August Macke 05.06.1912

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BRIEF AUS BONN

[Datum des Poststempels: 5.6.1912]

Lieber Franz!


Also nochmal! Mir hängt alles am Halse heraus. Bald bin ich schon gar nicht mehr imstande, zu unterscheiden.

Wer hat Euch denn bei Gott dazu aufgereizt, plötzlich diese hirnverbrannten Krachschlägereien anzufangen. Erbslöh war hier. Ist er der gottbegnadete Künstler, dem nicht genügend Gelegenheit geboten scheint, sich herzlich zu ›blamieren‹? Ich denke, seine Sachen genügen völlig. Ich reime mir ihn dazu, weil er derjenige war, der ganz allein von Euch die Ausstellung sah. Die Werefkin? – Na, das eine Bild ist schon zuviel. Kanoldt? Du kennst ihn! Dürfte fehlen. Mogilewsky. Von drei Bildern sind zwei zuviel und zwar die grösseren. Jawlensky wirkt mit seinen ewigen Spiegeleiern wie der Maler Jungblut mit seinem Mondschein. Hat vier Bilder. Die Munter fehlt Gott sei Dank und wird infolgedessen recht geflattert haben. Von Dir sind fünf Sachen da (eins übersah ich neulich: Die zwei Katzen). Kandinsky zwei (Kahnfahrt und Improvisation).

Was Du in dem Artikel betonst, ist Blödsinn. Was heisst: Die Ausstellungen sind von den Künstlern abhängig? Wer ist Künstler? Hätte man im Sonderbund die einzelnen Vereinigungen mit eigener Jury ausstellen lassen, so hätte man den ganzen Anhang immer dabei gehabt, als da ist .... Eine Masse Leute, die keine Künstler sind. Die Künstler zu bestimmen, muss man schliesslich der Direktion einer solchen Ausstellung überlassen. Es ist solch eine Ausstellung mit einer solchen Auswahl (die sehr vielseitig, belehrend und interessant ist) im Grossen als offizielle grosse Kunstausstellung noch nicht dagewesen. Selbstverständlich hat es Gewicht, wenn von dem einzelnen Künstler (so viele gibt's ja gar nicht) möglichst viel da ist. Aber andrerseits genügt es für den Kenner auch, wenn z.B. ein Cézanne in der Münchener Sezession hängt, vollkommen. Hier hängen bloß zwei Nolde. Ich hatte von Nolde den Eindruck, dass er sehr zufrieden mit der Wirkung dieser Kunstsäulen sein konnte und war. Es kommt auf die Importanz des einzelnen in sich abgeschlossenen Kunstwerkes an. Ich für mein Teil wäre mit einem Bilde, um mich zu blamieren, zufrieden. Vernünftige Leute sollen sich nicht auf die Strasse stellen und in die Luft gaffen. Es wird sich da ein Auflauf bilden, aber nachher geht der Auflauf nach Haus und fragt sich, was in der Luft eigentlich war. Der Vereins- und Reklamefimmel ist schrecklich. Mich ekelt der Sturm bald an und die ewigen Manifeste. Und wenn Ihr diesen Artikel loslasst, ebenso wie die Bezeichnung ›Zurückgestellte Bilder des Sonderbundes‹,[128] so schäme ich mich ein bißchen, Euer Freund zu sein. Folgen und Unannehmlichkeiten, sogar Rücksichtslosigkeiten gegen Hagelstange und Reiche sind mir wurst. Ich bin frei, niemand verantwortlich als mir selbst, aber ich will Euch nur die Situation noch einmal vor Augen führen.

Reiche hat Euch allen immer geholfen, wie kein Mensch in Deutschland. Jawlensky hat 19 Bilder verkauft, Bechtejeff eine ganze Reihe, Werefkin, Munter, Du. Man greift ihn an, aber er arbeitet für Euch. Versprechungen werden genug gegeben. Ach, es ist mir überhaupt zu dumm. Bode schreibt einen Artikel in der Woche gegen die sämtlichen Kunsthistoriker, die sich in die neue Kunst einmischen. Deusser, Clarenbach schimpfen auf das Vorhandensein der Kunsthistoriker im Sonderbund (wären diese ›Künstler‹, von denen die Ausstellungen abhängig sind, erst aus dem Sonderbund), die Kölnische Zeitung wettert gegen die Kunsthistoriker. Wer hat in München gegen Tschudi gearbeitet? Die Künstler. Meier-Graefe gibt in der Sonntagsnummer der Frankfurter Zeitung seinen Standpunkt zu erkennen gegen die Moderne Kunst (»Verbrennungsprodukte« nennt er sie). Und sieh Dir bitte, bitte die Ausstellungen an, die abhängig sind von den Künstlern (denn leider ist der Begriff Künstler sehr dehnbar). Die Leute, die nun wirklich für die neue Kunst eintreten, die blamiert Ihr. Man wird sagen: »Seht Ihr, Ihr dummen Museumsherren, das schadet Euch nichts, lasst die Finger von den Kerlen, die können sich ja nicht einmal benehmen. Überhaupt diese fortwährenden Zwistigkeiten unter Künstlern. Es ist uns zu dumm. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Es ist kein Ernst hinter dem ewigen Geschrei.« Und man kann es den Leuten nicht verübeln. Glaubst Du denn allen Ernstes, dass es Hagelstange und Reiche angenehm wäre, offiziell mit Walden genannt zu werden? Glaubst Du, Tschudi wäre das angenehm gewesen, obgleich diese keine Tschudis sind. Und da hättet Ihr (entschuldige den Ausdruck) das Maul gehalten. Das lächerlichste ist aber, dass keiner von Euch die Ausstellung sah und Du in dem Misthaufen von Sindelsdorf polemisierst gegen eine Sache, die Du gar nicht kennst. Ich habe Reiche und Hagelstange den Artikel gezeigt. Die sind beide, ebenso wie ich und sicher auch Cohen der Ansicht, dass er gar nicht harmlos ist. Und dann diese ›epochemachende‹ Ausstellung, die Ihr veranstaltet. Na, Prost!

Eben kommt Marias Brief. Ihr könnt Euch denken, dass Lisbeth durch Arbeit und Heuschnupfen sehr erledigt ist. Andrerseits ist ein Aufschieben schlecht möglich. Bubi ist auch schwach und steht in zehn Tagen auf. Da ein längeres Zusammensein für Lisbeth wirklich zu anstrengend ist, so bitte ich Euch, mit höchstens 14 Tagen zufrieden zu sein. Wir fahren viel nach Köln und natürlich dann auch nach Hagen zusammen. Also, Ihr seid nicht bös darum, aber es ist uns am liebsten in der Zeit vom 30. Juni bis 15. Juli. Ich muss am 5. August bis 30. September eine Übung machen. Also kommt und nehmt vorlieb. Aber bestimmt dann. Nicht wahr! Und[129] seid gegrüsst, und der Franz soll ein bisschen ruhiger werden. Ich werd's ihm schon noch mündlich sagen.


Euer August

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 126-130.
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