200

[169] 2.XI 15.


Liebste, ich bin so froh, daß meine Post nun doch richtig angekommen ist. Vielleicht läßt Du Dir es doch für ein nächstes Mal ein bissel zur Lehre dienen. Warum die Postsperre stattfand, wissen wir selbst nicht. Daß mein Antwerpener Kommando mich erst später trifft, hat mit den Kriegsaussichten etc. gar nichts zu tun. Diese Schießkommandos sind ja gewissermaßen Friedensübungen, die jetzt auch während des Krieges abgehalten werden und zu denen eben nach einem gewissen Schema alle tüchtigen Reserveoffiziere kommandiert werden; ein solches Kommando aus der Front ist natürlich eine Auszeichnung. Könnte ich Dir doch etwas von meinem Gleichmut, – nenne es meinetwegen in der alten (d.h. Deiner neuen) Sprache: Gottvertrauen geben; ob ich nun bei der Kolonne bin oder als Batterieoffizier verwendet werde, ist ja ganz gleich. Es kann mir gar nichts geschehen, was mir nicht notwendig geschehen muß. Es gibt keinen dummen Tod oder ein dummes Unglück oder Glück; ich las wieder viel im Evangelium, – wie kannst Du eigentlich im Evangelium lesen und doch Angst haben? Tatsächlich: mir ist das gänzlich unverständlich. Lies Deinen Nerven aus dem Evangelium vor, – da müssen sie doch ruhig werden, und Dein ganzes Wesen muß freudig werden.

Von meinen Urlaubsgedanken hast Du ja inzwischen gehört, – ich hoffe sehr, daß es gelingt. Ich habe um 14 Tage eingegeben. Es wäre zu schön! Also wenn ich telegrafiere, erschrick nicht. ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 169.
Lizenz:
Kategorien: