111 [96] Brief an Alfred Kubin

Ried, 6.7.1914


Lieber Kubin, Sie Glücklicher! Daß Sie Ihren Propheten schon bewältigt haben; ich ringe noch schwer mit dem Engel Gottes; er versetzt mir mehr Stöße als ich ihm; bis zum Spätherbst glaube ich ja[96] auch fertig zu sein; vorher aber keinesfalls. Ich schneide alles in Holz; der ganze Arbeitsprozeß ist dabei ein so langsamer, – nicht etwa das Schneiden – aber das Denken in Holz – das ist das Schwere. Ich werde Klee den Bibelgedanken so schwer auf den Rücken bin den, daß er in diesem Sommer die Sache machen muß. Ebenso schreib ich wieder Heckel. Kandinsky und Kokoschka sind mir die unsichersten; beide warten mit einer unglaublichen Seelenruhe auf die Stimmung dazu – eher machen sie keinen Strich. Ich bin [in den] nächsten Tagen in München und rede mal mit Piper. – Ich bin immer noch überzeugt, daß er einer der schlimmsten, aber auch der brauchbarste aller Verleger für eine solche Sache ist. Und sein Interesse für eine Bl. Reiterausgabe ist sehr gespannt, da er sich auch mit der II. Auflage des Bl. R. engagiert hat [Aufzeichnungen und Schriften Nr. 22, d. Hrsg.]; er muß in dieser Richtung weiter für uns arbeiten und ist dankbar für Material. Ich stelle mir das wenigstens so vor. Ist Ihnen doch recht, wenn ich mal dort auf den Busch klopfe? Wenn nicht, schreiben Sie es mir so bald als möglich. Alle zusammen auf einmal die Sache herausgeben, halte ich nicht mal für ganz glücklich, stolz ja, aber materiell sehr unvorteilhaft; aber was ich hoffe; in ca. 1/2jähriger Folge, mit ziemlicher Regelmäßigkeit. Später kann man dann eine Gesamtausgabe schaffen. Uns geht's gut; ich arbeite jetzt viel, sehr neue Sachen; ich bin in diesem Frühjahr einen guten Schritt weiter gekommen, genau in der Richtung (hoffentlich Himmelsrichtung, nicht Programmrichtung), in der ich seit langem strebte. Daß wir so weit von einander wohnen, ist mir auch schmerzlich. Ich glaube, Sie sind noch beweglicher als ich. Wir rechnen mit dem Besuch in Zwickledt auf den Herbst; es ist dann auch die schönste Reisezeit. Sie schreiben, daß Sie auch September auf die Fahrt gehen – auf länger? Werden Sie zu uns herauskommen? Wir hoffen sehr darauf. Wir haben jetzt auch ein gemütliches Fremdenzimmer, das jede Stunde aufnahmebereit ist. Betreff neuer Sezession bin ich weit pessimistischer als Sie. Was sind das für Leute! Mir ist viel sympathischer, den offiziellen Wind in den Segeln des Herrn Habermann, Kaulbach, Zügel usw. blasen zu hören, als um eine Horde, die auf unsren Feldern herumtrampelt ohne Sinn und Verstand und vor allem ohne Ehrfurcht. Ich war ja auch das Karnickel, das Kandinsky abgehalten hat, mitzutun. Klee tat aus materiellen, wohlberechtigten Gründen mit, ist ihm aber auch nicht wohl dabei. Nun adios, seien Sie mit Ihrer Frau herzlich gegrüßt von uns beiden

Ihr F. Marc.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 96-97.
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