Vorwort zu den neuen Auflagen

Über sein eigenes Wissen und Tun sich Rechenschaft geben zu wollen ist ein viel schwierigeres Unternehmen, als man so gemeinhin annimmt. Grade die Hauptsachen, die man in langer Praxis als etwas Selbstverständliches hinnimmt, und die doch den Anfängern und jüngeren Kunstbeflissenen fremd sind, sind nicht so leicht in Worte zu kleiden, daß sie allgemein verstanden werden.

Meine lange Studienzeit, später das intensive Arbeiten an Bildern nach der Natur, hauptsächlich nach dem nackten Menschen, und zuletzt meine umfassende Tätigkeit als Lehrer brachten mich immer wieder auf den Gedanken zurück, schreiben zu wollen: was ich weiß und was wissenswert sei.

So habe ich denn, nachdem ich mich bemüht habe, das innerste Wesen der Malerei klar zu legen, in diesem Buche einen Lehrplan entworfen, durch dessen Verfolgung es möglich sein könnte, eine gewisse Stufe in der Malerei zu erreichen. Ich bemerke nochmals ausdrücklich, daß meine Lehre nicht den einzigen Weg zur Erlangung des Ziels bedeuten soll, sondern einen von vielen. Ferner habe ich jedes Rezept vermieden, sondern nur auf das rein Künstlerische hingewiesen[7] und zwar mit Hilfe des einzigen Medi ums, durch das man ein wahrer Künstler werden kann, nämlich mit Hilfe der Natur.

Zu meiner größten Genugtuung ist dieses Buch von Seiten des interessierten Publikums mit solchem Wohlwollen entgegengenommen, daß wenige Monate nach seinem Erscheinen an neue Auflagen herangegangen werden mußte.

Ich habe noch einige Ergänzungen zugefügt, die mir notwendig schienen, nachdem mir durch den Druck des Buches eine Übersicht über das Ganze möglich wurde. Es sind zwar wesentliche, aber nicht einschneidende Zusätze, und so ist dann das Buch für fernere Auflagen definitiv komplett und ich hoffe, daß das Publikum dasselbe erfreuliche Interesse auch weiter an dem Werke zeigen möge, wie es bei der ersten Auflage an den Tag gelegt hat.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 7-8.
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