Einführungsrede als Präsident der Sezession

Einführungsrede als Präsident der Sezession

[95] Der neue Vorstand hat mich zu seinem ersten Vorsitzenden erwählt. Wir stehen vor einem wichtigen Abschnitt in dem Leben der Sezession. Nicht allein, daß Herr Professor Liebermann auf eine Wiederwahl verzichtete, sondern auch der größere Teil des alten Vorstandes hat seine Demission gegeben. Alle diese Herren, die teils freiwillig aus ihren Ämtern geschieden sind, teils auf ihre Wiederwahl verzichteten, gehören zu den tüchtigsten Mitgliedern der Berliner Sezession und werden in ganz Deutschland zu den hervorragendsten Künstlern längst gezählt.

Anstatt dieser glänzend Anerkannten besteht jetzt der Vorstand aus solchen, die sich erst Ruhm und Stellung zimmern wollen. Diese werden mit ihrem regen Wollen auch eine kraftvolle Frische mitbringen, und ich habe die feste Zuversicht, daß auch die weitere Zukunft der Sezession gesichert ist, einesteils durch die glückliche Führung des Herrn Professor Liebermann bis auf den heutigen Tag, zweitens durch die Lebenskraft, die die Sezession die ganze Zeit hindurch gewonnen hat, und drittens durch den allertriftigsten Grund, nämlich den: daß die Sezession für die gedeihliche Kunstentwicklung in dem Berliner Kunstleben zu einer absoluten Notwendigkeit geworden ist.

Ich bin überzeugt, daß auch die Mitglieder der Sezession an dem Bestehen und Gedeihen unserer Vereinigung reichlich helfen wollen, und das wird geschehen durch Unterdrückung aller Zweifel, ob nicht die Geschichte auch schief gehen könnte, durch ein festes Vertrauen auf sich selbst, woran es ja den meisten nicht fehlt, dann aber durch stärkstes Vertrauen auf die gute Sache, die wir vertreten, und auch etwas Vertrauen zueinander. Da die Hauptsache aber ist, lediglich gute Ausstellungen zu machen, so sei der einzige Kampfplatz, wo wir aber auch aufs eifrigste kämpfen wollen, einander zu übertreffen, hier unten in unseren Ausstellungsräumen.

So kann es uns nicht fehlen, daß wir noch lange Zeit in dem Sinne der Gründung die Sezession zum Heil für uns und die Stadt Berlin gedeihlich weiter führen werden. Falls es gar zu scharf gehen sollte, so haben wir ja das Versprechen unseres allverehrten und geliebten Professor Liebermann, daß er in Zeiten der Not uns treu in Rat und Tat zur Seite stehen wolle, und ich glaube auch, daß die anderen Herren, die bis jetzt die Geschäfte leiteten, gern mit ihrer Kraft uns helfen werden.

Denn es herrscht unter diesen Herren, die den alten Vorstand bildeten, keine üble Gesinnung: sie zählen wie bisher zu den Mitgliedern der Sezession und werden unsere Handlungen mit dem größten Wohlwollen verfolgen.

So fordere ich denn sämtliche Mitglieder auf, zum Zeichen des Dankes, den wir dem früheren Vorstande schuldig sind, sich von ihren Plätzen zu erheben, und ich glaube im Sinne aller zu reden, wenn ich verspreche, daß wir uns bemühen wollen, die Sezession weiter in dem Sinne wie bisher zum Gedeihen und Fortschritt zu führen.

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 95-96.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon