Andre Freunde

[32] Überhaupt mochte die damalige Periode in geselliger Beziehung eine der angenehmsten im Leben meiner Eltern sein. Ohne Zwang und Gene verkehrten sie auf herzliche Weise mit den vorzüglichsten und interessantesten Leuten, meist Fremden, die sich zu jener Zeit in Dresden aufhielten, und wie würdig sie eines solchen Umgangs waren, beweist der Umstand, daß fast alle, mit denen sie in Berührung kamen, ihnen auch fürs Leben Freunde blieben.

Ich nenne hier den bekannten Adam Müller, der damals im Verein mit Schubert und Böttiger die schöne Welt mit tiefsinnigen Vorlesungen erbaute, – den liebenswerten Theologen Köthe, Schuberts intimsten[32] Freund, den geistreichen Rühle von Lilienstern, – die Geologen Moritz von Engelhard und Karl von Raumer und den störrigen Wanderer Seume, der zwar eigentlich in Leipzig wohnte, den Weg von da nach Dresden aber als Spaziergang ansah und schneller als die Post zu Fuß durchschritt.

Außer diesen sehr bekannten Männern erinnere ich mich noch mancherlei anderer, weniger namhafter Freunde aus jener Zeit, unter denen ich hier nur noch zweier gedenken will: des Bildhauers Ulrich, der durch ein sonderbares Abenteuer unvergeßlich wurde, und des durch abenteuerliche Sonderbarkeiten aller Art bemerkenswerten Philosophen Dr. Wetzel.

Ulrich, der des Abends viel in unserem Hause war und gern etwas über die Zeit blieb, hatte die Unart an sich, wenn er zur Nachtzeit durch die öden Straßen ging, sein Liedchen, wie ein Gassenjunge, vor sich hin zu pfeifen, und zwar so vernehmlich, daß die anwohnenden Leute aus dem Schlafe fuhren. Da er nun eines Abends spät von uns nach Hause schlenderte und, nach seiner Gewohnheit überlaut pfeifend, die Schloßgasse passierte, geschah es, daß ihm, sehr unvermutet, eine mondsüchtige Person auf den Kopf fiel, oder vielmehr in seine unwillkürlich ausgebreiteten Arme, und ihn zu Boden riß. Es sei gewesen, erzählte er, als er andern Tages krank lag, als wenn einer von einer Bombe getroffen werde, nur mit dem Unterschiede, daß diese nicht krepiert wäre, und er auch nicht. Das unglückliche Mädchen hatte, ganz harmlos nachtwandelnd, oben an den Dachrinnen herumgespukt und war durch den Lärm, den Ulrich mit seinem Pfeifen machte, erwacht und herabgestürzt.

Was endlich den Philosophen Wetzel anlangt, der, wenn ich nicht irre,[33] durch Schubert eingeführt war, so erregten seine Eigentümlichkeiten meiner guten Mutter mancherlei Bedenken. Das Studium des Altdeutschen war damals sehr in Aufnahme gekommen, und Wetzel hielt es für nötig, unsere moderne Sprache, die er ausgeartet fand, möglichst auf ihre geschichtlichen Anfänge zurückzubiegen. Es sei an der Zeit, fand er, den eigentümlichen Genius des vaterländischen Idioms wieder freizumachen, und hierin müsse jeder anderen mit gutem Beispiel vorgehen. Er drückte sich daher oft so urdeutsch aus als von Tronje Hagen oder der Spielmann Volker und wollte auch anderen die moderne Redeweise nicht leicht gestatten. Da jemand z.B. von der Sonne sprach, fuhr er sogleich dazwischen: dies heroische Gestirn heiße ursprünglich und nach reiner Redeweise »Sunno« und sei männlichen Geschlechtes; es zum Weibe zu machen sei unverantwortlich, und man müsse sagen: der Sunno scheint. – Nicht weniger befremdlich war es der Mutter, daß Wetzel seine würdige Frau nie anders nannte als »Henne« und sein niedliches Töchterchen »Forelle«. Er dagegen behauptete, unsere gewöhnlichen Taufnamen seien gar zu albern und hätten nicht die geringste Bedeutung. Unter Amalie, Charlotte, Luise, Franz und Balthasar, und wie die Leute alle hießen, könne sich kein Mensch was denken. Namen müßten das Ding bezeichnen, gewissermaßen abmalen, und wenn er seine Frau nenne, so hätte jedermann damit ein treues Bild ihres Wesens und ihrer Beschäftigungen, wie denn auch seine Tochter eine veritable Forelle sei. Meine Mutter fand das alles, von dem Sunno bis zur Forelle, nicht wenig abgeschmackt und stand deshalb in einem fortwährenden kleinen Kriege mit dem gelehrten Herrn, während es dem duldsameren Vater zweifelhaft blieb, ob man nicht jedem volle Freiheit lassen dürfe, sich nach Belieben auszudrücken und seine Kinder zu benennen, wie ihm es gefiele.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 32-34.
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