Das dekorative Bild.

[153] Im Grunde genommen hat jedes Bild eine dekorative Wirkung, aber mit »Dekorativ« bezeichnet man hauptsächlich Werke, von denen gesagt wird, sie wären der realistischen Auffassung entgegengesetzt.

Das Staffeleibild, welches auf die Wirkung hin gearbeitet ist, welche die Luft auf die Gegenstände räumlich und veränderlich auf ihre Lokalfarbe ausübt, wird immer das Körperliche und Handgreifliche in der Darstellung betonen.

Wo die Luftwirkung gewissermaßen ausgeschaltet ist und dafür die Fleckenwirkung bevorzugt wird, kann man anfangen, von einem dekorativen Gemälde zu reden. Es wird immer mehr dazu, je mehr die Tiefenwirkung aufhört und das Reliefartige beginnt.

Die Linienführung und die Verteilung von Hell und Dunkel mit platter Flächenwirkung charakterisiert die dekorative Malerei. In diese Form kann sowohl die dekorative Figurenmalerei wie[154] auch Landschaftsmalerei hineingepaßt werden; die höchste Betätigung darin ist das Fresko.

Die italienische Gotik und Renaissance hat in der Freskomalerei die großartigsten Werke der Menschheit geschenkt. Die Figuren standen in Flachwirkung nebeneinander; die Verkürzung konnten diese Künst ler (Masaccio, Giotto) um so leichter entbehren, als sie noch nicht geübt wurde. Erst dem Michelangelo war sie vorbehalten, der sie bis zur größten Virtuosität steigerte: die Decke der Sixtina. Aber auch bei ihm waren diese Bilder noch, trotzdem sie Deckengemälde waren, senkrecht zu dem angenommenen Horizont gedacht.

Die Epigonen der Hochrenaissance fingen zuerst an – bei dem Reichtum der rein technischen Mittel – in den Deckengemälden die doppelte Verkürzung auszubauen, indem sie den Horizont in die Höhe der Decke verlegten und so die Kompositionen verarbeiteten, als wenn dieselben von unten nach der Höhe strebten. Also brachten sie ein realistisches Moment der Tiefenwirkung wieder – gegen den Charakter des Dekorativen – hinein. Die größte Ausartung darin ist der Jesuitenstil (die Barockkirchen und -Paläste sind reich an solchen Malereien). Man konnte sich nicht genug darin tun; die Übertreibungen gingen so weit, daß schiefe Wände statt der senkrechten gebaut wurden, die dann durch die Malereien die kompliziertesten Augentäuschungen hervorbrachten.

Der letzte Große in diesem Fach war Tiepolo.

In unserm Zeitalter, wo Italien – aller Überlieferung bar – für die Kunst verloren gegangen ist, sind Fresken nicht mehr gebräuchlich.

Man benutzt ebenfalls die Leinwand und läßt diese in die Wände ein.

Oft wird bei diesen dekorativen Bildern der stumpfe Ton an Stelle des glänzenden Ölfarbenmaterials benutzt; man malt heutzutage deshalb die Bilder mit ungefirnißter Tempera oder[155] mit Leimfarbe, die zwar nicht sehr haltbar, dagegen aber sehr leuchtend ist; außerdem kann man die Ölfarbe auch auf diesen stumpfen Charakter hin bearbeiten, indem man Kreidegrund nimmt und zur Verdünnung Terpentinöl. Man muß aber nicht vergessen, daß diese stumpfe Bildwirkung nicht lediglich das Zeichen des dekorativen Bildes ist, z.B. bei Böcklin sind die Bilder von sehr starkem Glanz, und dennoch sind sie in diese Rubrik zu zählen.

Einer der größten Meister dieser Art ist der Franzose Puvis de Chavannes; nichts Kleinliches ist in seinen Bildern; edle Linien in den Figuren und der Landschaft, in welcher sich jene bewegen.

Mehr die Figuren betonend, aber auch seine Werke für Wandwirkung denkend, ist der Schweizer Hodler hier zu nennen. Außer Böcklin wär: dann noch Klinger und Ludwig von Hofmann.[156]

Die Landschaft allein – ohne jede Staffage –, auf rein dekorative Wirkung, also Linienführung und Fleckenwirkung der Bäume als Massen, hat Leistikow dargestellt.

Auch C. Strathmann hat viele Landschaften in de korativer Art, aber in seiner ganz und gar eigenen Auffassung und Manier geschaffen. In diesen Werken, die weniger auf Linie wie auf Fleckverteilung gestimmt sind – eine rein ornamentale Wirkung anstrebend –, klingt bereits das Kunstgewerbe an. Strathmann studiert alles auf das Ornament hin: die Fleckverteilung des Mooses auf dem Waldboden und an den Baumstämmen; die Schlagschatten, die eine Straßenbeleuchtung oder der Mond von den Bäumen auf das Trottoir werfen, hier zu krausen Mustern sich formend; die ineinander flutenden Kurven von überstürzenden Wassern und andere Naturbilder mehr: Wolken etc.

Auch die Blumen und die niedrigere Tierwelt: die Amphibien und Insekten, bilden Motive für die ornamentalen Schöpfungen. Schlangen, Käfer, Schmetterlinge haben die wunderlichsten Formen, Farbenzusammenstellungen und sind wie geschaffen für diesen Zweck.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 153-157,159.
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