9.

[187] Vom ersten Moment des Kriegsausbruches an war mein ganzes Sinnen darauf gerichtet, den Geist der Stunde aus ihrem tosenden Lärm zu lösen. Ich verstopfte mein Ohr und suchte dem Kriegsgespenst in den Rücken zu sehen. Alle Zeichen des Krieges stritten wider mich. Sein Gesicht blendete mich, wohin[187] ich mich wandte. Der Denker meidet das Gesicht der Dinge, da sie niemals das sind, was sie scheinen. Ich zweifelte nie, daß die Europäer durch diesen Krieg nicht das erreichen, was sie wollen und sagen. Sie wollten ihn ja nicht einmal, wie sie alle beteuern! Aber ein geheimes, ihrem Wissen und Willen fremdes Wollen rauschte in ihrem Blute und brach aus ›wider Willen‹.

Niemals wurde es deutlicher als hier, daß das, was wir unser Wollen nennen, nur ein Vordergrundsspiel ist und die Vorwände unsres Handelns wirklich nur Vor-wände, Kulissen sind. Dahinter, darunter murmelt der ruhelose mahnende Vatergeist Hamlets, der Schicksalswille, den nur die sehen, die das zweite Gesicht haben.

Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 187-188.
Lizenz:
Kategorien: