diese Stellung designiert hatte, regelmäßig mit großer, ja mit übergroßer Vorsicht und daher langsam ausführte.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 100-103.
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