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[50] Leider habe ich in diesem mir so trübseligen Jahr 1869 die Schwäche gehabt, auf Professorenrat einige sehr gute Bilder vom Sommer, direkt nach der Natur gemalte Bilder, verkäuflich herrichten zu wollen. Sie wurden dadurch ganz zerstört. Es tut mir jetzt leid darum, sie waren aus einer so schaffensfreudigen Zeit.

Unter Gudes Korrektur malte ich auch eine Landschaft, die sogar im Kunstverein gefiel. Am Mittagstisch, wo Maler und andre junge Leute speisten, kam ein Polytechniker direkt vom Kunstverein. Er kannte mich[50] nicht und so sagte er zu den Malern: »Jetzt ist ein Bild von dem Thoma ausgestellt, das gar nicht so schlecht ist.« Man kam ein wenig in Verlegenheit und so stellte mich einer der Maler dem Herrn vor, worauf der sich entschuldigen wollte, was ich abwehrte, weil er gesagt habe, mein Bild sei gar nicht so schlecht; das bedeute doch immerhin ein Lob. Es wurde mir von einer Seite auch Hoffnung gemacht, daß der Großherzog das Bild kaufen würde. Ich dachte schon daran, mit dem Geld zu Scholderer nach Paris zu gehen. Die Hoffnung war aber umsonst. Ich habe das Bild später in München dick mit Ocker und Umbra übermalt und habe eine dunkle Abendlandschaft mit heimkehrender Viehherde daraus gemacht. Viktor Müller nannte dann das Bild die überlebensgroße Landschaft. Der Maler Schuch hat es später von mir gekauft.

Nach der gescheiterten Hoffnung war ich aber doch recht rat- und geldlos und ich wußte, daß es jetzt hohe Zeit sei, von Karlsruhe fortzugehen. Es waren bedenkliche Zeichen, daß es nicht für mich ratsam sei, länger zu bleiben.

In die Sonntagsnachmittags-Kaffeegesellschaft mochte ich nicht mehr gehen, denn ich wußte, daß man dort Spott und Mitleid mit mir hatte, ein gewisser Salat wurde von Witzbolden Thomasalat genannt.

Eine sehr trübe Neujahrsbetrachtung vom Jahre 1870 will ich nicht aufnehmen – wozu alten Jammer aufrühren. Es zeigt sich darin so eine Art von verzweifelter Zerstörungslust. Ich möchte alles, was ich gemacht habe, zertrümmern, mit einer Hoffnung im Hintergrund, daß ich dann Neues und Besseres machen würde, das ist freilich fast immer eine trügerische Hoffnung. Leid tut es mir freilich jetzt, daß ich wirklich beim Fortgehen von Karlsruhe eine große Anzahl von Ölstudien und Zeichnungen, weil sie mir lästig waren und ich keine Kiste zum Einpacken hatte – es waren ähnliche Sachen wie die, welche jetzt als kleine Ölstudien und Zeichnungen im Thomamuseum hängen – es waren Hunderte von Sachen – verbrannte. Es kommt mir dies jetzt, wenn ich zurückschaue, wie ein Eingeständnis der Niederlage vor, die ich im Jahre 1869 in Karlsruhe erlitten hatte – das Brandstiften und Zerstören auf dem Rückzuge – wir leben jetzt in den schrecklichen Kriegsjahren, da möge man solch ungeheuerliche Vergleiche entschuldigen.[51] Wie ich den Rückzug weiter bewerkstelligt habe, weiß ich nicht mehr genau. Am 13. Mai bin ich von Karlsruhe fort und war ein paar Tage bei Lehrer Ruska in Bühl, freute mich an der Ruine Windeck, am Bühlertal und der herrlichen Gegend. Von da ging ich nach Schiltach zu Mucherers, verlebte dort in der Behaglichkeit guter Verpflegung in dem schönen an der Kinzig gelegenen Garten eine gute Zeit und konnte die Karlsruher Niederlage ganz vergessen. Ich wußte, daß ich unversehrt aus dem Kampfe hervorgegangen sei. Ich war zwar eine weiche, jedoch keine weichliche Natur. In dem schönen malerischen Schiltach zechte ich in der Krone mit Wucherer und betätigte mich eifrig am Kegelspiel. Wir machten gar schöne Ausflüge, so in das Kirnbachtal zu Pfarrer Krummels. In Wucherers Garten malte ich auf Fensterläden im Gartenhäuschen aus dem Stegreif einen Hochzeitszug – eine gar leichtsinnige Arbeit. Auch ein Blumenstilleben malte ich, welches mir Wucherer abkaufte. Am 1. Juni ging ich nach Freiburg zu Lugo. Ich zeichnete den Kapellmeister Hauser. Fräulein Thirry kaufte eine Tuschzeichnung »Hexenzug«. Am 8. Juni ging ich nach Säckingen, weil ich Nachricht bekommen, daß Agathe an den Masern erkrankt sei, es wurde aber bald besser. Ich zeichnete fleißig am Rheinufer und im Tannwald. Ich kümmerte mich um nichts in der Welt, so die richtige Malerstimmung. So las ich auch keine Zeitung und war höchlichst überrascht, als ich eines Abends mit der Studienmappe ins Städtchen zurückkam, dort eine ungeheure Aufregung herrschte, weil Frankreich den Krieg erklärt hatte. Schon am andern Tage mußten die Soldaten einrücken. Es herrschte eine bange Stimmung, da ja die französische Grenze gar nahe war; man nahm fast als sicher an, daß nun die Franzosen kommen würden. Es war viel Streit mit den Schweizer Nachbarn, die offen französisch gesinnt waren. Aber da kam die Schlacht bei Wörth, und Säckingen war voll Siegesjubel. Am Sonntag gingen die Säckinger nun stolz über die Rheinbrücke, machten ihren Morgenspaziergang und tranken ihren Frühschoppen in der Schweiz drüben in Stein, die Schweizer waren etwas kleinlaut geworden. Es gibt wohl keine ärgere Geißel für die Menschheit als der Krieg, doppelt schrecklich, weil man nicht ganz von dem Gedanken loskommt, daß sie sich mit vieler Mühe diese Geißel selber geflochten hat. Das Fressen[52] und Gefressenwerden, welches die Welt beherrscht, kommt im Krieg zum unverhüllten schrecklichen Ausdruck Schrecklich ist der Völkerhaß, er scheint aus den tiefsten Abgründen des Menschengeistes, ohne Grund, unergründlich aufzusteigen.

Meine Finanzverhältnisse wurden wieder einmal bessere. Ich glaube es war auf Gudes Veranlassung, daß in Wien ein Bild von mir, »Hochzeitszug durch Kornfelder«, für 400 Gulden gekauft wurde.

Im September war ich bei Romer in St. Blasien. Der September, da die Sonne im Zeichen der Wage steht, ist ein gar schöner Monat. Er hatte was Ruhig-Sicheres, Ausgeglichenes. Eines Tages besuchte ich mit der Familie Romer den Pfarrer Beringer in Ibach. Der dunkle Tannwald, durchzogen von Harzgeruch und Rauch der Kohlenmeiler, zwei große Haufen verdampften zu Kohlen, und der Rauch schwebte geistergleich zwischen dem Tannendunkel. Schwarze Männer saßen vor der Rindenhütte, daneben rieselte der kristallklare Forellenbach über das goldbraune Gestein in seinem moosumhüllten Bette. Der Weg führte dann über langgestreckte, bräunlich grüne Viehweidehalden mit Wachholderbüschen und zerstreuten Granitblöcken. Gar eigenartig erklingen die Glocken der am Hügel zerstreut hinwandelnden Kuhherde. Hinter dem Hügel, ein freundliches weißes Kirchlein und Pfarrhaus, und zerstreut wie die weidende Herde die braunen Hauser mit den hellen Schindeldächern. Den Herrn Pfarrer sahen wir von weitem schon zwischen den Weiden am Bache Forellen angeln. Er bewirtete uns dann mit denselben und seinem guten Markgräfler gar köstlich.

Fabrikbesitzer Krafft in St. Blasien bestellte ein Bild bei mir, ein Anklang an Hebels »Morgenstern«. Das gab mir einen guten Halt bei meinem Vorsatz, um mein Glück in München zu probieren.

Von Säckingen machte ich mit Agathe noch einen schönen Herbstgang nach Lörrach und Stetten, wo wir bei Verwandten die Weinlese mitmachten. Es begegneten uns unterwegs viele Leichtverwundete und auf Urlaub gehende Soldaten.

Vom Krieg war, Gott sei Dank, in Säckingen nichts zu sehen, und doch ist der brave Bürger, wie auch ich, darauf aus, etwas zu sehen. Nur einmal wurde bekannt, daß ein Regiment Württemberger mit[53] der Bahn abwärts befördert würde, die einen beabsichtigten Einbruch vom Elsaß her abwehren sollten. Das badische Oberland, der Schwarzwald, waren ganz ohne Truppen. Da auf einmal hieß es, daß der ganze Schwarzwald voll Württemberger sei. Überall wurden sie gesehen, und jetzt also auch in Säckingen. Dies wirkte wie eine Erlösung. Die Säckinger eilten an den Bahnhof mit Bier- und Weinfässern, ihrem Dank Ausdruck zu geben. Die guten Württemberger machten aber einen heillosen Lärm als der Zug hielt, sie waren die vielen Stationen her betrunken gemacht worden. Nun war es aber genug und die Offiziere liefen an den Wagen hin und her und wiesen jeden, der mit einem Wein- oder Bierglas sich nahte, schroff zurück.

Diese Württemberger mit ihrem Lärm hatten aber ihren Zweck sehr gut erfüllt, es war nur das eine Regiment, aber sie zogen von Ort zu Ort hin und her, so daß im Elsaß das Gerücht entstand, der ganze Schwarzwald stecke voll Militär. Durch Säckingen fuhren sie, um auf den Höhen den Rhein entlang Lagerfeuer zu machen und großen Lärm. So sollen sie auch wirklich den Einbruch von Elsässer Banden verhütet haben. Vom 70er Krieg will ich aber nicht weiter erzählen, überhaupt nicht vom Krieg, denn er ist ein die Völker zerstörendes Unheil, und es ist wohl am besten, wenn man nicht viel über ihn spricht. Er ist eine Sache, vor der der Mensch hilflos steht. Daß er sich jemals abschaffen läßt, glaube ich nicht. Was ist doch das Kriegsspiel ein der Menschheit unwürdiges Spiel!

Quelle:
Thoma, Hans: Im Winter des Lebens. Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen, Jena 1919, S. 50-54.
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