109 [95] Brief an Hugo Ball

8.4.1914


Sehr geehrter Herr Ball, den Zeitungsnotizen nach zu schließen scheint unser Theaterprojekt in den üblichen Münchner goldenen Mittelweg auszulaufen; die Zeitungen reden um den Begriff ›Münchner Künstler‹ herum und operieren damit, als wenn dies der eindeutigste Begriff der Welt wäre. (Im Grunde ist er ja auch eindeutig.). Es müßte doch unbedingt ausgesprochen werden, daß wir durchaus nicht die Lust haben, dem Künstlertheater schöne neue Dekorationen und ›Bühnenbilder‹ zu schaffen, sondern daß wir die Szene selbst, d.h. also das Schauspiel neu organisieren und nach unserem künstlerischen Vorstellungsleben gestalten wollen [Aufzeichnungen und Schriften Nr. 14, d. Hrsg.]. Es ist mir völlig klar, daß ich z.B. in meinem Fall in einen unheilvollen Konflikt mit dem Düsseldorfer Ensemble geraten würde, wenn ich versuchte, ihr Spiel meinen Intentionen anzupassen. Nun wird aber der Fall dadurch sehr vereinfacht, daß unter den Künstlern, die Sie zunächst ins Auge faßten, ich wahrscheinlich der einzige bin, der diesen unvermeidlichen Konflikt zu fürchten hat. So wie ich Bechtejeff, Jawlensky, Seewald und Weissgerber kenne, werden diese gewiß famose Dekorationen und Bühnenbilder schaffen, zu denen das Düsseldorfer Ensemble ein famoses Spiel bieten wird. Ich bin davon fest überzeugt, aber ebenso überzeugt von der Unmöglichkeit meinerseits, hier mitzutun. Ich warte dann lieber, bis sich einmal wirklich etwas Neues schaffen läßt, mit eigenem Ensemble und vollkommener Bewegungsfreiheit. Sonst kommt nichts Echtes zustande. Dann müßte man Kokoschka, Kandinsky, Klee, Macke berufen und als Musiker (die heute für die Bühne gar nicht zu entbehren sind) den Schönberg-Kreis (Schönberg, Webern, Alban Berg u.a.) gewinnen, alles zeitig vorbereitet, damit nichts überstürzt wird. Könnte man denn nicht eine Gesellschaft gründen, mit diesem offenen Programm? Vielleicht finden sich doch Garantiezeichner oder Unternehmer. Vielleicht ist es auch eine Utopie, für die keine Katze sich interessiert. (Ich traue der Gegenwart alles zu!) Ich schrieb Ihnen das alles, damit Sie sich ja nicht über meine persönliche Stellungnahme täuschen. Ich habe nicht die geringste Lust, an einer halben Sache mitzuwirken. Ich bin neugierig, wie sie weiterläuft (im Grunde weiß ich eben genau, wie sie laufen wird, nämlich wie immer in München). Mit höflichem Gruß Ihr Fz. Marc.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 95.
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