100 [88] Brief an August und Lisbeth Macke

Sindelsdorf, 22.5.1913


Ihr Lieben, schönen Dank für Eure beiden Briefe, den männlichen und den weiblichen. Wir gratulieren, daß das kleine neue Wölflein so brav ist; wir sind so neugierig, es mal zu sehen. Wir kommen vielleicht nächstes Frühjahr in die Schweiz, um Euch zu besuchen. Und das Walterchen hat es also schon mit den Mädchen.

Über Deine Berliner Reise habe ich mich natürlich gewundert, obschon ich sowas ja an Dir kenne. Ich hab selten derartige plötzliche Anwandlungen, höchstens zu kleinen Fußwanderungen; ich werde auch damit meine bevorstehende Heuschnupfenzeit ausfüllen. Ich weiß nicht, wie es bei Euch mit der Gräserblüte steht, bei uns kommt die Zeit erst ca. 5./10. Juni bis Mitte Juli. Mir ist schon ein bissel Angst vor dem scheußlichen Asthma. Eigentlich wollten wir die Zeit weg; eine Fußtour über das Stilfserjoch, Brescia, Bergamo, – aber nun fehlt das Geld; ich hoffte auf Verkäufe, – kein Mensch denkt an solche. Es ist schon gemein. Je weniger gekauft wird, desto mehr male ich. Bei der Kollektion, die jetzt in Hamburg ist, sind eine Reihe Bilder, die Du nicht kennst, ich glaube, recht anständige. Und[88] mein Speicher steht voll von neuen Bildern, mehreren ganz großen Geschichten und ein paar kleinen. Ich glaube wahrhaftig, ich hab Fortschritte gemacht; es muß so was sein. Ich fühle meine Sachen ganz anders; ich glaube, es steckt mehr unbedingter Zwang in ihnen, weniger Wollen.

Es freut mich aber doch recht, daß Du von einigem bei Koehler einen guten Eindruck hattest; mein Gefühl, wenn ich an das Kuhbild denke, ist nie ganz rein; eben das Wollen ist drin zu stark, trop voulu; die Hörner und die Fanfarenfarben klingen mir zu stark. Ich habe jetzt lauter ganz verschiedene Bilder gemalt. Willst Du Titel wissen: sie sagen nichts, amüsieren Dich aber vielleicht: Der Turm der blauen Pferde: Die ersten Tiere: Das arme Land Tirol: Die Bäume zeigten ihre Ringe, die Tiere ihre Adern: Die Weltenkuh: Die Wölfe (Balkankrieg) usw.

Daß es mit Heckel und Genossen so gehen würde, wußte ich bestimmt voraus, schrieb es ihnen auch offen mehrmals. Schlechte Gesellschaft drückt unfehlbar den Charakter. Bezeichnend ist ja schon das im Katalog reproduzierte Bild von Heckel. Pechstein hat mich mit seiner Kollektion bei Goltz direkt entsetzt: Matisse salonfähig verflacht, oder Matisse ohne Geist. Um Heckel allein ist es mir so leid; es wird seiner Kunst doch schaden; wie scheußlich, wenn er jetzt schon Cassirer in der Auswahl seiner Bilder gehorchen muß.

An Swarzenski hab ich sofort geschrieben. Die tschechische Zeitschrift kenne ich gut; wenn die Leute mittun, ist es fein; ich habe Walden längst aufmerksam gemacht, daß er sie zu sich ziehen soll; wir persönlich kennen niemand davon. Mit Thannhauser rede ich noch diese Woche. Über die bewußten zwei Bilder, Korb und Gartenbild, kann ich nichts sagen; wir haben sie sicher für den Blauen Reiter bestimmt, – ob sie aber geschickt worden sind, hab ich keine Ahnung. Walden bestätigt jede Sendung, die er empfängt, und hat überhaupt Ordnung; wenn Du keine Bestätigung bekommen hast, wird er sie auch nicht erhalten haben. Wegen Henseler schreib ich Dir noch; ich kenne nur Zeichnungen von ihm, die ich gar nicht mag (à la Schwarz-Weiß-Konkurrenzen im Studio).

Ich bin so neugierig, von Dir Neues zu sehen, wir reden so oft: was mag er nun gerade malen? Lisbeth muß im September mitkommen; es wäre so nett. Herzlichen Gruß allseits und kreuzweise

Euer Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 88-89.
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