Tschudis Berufung zum Direktor der Nationalgalerie

[122] Noch im Laufe des Jahres 1896 vollzog sich eine Veränderung in der Verwaltung der Gemäldegalerie, die namentlich für die Zukunft bedeutungsvoll wurde. Der Assistent Hugo v. Tschudi trat aus der Direktion der Gemäldegalerie aus und wurde als Nachfolger Jordans zum Direktor der Nationalgalerie ernannt. Er hatte, als ich eben von langem Krankenlager aufstand, mich ganz offen gebeten, ihm die Direktion der Galerie oder wenigstens der Skulpturensammlung zu überlassen, da meine Gesundheit mir die Leitung der Sammlungen doch schwerlich weitergestatten würde. Ich antwortete ihm, daß ich dies in der Tat doch sehr hoffe, und daß mir die Trennung in der Leitung der beiden Abteilungen gerade jetzt, wo es gelte, das Renaissancemuseum durchzusetzen und auszuführen, unrichtig erschiene. Hatte Tschudi schon seit mehreren Jahren nur ungern den Museumsdienst versehen und meist für sich Studien über die altniederländische Kunst gemacht (deren einzige größere, völlig reife Frucht sein ausgezeichneter Aufsatz über den Meister von Flémalle gewesen ist), so hielt er sich von da ab aller Museumsarbeit möglichst fern.

Als nun die Stellung Jordans im Staatsdienst infol ge seiner bedauerlichen, seit Jahren heftig angegriffenen Beziehungen zu[122] der Trowitschschen Kunstanstalt und wegen seiner häuslichen Verhältnisse so mißlich wurde, daß er seinen Abschied nehmen mußte, riet ich dem Generaldirektor, schon im Interesse der mir unterstellten Sammlungen, Tschudi die Direktion der Nationalgalerie zu übertragen. Ich sei überzeugt, daß er an der Spitze einer solchen Sammlung sich mit aller Energie deren Vermehrung und Verbesserung angelegen sein lassen würde. Schoene schwankte eine Zeitlang. Er fürchtete, Tschudi sei zu sehr Gesellschaftsmensch und hinge außerdem so sehr an der alten Kunst, daß er sich in die moderne schwerlich einleben würde.

Wie wenig berechtigt diese Befürchtung war, zeigte sich, als nach vergeblicher Anfrage bei W. von Seidlitz bald darauf seine Ernennung erfolgt war, schon in wenigen Monaten. Tschudi ging mit vollen Segeln in das Lager der Modernsten über, bekam dadurch enge Fühlung mit der vor einiger Zeit gegründeten Berliner Sezession und galt bald als das geistige Haupt neben und selbst über Max Liebermann. Dies brachte ihn nicht nur in Opposition zu der Kunstrichtung des Kaisers sondern von vornherein auch zu den Anschauungen des Generaldirektors, der sich hinfort von jeder Einmischung in die Ankäufe der Nationalgalerie fernhielt. Tragischerweise wurde aber gerade Schoene als Tschudis Vorgesetzter für dessen sezessionistisches Gebaren verantwortlich gemacht, da er zu vornehm denkend war, um das wahre Sachverhältnis aufzuklären. Das Referat für moderne Kunst wurde ihm genommen und Geheimrat Schmidt unter Althoff als Dirigenten übertragen. Seither hatte es Tschudi, wenigstens für verschiedene Jahre, sehr viel leichter, da Geheimrat Schmidt, der nach seinen Interessen der Kunst ferner stand, zu vermitteln suchte, Tschudi dem Kaiser gegenüber deckte, ihm Mittel für seine Erwerbungen, namentlich französischer Künstler, zu verschaffen und gleichzeitig die »Kaiserlichen« Künstler durch Aufträge zu befriedigen wußte, während er auch in den Akademien der Provinzen sich eine Stütze schuf.[123]

Da mir persönlich die ultraimpressionistische Richtung der modernen Kunst keineswegs sympathisch war, wurde auch das Verhältnis zu Tschudi immer kühler, obgleich ich wenig mit ihm zusammenkam und mich in seine Angelegenheiten nur mischte, wenn er mich ausnahmsweise um meine Vermittlung beim Kaiser bat. Die Sezession, deren Mitglieder ich mit Ausnahme von Liebermann meist nicht einmal von Ansehen kannte, und ihre Presse glaubten in mir ihren ingrimmigen Feind und den Hetzer gegen sie beim Kaiser zu sehen. Und doch hat der Kaiser nie auch nur daran gedacht, mit mir über moderne Kunst und Künstler zu sprechen, schon, weil er behauptete, ich sei viel zu sehr in meine alten Meister »vernarrt«. Daß ich aus innerster Überzeugung die Bilder eines Cézanne, Hodler, van Gogh, Gauguin, Matisse oder gar der Kubisten oder Futuristen für alles andere, nur für keine große Kunstwerke halten konnte, daß mir Corinths Fleischmassen unerfreulich, Brandenburgs und Baluscheks Bilder phantasielos und trist erschienen, das hat man mir als ein Verbrechen angerechnet und darüber alles vergessen, was ich früher für ein richtiges Verständnis der neueren deutschen Kunst beizutragen versucht hatte.

An Stelle Tschudis als Assistent der Gemäldegalerie trat auf meinen Wunsch, wie bereits erwähnt, der auch von jenem warm empfohlene Dr. Max Friedländer. Sein Eintritt in die Leitung der mir unterstellten Sammlung war mir besonders deshalb erwünscht, weil ich ihre Erweiterung nach der Richtung der altniederländischen und der deutschen Kunst anzustreben suchte; erstere, um die bei uns wie in keiner anderen Sammlung vertretene Schule noch reichhaltiger und vollständiger auszugestalten, letztere, damit sie allmählich in einer den übrigen Schulen einigermaßen nahekommenden Weise vertreten werde. Friedländers außerordentliche Kenntnis dieser Gebiete und sein Eifer haben zur Erreichung dieses Zweckes ebenso gute Dienste getan wie sein Ordnungssinn und seine Pünktlichkeit für die Verwaltung der Sammlungen nützlich wurden.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 122-124.
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