15.

[189] Die Weltgeschichte hat ihre immanenten, vor dem Menschenauge sorglich verheimlichten Gesetze, die erst der prometheische Mensch des 19. und 20. Jahrhunderts zu enträtseln begann, als er mit seiner ehernen Wissenschaft von den Gesetzen der Natur auf ihren Schleichwegen folgte.

Unser Wissen verfing sich am ersten in den Dingen, die unsrer Menschlichkeit am fernsten lagen: man begann mit den Sternen und Zahlen, um heute endlich die Wissensformel gegen den Menschen selbst zu kehren.

Alles, das Größte ist heute in den Anfängen.

Die Weltgeschichte, unsre eigenste Geschichte ist uns immer noch – im Gegensatz zu unserm Leben in der Materie – ein rätselvolles Werden, das wir in einer Art Dämmerzustand erleben. Nur in den seltenen, prophetischen Stunden des wachen Bewußtseins werden wir gewahr, daß wir ausgezeichnete Handlanger großer Gesetze sind, glänzende Schauspieler und Priester eines geheimen, schwer erforschlichen Willens. Wir decken das wahre Sein mit unsrem Spiel, mit unsrer ›Person‹; wir gründen Staaten, treiben Politik; erfinden Religionen; wir zetteln blutige Kriege an und fühlen am Ende, an den äußersten Enden, weit hinter und über diesem Leben den stummen Willen des wahren Seins; und müssen doch davon schweigen, um die Kurve der Entwicklung nicht zu splittern. (Siehe die plumpen Nihilisten, die das nicht verstehen und zur Unzeit reden!).

Die Edlen und Treuesten lenken die ungebärdige Menge von der Wiege des zartesten Welteies ab.

Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 189.
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