Rudolf Wilkes Nachlaß

Rudolf Wilkes Nachlaß

[28] Der Hyperion-Verlag von Hans von Weber hat durch die Herausgabe eines Prachtwerkes die Kunstwelt Deutschlands zu großem Dank verpflichtet. Das in größtem Format ausgeführte Buch besteht etwa aus fünfzig Blättern, die einseitig in schönster Faksimile-Reproduktion ausgestattete Zeichnungen und Entwürfe aus dem Nachlaß des genialen, uns durch den Tod so früh entrissenen Simplizissimus-Zeichners Rudolf Wilke zeigen. Was er seinen Freunden war und was er der Welt bedeutete, hat sein kongenialer Genosse der dichterischen Fakultät, Ludwig Thoma, in einem Vorwort auf dem ersten Blatt niedergeschrieben: »Hochgewachsen, schlank, von einer Kraft, über die ungezählte Geschichten verbreitet werden, eine rassige männliche Erscheinung. In dem schönen Gesicht saßen ein paar Augen, die man nicht wieder vergißt.« So ist er auch mir die wenigen Male, wo ich mit ihm zusammenkam, in Erinnerung geblieben. Der Hyperion-Verlag hat den Mut gehabt, diese scheinbar nur die Künstler interessierenden bewundernswerten Skizzen, diese oft nur durch einige Striche in günstigen Augenblicken gewissermaßen stenographierten Entwürfe auch dem größeren Publikum vor Augen zu führen.

Wir finden hier die Anfänge von Wilkes später ausgeführten lebensvollen Zeichnungen für das berühmt gewordene Simplizissimus-Witzblatt. Wir können in diesen Blättern beobachten, wie sorgfaltig er Bourgeois-Möbel studiert hat: einen Regulator, Vasen mit Glasstürzen, Spiegel, Pfeifen usw. wir können hier eine »Sonntagnachmittagsgeschichte« in ihrem ersten Entstehen kennen lernen. Die Figur dazu scheint der berühmte Schiffskapitän zu sein, der im Trifolium mit seinem Steuermann und seiner Frau in einer Serie von launenhaften Zeichnungen eine so humorvolle Rolle spielt. Hier sehen wir, wie Wilke die Hände in den verschiedensten Stellungen beim Erzählen ausprobiert hat. Interessant ist, wie er wieder und wieder ein Schema für den Ausdruck der Bewegungen in Händen, Köpfen und Gestalten sucht. Aber auch von anderer Seite lernen wir diesen sprühenden, lebensvollen Künstler kennen: nämlich, wie er das Studium der Landschaft auf das ernsthafteste verfolgt. Eine bayerische Gastwirtschaft auf dem Lande mit angelehnter Kirche; eine Mühle, von Gebäuden und flachen Feldern umgeben; Flußufer und Häuserreihen am Hafenplatz. Alles streng nach der Natur gezeichnet und mit Farbstiften leicht überkoloriert. Mit wenigen Buntstiften hingekritzelt, sehen wir eine skizzierte Bettlerschar, wie man sie vor den Kirchenportalen in süddeutschen Dörfern vorfindet, charakteristische Striche zu Porträtköpfen und anderes.

Die Art der Reproduktion, die jede Bleistift- und Kohlenstrich-Nuance bringt, die jeden gewischten, getuschten und kolorierten Ton in seinem Charakter zeigt, ist über alles Lob erhaben.

So können wir uns freuen, daß durch diese Veröffentlichung seines Nachlasses unserm reichbegabten, wahrhaft genialen – weil all sein Tun aus dem Herzen stammte – Kollegen ein ehrendes Denkmal entstanden ist, das über unser Zeitalter hinaus von seiner Künstlerschaft zeugen wird.

Quelle:
Corinth, Lovis: Gesammelte Schriften. Berlin: Fritz Gurlitt, 1920., S. 28-29.
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