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[194] 13.II 16.


Liebste, ich wollte, Du könntest einmal bei der Briefkontrolle neben mir sitzen und manche von diesen Liebesbriefen mitlesen. Schon die Stimmung auf dem Couvert:


An Frl. Zenzi Duffner

zum Köpferl in der Wis

Post Miesbach


und dergleichen. Und manches ist so reizend und rührend ausgedrückt; oder so lakonische Bemerkung: jazt wan der Krig no lang dauert, wer i ungemütlich. Daß Niestlé diese Briefe nicht lesen kann! ...

Heute erzählte jemand, daß, wenn der deutsche Tagesbericht funkentelegraphisch über ganz Deutschland geht, der Eiffelturm sehr oft grob dazwischen diktiert: ›ist gelogen‹, ›Prahlerei‹ u.s.w. Ist das nicht unglaublich? Diese Vorstellung, [daß der] Eiffelturm so dazwischenschimpft!


Man bringt mir eben meine Post, die den Tod unsrer armen lieben kleinen Hanni meldet. Wie traurig hat mich das gemacht! Lina schrieb es mir gleichzeitig. Zu helfen war da natürlich nicht mehr. Sie[194] ist wenig stens nicht allein gestorben und hat die pflegenden Hände sicher wohltätig gespürt. Ich leg Dir Linas Brief bei. Ob nur die Schwächung durch die Geburt und schwache Ernährung schuld ist, möchte ich sehr bezweifeln. Wild darf nicht stark gefüttert werden; Heu bekam es ja wohl, soviel es wollte. Schon die Drüsenanschwellung ist das Symptom irgendeiner inneren (wohl Blut-)Krankheit, die dann in einer Darmkolik endete. Ich kenne es bei Pferden jetzt so gut. Das Tierchen hat ein friedliches, liebes Leben bei uns gehabt, – so denke ich auch nicht weh an Hanni zurück, – und an Russl auch nicht; denn ich schrieb Lina, daß ihn Bauer unbedingt schmerzlos in seinen Hundehimmel schicken soll. Schon im November war mir klar, daß er an einer schweren Alterskrankheit leidet; Linas Brief schildert sie ja so gut, daß ich mich sofort entschieden habe. Es wäre grausam, ihn leben zu lassen in dem einsamen Rehhüttchen und überhaupt. An ihm herumdoktern hat gar keinen Sinn. Halte Dir, wenn Du heimkommst und kein Lämmchen halten willst, ein Vögelchen. Der arme Dietzel!! Du schreibst: Kein Mensch hat das Recht, dem andern das Leben zu nehmen. Ich sage: Kein Mensch hat das Recht, den andern auszubeuten, ihm in den Weg zu treten, dem Geld einen solchen Schups zu geben, daß es zu einem rollt u.s.f. Der Krieg ist nur die Folge im Großen. Der Bazillus und die Krankheit sind für mich dasselbe. Febr. Urlaub ist unmöglich; ich führe ja noch immer die Kolonne ganz allein und kann nicht weg. Aber es geht mir famos. In Liebe Dein Fz. M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 194-195.
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