Sichtung der Bilderbestände

[12] Gleichzeitig war ich in verschiedenster Weise angestrengt beschäftigt. Die wachsenden Aufwendungen für die Berliner Museen hatten in den Provinzen den berechtigten Wunsch nach größerer Berücksichtigung der Provinzialsammlungen wie der Städtischen Museen erregt. Dieser Wunsch fand in der Kammer zunächst seinen Ausdruck im Verlangen nach reichlicher Abgabe von Dubletten und aus den Beständen der Magazine. In der Galerie hatte ich während der ewigen Umräumungen infolge des langsam vorschreitenden Umbaues Gelegenheit gehabt, die Magazine durchzuarbeiten und auch[12] manche Bilder nach genauer Prüfung aus der Sammlung auszuscheiden.

Gleich bei Aufstellung vor der Eröffnung der Galerie 1830 hatte man, namentlich aus den kolossalen Beständen der Sammlung Solly, zahlreiche Bilder entfernt. Man hatte zunächst eine Art Kuriositätenabteilung, die »Inkunabelräume«, geschaffen, die regelmäßig geschlossen waren, und hatte in zwei schmalen Gängen neben der Rotunde das, was allmählich ausgeschieden wurde, aufgehängt und aufgestellt, so gut und so schlecht es ging. Von dem Rest, der nicht für aufstellungswürdig erachtet war, wurde seit 1837 schon eine sehr beträchtliche Zahl der besseren Bilder an Provinzialsammlungen sowie an Kirchen abgegeben, namentlich an Münster und Königsberg, und einige hundert Bilder der Solly-Sammlung wurden als Dekoration der Kgl. Schlösser verwandt. Es blieben aber immer noch mehr als tausend Gemälde, die nicht einmal gerahmt und etwa zur Hälfte selbst nicht auf Blendrahmen gespannt waren. Sie hatten gelegentlich hergerichtet werden sollen, um abgegeben oder verkauft zu werden, lagerten aber seit 1830 vergessen unter dem Dache, unter furchtbarem Schmutz und durch Hitze und Feuchtigkeit arg mitgenommen; seit einem halben Jahrhundert hatte niemand einen Blick hineingetan. Um zu sehen, ob nicht doch das eine oder andere Bild daraus für die Provinzialsammlungen oder selbst für unsere Galerie geeignet sei, und um den Bau von dem übrigen feuergefährlichen Ballast zu entlasten, entschloß ich mich in ruhigen Sommertagen der Jahre 1882 und 1883, soviel ich mich erinnere, diese sämtlichen Magazine auf dem Dache des Alten Museums reinigen zu lassen und auf ihre Verwendbarkeit zu prüfen. Dabei erwiesen sich ein paar Dutzend Gemälde der altitalienischen Schule als durchaus ausstellungswürdig für unsere Galerie. So z.B. u.a. eine der Tafeln Melozzos aus dem Palast von Urbino, Altartafeln von Cosimo Roselli, von Coltellini, Foppa u.a. Florentinern, Lombarden und Ferraresen des Quattrocento.[13]

Eine weit größere Zahl erschien zur Abgabe an die Provinzialmuseen geeignet. Diese Menge wurde noch wesentlich vermehrt durch starke Ausscheidungen aus der Galerie, als diese nach Vollendung des Umbaues Ende 1884 wieder neu gehängt werden sollte. Aus dem gesamten Vorrat trafen die Vorstände zahlreicher Museen der Provinzen im folgenden Jahre ihre Auswahl, und der absolut unbrauchbare Rest kam einige Zeit darauf im Kunstauktionshaus Rudolf Lepke zur Versteigerung: mehr als tausend Bilder, die einen Durchschnittspreis von etwa 7,50 Mark erzielten! Was damals für die Provinzialgalerien und einige städtische und Universitätssammlungen ausgesucht wurde, entsprach teilweise nicht den Anforderungen, die auch diese Sammlungen an die Qualität ihrer Kunstwerke hätten stellen sollen. Nur die Universitätsstädte und einige Museen, die sich in ihrem Sammlungsgebiet weise beschränkten, wählten einsichtsvoller. Erstere nach dem Gesichtspunkt, für den kunsthistorischen Unterricht einen möglichst mannigfaltigen Apparat zur Darlegung der Entwicklung der Malerei, ihrer Technik usw. zu gewinnen (so Bonn, Göttingen und später Halle); letztere, um eine bestimmte Schule, die schon leidlich in der Galerie vertreten war, zu vermehren und zu verbessern, so Münster die westfälische Schule, Osnabrück, Emden und Aachen die holländische Schule. Es gab auch Muse en, die sich nur bereicherten, um ihre Räume zu füllen. Ich habe daher später, nachdem mit dem rasch wachsenden Interesse für Kunst und ihre Pflege die städtischen Kunstsammlungen in Preußen mehr und mehr gefördert wurden, sachverständige Leiter erhalten hatten und in eigenen Bauten untergebracht waren, darauf hinzuwirken gesucht, daß dieser Ballast aus unseren Magazinen wieder zurückgegeben wurde. Jetzt dient er daher zumeist als Dekoration der Ministerwohnungen und der Botschaften. Was an reinen Dekorationsstücken aus den Schlössern gekommen war, ist wieder an die Krone zurückgegeben und zur Ausschmückung der Schlösser verwandt worden.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 12-14.
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