96 [85] Brief an Herwarth Walden

4.4.1913


... Eine Ihrer Entgegnungen kann ich nicht ganz unerwidert lassen; das ›Gegenständliche‹ in der Kunst, das Sie für belanglos erklären.[85] So einfach liegt die Sache nicht. Ob man eine thronende Madonna oder Spargeln malt, ist nicht ausschlaggebend für die Qualität des Bildes und seinen Wert, kann aber doch einen verdammten Unterschied bedeuten, je nach der Zeit, in der es gemalt wird; unsere Nerven reagieren sehr verschieden auf diese Bilder; es gibt bürgerliche, königliche und heilige Zeiten; das bürgerliche 19. Jahrhundert – ab 1860 – ist nicht mehr das unsre; für mich existiert es wenigstens nicht mehr, und ich rede nur von mir aus. Ich sehe und erhoffe heute andre Dinge von der Kunst und vom Geiste. Ein glänzender deutscher Stil, und ein feiner Advokatengeist ist sicher etwas Schönes; aber ich lasse es mir nicht nehmen, etwas anderes von der Kunst zu erwarten ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 85-86.
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