32 [31] Brief an August Macke

Sindelsdorf, 6.5.1910


Lieber Macke, das erste, was ich Ihnen aus Berlin berichten will, ist die aufrichtige Freude, die ich in Herrn Koehlers Sammlung vor Ihren paar Sachen empfand. Das Porträt von Frau Lisbeth ist bewunderungswürdig, und alles, was sonst von Ihnen dort hängt, verrät den famosen Maler, den ich angesichts Ihrer Skizzenbücher vermutete und erhoffte. Ich freue mich recht, in Bälde in Tegernsee Neues von Ihnen zu sehen. Daß ich unseren verabredeten 21. nicht vergesse, kann ich wohl sagen. Ich arbeite sehr fleißig und glaube, voranzukommen und Besseres zu machen. Die Koehlersammlung enthält ja köstliche Stücke. Aber eine Neugestaltung ist dringend nötig, wenn sie als Ganzes einem eine Freude machen soll. Wir wollen uns beide recht bemühen, daß die Sache in fünf Jahren anders ausschaut. Leider hat mich ihr Brief vor meiner Abreise nicht mehr erreicht; ich denke, was ich, ziemlich gelegentlich, über Le Beau gesagt habe, wird nicht viel Eindruck gemacht haben. Ich verspreche Ihnen jedenfalls, es bei der nächsten Gelegenheit gründlich wiedergutzumachen. Denn einerseits sehe ich Ihre Begründung, Herrn Koehler mit widersprechenden Urteilen nicht stutzig machen zu dürfen, völlig ein, andrerseits denke ich nicht so schlecht von Le Beau, um ihn nicht auch aufrichtig anzuerkennen. Ich habe ihn von einem durchaus anderen Standpunkt angesehen als Sie. Ich wünsche durchaus, daß Sie Recht behalten. Mit Kropp sprach ich über ihn; der sagt, man müsse mehr von ihm kennen, um ihm die Bewunderung zu zollen, die er verdient. Van Dongen finde ich so künstlerisch, daß er eigentlich jeden Tadel niederschlägt. So ganz kann ich freilich weder in van Dongen noch in Matisse u.a. aufgehen. Von Matisse ist eine sicher wertvolle und bedeutende Sache in der Sezession, – aber wenn man von Künstlern wie Hodler, der diesmal ganz wunderbare Sachen hat, zu den besagten kommt, so fühlt man den Unterschied zu stark. Sie alle trainieren einseitig, – Hodler schafft, und mit ihm auch Geringere, vor allem unter den Schweizern (Germanjat), mit der ganzen Inbrunst und Hingabe. Neben dem einzigartigen van Gogh-Bilde,[31] neben Cézanne und Monet und Manet wirken diese Jüngeren nicht gut, – zu arrangeurhaft. Nauen schien mir schon recht gut, nur etwas gequält. Das Bildnis ist etwas hart und unfrei gemalt. Wieviel lieber würde ich solch Dinge mündlich mit Ihnen bereden; schade, daß wir nicht miteinander in Berlin waren. Die ägyptischen Säle des Museums sind zu wunderbar, – darüber vergißt man allen Tagesstreit um die Parole! Herrn Helmuth habe ich lei der nicht zu sehen bekommen. Koehler und er sind ziemlich verknallt miteinander. Koehler tadelt seine jugendliche Arroganz und fühlt sich gekränkt, Koehler jun. ebenso. Sie wußten nicht einmal seine Adresse! Ich schrieb an ihn in die Leo-König-Schule, bekam aber keine Antwort. Es tat mir aufrichtig leid. Unter seinen Arbeiten, die bei Koehler standen, war nur Angefangenes: eine wirklich köstliche Kopie nach dem Breughel (Fragment), dann ein angefangenes Stilleben (Madonna mit Äpfeln), das völlig wertlos und mißraten war. Daneben eine ganz hübsche Straßenansicht, – ungleiche Sachen. Ich bin begierig auf seine weitere Entwicklung und was Berlin aus ihm machen wird. Herr Koehler will auf seiner Rückreise nach Sindelsdorf kommen und dann vielleicht mit uns von hier nach Tegernsee oder umgekehrt; ich freu mich darauf. Ich bin Ihnen für jeden Wink, den Sie mir Koehler bezüglich (auch betreff Helmuth) geben, dankbar. Ich suchte Herrn Helmuth in Schutz zu nehmen und schob seine insolente Haltung auf seine Jugend, – hatte aber nicht viel Glück damit.

Ich bin mit Frl. Franck Dienstag Nacht nach München zurückgefahren und nun wieder in unserem lieben Sindelsdörfchen angelangt.

Schreiben Sie uns doch, ob und wann wir nach den Pfingstfeiertagen (vorher geht es nicht) Sie einmal besuchen können. Aber sagen Sie es natürlich aufrich tig, ob Ihnen unser Besuch jetzt lieb ist oder ob wir ihn noch aufschieben sollen. Wir richten uns dann nach Ihrem Bescheid, – denn Zeit haben wir ja dann schließlich immer. Dieser ungewohnt langatmige Brief soll nichts, als Ihnen sagen, wie gern ich zuweilen mit Ihnen zusammensäße und plauderte, allein um des Plauderns willen und um der Dinge willen, die man niemals sagt und mit Plaudern willig überdeckt.

Grüssen Sie Ihre verehrte liebe Frau bestens von Frl. Franck und mir. Herzlichst Ihr

Fz. Marc

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 31-32.
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