Der Prozess um Rembrandts »Tobias mit dem Engel«

[234] In sehr merkwürdiger Weise wurde uns eine andere Erwerbung streitig gemacht, welche die Gerichte durch mehr als drei Jahre beschäftigt hat. Im Winter 1910 fiel mir in einer[234] Lepkeschen Versteigerung der Bildersammlung Emden ein Gemälde auf, »Tobias mit dem Engel«, das im Katalog als »in der Art des Govert Flinck« bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung kam mir nicht richtig vor, das Bild schien mir vielmehr ein ungewöhnlich gutes Werk eines späteren Rembrandt-Schülers, und da ich damals gerade unsere Gemälde von Rembrandt und der Rembrandt-Schule in einem besonderen Saale provisorisch zur Aufstellung brachte, hielt ich die Erwerbung für unsere Galerie für wünschenswert. Ich gab daher dem Auktionator Krüger Auftrag, es bis zu 8000 Mark steigern zu lassen. Das Bild wurde mir um 6000 Mark zugeschlagen.

Bei näherer Untersuchung glaubte ich mich einer ganz ähnlichen Komposition unter Rembrandts Handzeichnungen zu erinnern. Ich suchte unter den Nachbildungen des Rembrandtschen Zeichnungenwerkes und fand die Zeichnung (im Besitz von Léon Bonnat), die, als Breitbild, fast die gleiche Komposition wie dergibt. Der Vergleich mit dem Bilde und die Ausführung desselben überzeugte mich, daß das Bild ein eigenhändiges Werk Rembrandts aus den fünfziger Jahren sein müsse. Ich machte es daher unserer Galerie zum Geschenk.

Kaum war dies bekanntgeworden, als ich auch schon durch den Advokaten des Herrn Emden aufgefordert wurde, entweder das Bild zurückzugeben oder 60000 Mark Entschädigung zu zahlen, da ich verpflichtet gewesen wäre, mein besseres Wissen vor der Versteigerung dem Besitzer mitzuteilen. Ich antwortete ironisch, worauf sofort die Klage eingereicht wurde. Diese basierte nicht nur auf lauter unwahren »Tatsachen«, sondern war auch mit beleidigenden Ausdrücken gegen mich gewürzt, eine Rücksichtslosigkeit sondergleichen, da ich mir auf Wunsch der Familie Emden große Mühe gegeben hatte, den Sammler aus den Händen des gewissenlosen Händlers zu befreien, durch den er für unsinnige Preise meist schlechte oder mittelmäßige Bilder und Antiquitäten erworben hatte und um Millionen betrogen worden war. Abgesehen davon, daß die Behauptung, in Versteigerungen müsse der Käufer dem Verkäufer nicht bloß den Erlös, sondern den vollen Wert des Objekts[235] zahlen, wenn er diesen gekannt habe, geradezu dem Begriff der Versteigerungen und allem Gebrauch Hohn spricht, hatte ich ja selbst erst nach der Erwer bung mich davon überzeugt, daß das Gemälde kein Schulbild, sondern ein echtes Werk von Rembrandt sei, eine Ansicht, die übrigens keineswegs von allen Rembrandt-Forschern geteilt wird.

Bei dieser klaren Sachlage nahm ich an, daß die Klage des Herrn Emden a limine abgelehnt werden würde. Trotzdem ist sie zum zweiten Mal bis zum Reichsgericht durchgefochten und nur auf Grund formaler Fragen gegen Emden entschieden worden. Die Erben des inzwischen verstorbenen Besitzers haben sich dann noch durch Immediatgesuch an den Kaiser gewandt und, als sie auch hier abschlägig beschieden wurden, wenigstens bei Harden williges Gehör gefunden, der sich die Gelegenheit zu einem Schmähartikel in seiner Zukunft nicht entgehen ließ. Die Weitläufigkeit und Weltfremdheit unseres Gerichtsverfahrens schreit nicht selten ebenso zum Himmel wie manche Übelstände des Strafrechts, vor allem die Art, wie persönliche Ehre den schmutzigsten Angriffen der Presse preisgegeben ist. Unsere Volksvertretung, die das zu bessern hätte, trägt mit die Schuld daran, daß es so ist und eine Änderung völlig aussichtslos erscheint! Wie wird Deutschland aus der Verfahrenheit des Parlamentarismus einmal herauskommen?

Daß solche Übelstände und Fehler unseres Staatslebens, unter denen auch die Entwicklung unserer Museen in diesen Jahren besonders zu leiden hatte, doch schließlich in Schwächen und Sünden unseres Volkslebens ihren Grund haben, zeigte sich leider auch im sinkenden Anstandsgefühl bei manchen unserer Fachgenossen, namentlich im jüngeren Geschlecht. Mit der außerordentlichen Zunahme der Studierenden unseres Fachs, die trotz der sehr gesteigerten Chancen in keinem Verhältnis steht zu den Stellungen, die sich ihnen an den Museen und Universitäten bieten, hat eine beträchtliche Zahl der jungen Kunsthistoriker sich nach längeren Jahren vergeblichen Bemühens nach einem Unterkommen in anderen Berufen entschließen müssen. Um ihre Vorbildung auszunutzen,[236] pflegen sie dann als Kritiker und Feuilletonisten zur Presse oder zum Kunsthandel überzugehen.

Das scheint auch auf einzelne ihrer früheren Kollegen, mit denen sie in Beziehung blieben, ungünstig eingewirkt zu haben, zumal das immer wachsende Interesse für die öffentlichen Kunstsammlungen, namentlich die städtischen, und die Mittel, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, die jungen Leiter dieser Institute bei ihrer Schwärmerei für die modernste Kunst in engste Fühlung mit den Kunsthändlern und vielfach in Abhängigkeit von ihnen gebracht haben. Das hat dazu geführt, daß nicht nur unsinnige Summen für sehr zweifelhafte Kunstwerke ausgegeben werden, sondern daß sich auch bei uns in Deutschland eine Anzahl von Kunsthistorikern, nach Art der englischen »art critics«, zu Schrittmachern der Kunsthändler hergeben, um bei den enormen Preisen, die Kunstwerke aller Art seit einem Jahrzehnt erreicht haben, an dem Gewinn mit teilzunehmen. Eine besondere Tätigkeit dieser Händler- und Kritikerverbrüderung ist die Entdeckung verkannter Künstler, ihre Proklamierung zu Meistern ersten Ranges und die Propaganda, um sie zu Modekünstlern im Handel zu machen, nachdem die Händler ihre Magazine vorher mit um Spottpreise aufgekauften Werken derselben angefüllt haben. So ist unter älteren Malern zuerst Goya, dann Greco auf den Schild gehoben und wird jetzt gar Magnasco in Szene gesetzt.

Daß ein solches Gebaren auf unser ganzes Fach und seine Vertreter übel nachwirken muß und daß daher zwischen solchen »art critics« und den wirklichen wissenschaftlichen Arbeitern und Beamten der Kunstsammlungen das Tischtuch zerschnitten werden muß, wird hoffentlich bald erkannt und befolgt werden. Ich selbst habe mir von vornherein redliche Mühe gegeben, dahin zu wirken, obgleich ich mir sagte, daß ich dadurch die Zahl meiner Gegner nur noch vermehren und die mit dieser Clique zusammenarbeitende Presse noch mehr gegen mich einnehmen würde. Vor allem habe ich von unseren Museen Leute mit solcher Gesinnung fernzuhalten oder nötigenfalls zu entfernen gesucht.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 234-237.
Lizenz:
Kategorien: