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[24] Nun war ich wieder in Bernau im kleinen rauchigen Stübchen. Wir hatten ein paar Ziegen, ein Kartoffelfeld und ein paar Stückle Wiesen und Wald – da mußte nun gearbeitet werden. Aber ich half nicht viel, ich ging an meine Zeichnerei, und Mutter und Schwester ließen mich gewähren und nahmen die Arbeit auf sich.

In dieser Zeit nach der Rückkehr von Basel tauchte auch der Plan auf, daß ich meinen Fähigkeiten nach eigentlich studieren sollte. Meine Mutter, die alles anwendete, daß aus mir doch noch was Ordentliches werden solle, ergriff lebhaft diesen Plan, sie wendete sich an den Pfarrer, der auch zustimmte und sich bereit erklärte, mir Lateinunterricht zu geben. Allerdings meinte er, daß es zu diesem Anfang, da ich im 16. Lebensjahr stehe, etwas spät sei – er wolle es aber trotzdem befürworten. So kam es, daß ich mit der Mutter eines Tages nach Freiburg ging in das bischöfliche Palais – ich nahm auch eine Rolle Zeichnungen mit. Im Palais empfing uns ein Domkapitular sehr freundlich, hörte das Vorbringen der Mutter an, ob er vom Bernauer Pfarrer schon davon unterrichtet war, das weiß ich nicht – er sah meine Zeichnungen aufmerksam an, meinte auch, daß dies mein Talent mich besser durchs Leben führen könnte, als wenn ich Geistlicher würde. Er hielt dies auch, da ich keine andre Vorbildung als die in der Volksschule mögliche mitbringe, für gar schwer durchführbar bei meinem Alter. Jedoch er wolle noch Erkundigungen anstellen und wir möchten später wieder bei ihm nachfragen – meine Mutter tat dies auch, aber er hielt den Plan für unausführbar und verwies nochmals auf mein Zeichentalent.

Zu unserm Leidwesen zerstob der Plan, Pfarrer zu werden, an den Verhältnissen. Wie möchte es wohl sein, wenn unser Wunsch erfüllt worden wäre? Würde ich irgendwo im Schwarzwald als Pfarrer sitzen; ich glaube, daß ich ein ganz ordentlicher Pfarrer geworden wäre.[24] Vielleicht wäre ich auch zu höherer Stellung ausersehen worden, vielleicht säße ich etwa im Kloster Beuron, wo ich meine Kunst üben könnte, weitab vom Tageslärm – das denke ich mir gar schön.

Ich sollte eben nicht Pfarrer werden, ebensowenig wie, was ich noch erzählen werde, es ein Jahr später gelingen wollte, Ratsschreiber zu werden und daran emporsteigend jetzt Bürgermeister von Bernau zu sein.

Lehrer Ruska in Bernau Dorf hatte eine Zeichenschule errichtet, die ich besuchte, zu Haus zeichnete ich auf graues Papier Vergrößerungen nach allen möglichen Heiligen- und Kalenderbildern – auch machte ich Versuche, nach der Natur zu zeichnen.

Durch diese Zeichenschule wurde Oberamtmann Sachs in St. Blasien auf mein Talent aufmerksam, er machte allerlei Versuche mich irgendwo in die Lehre zu bringen, endlich kam ich zum Uhrenschildmaler Laule nach Furtwangen. An einem schönen Tage ging ich mit der Mutter über die Schwarzwaldhöhen nach Furtwangen. Ich blieb, einstweilen zur Probe, dort, und es gefiel mir. Da der Meister an einer Staffelei saß und eine Palette an der Hand hatte, so erklärte ich der Mutter, daß das ein richtiger Maler sei, und so blieb ich gerne. Vier Wochen war ich dort, es ging alles gut; ich durfte malen und ich glaube, der Meister konnte mich recht gut gebrauchen. Der Lehrvertrag sollte gemacht werden, der lautete auf vier Jahre Lehrzeit und 200 Gulden Garantie von einem Bürgen für den Fall, daß ich die vier Jahre nicht aushalten sollte. Die Mutter hatte kein Geld und für mein vierjähriges Aushalten wollte niemand Bürgschaft leisten – so kam die Mutter und holte mich wieder. Diesmal ging ich wirklich ungern. Die Kost war gut – ich war bei einer Gerberfamilie untergebracht – vom Morgenkaffee bis zum Mittagessen – z'Nüni gab's aber nichts. Das merkte sich ein kaum der Schule entwachsenes Mädchen der Familie, sie kam immer zu einer bestimmten Stunde in den Hof, wo auch ich mich dann einfand. Sie hatte immer eine große Butterschnitte, die sie mit mir teilte – ich glaube kaum, daß wir miteinander gesprochen haben – es war ein gar zartes Verhältnis. An das so rührend um mich besorgte Kind habe ich immer gerne gedacht – aber ich Undankbarer, ich weiß nicht einmal, wie sie geheißen hat.[25]

Wieder über die Berghalden durch die Tannenwälder heimwärts mit der diesmal doch etwas bangen Frage: Was soll nun werden? Die Mutter war sehr besorgt. Der Amtmann wird sich jetzt nicht mehr um uns kümmern. Als wir, unter einer alten Tanne ruhend, das von der Mutter mitgebrachte Mittagsbrot verzehrten, da faßte ich frischen Mut und sagte der Mutter, daß ich in den vier Wochen so viel gelernt habe, daß ich jetzt auf eigne Faust Uhrenschilde und viel andre Dinge malen könne. Diese Aussicht machte uns hoffnungsvoll und ganz fröhlich – es ist mir, als ob wir beim Weiterschreiten gesungen hätten. Alle Sorgen waren weg. Es war wohl das erstemal, daß ich mich dem Geschick gewachsen fühlte durch den Entschluß zur Tat.

Ein paar Tage später hängte ich meine Reisetasche um und ging nach Freiburg, wo ich in einem Geschäfte Farben, Öle und Pinsel kaufte, auch ein Stück Zinkblech nahm ich mit, um es zu grundieren. Mit diesen Farben im Reisesack und den Kopf voll Bilder konnte es mir nun nicht mehr fehlen – frohgemut ging ich über die Halde heim.

Dann ging das Farbanreiben an, das Zubereiten von Leinwand und Pappe, das ich ja in Basel schon gelernt hatte. Ich fühlte mich nicht mehr hilflos, ich malte mit Ölfarben nach Stichen und Holzschnitten, Heiligenbilder, Landschaften usw. Ich freute mich an meiner Arbeit. Freilich mußte die Mutter zuerst mit ein paar dieser Bildchen nach St. Blasien, so viel Mut hatte ich doch noch nicht. Die Mutter brachte aber guten Bericht. Die Bildchen wurden ihr vom Doktor und vom Apotheker Romer abgekauft – letzterer sagte, ich solle doch einmal zu ihm kommen – er malte auch. Das war nun gar schön. Ich malte mehrere Ansichten von St. Blasien auf grundierte Pappdeckel, sehr schön ausgeführt, so daß ich es wagte, für das Stück einen Gulden zu fordern – ich war fleißig darauf aus, Geld zu verdienen, und ich benutzte jede Gelegenheit hierzu. So ging ich eine Zeitlang in die Glashütte Äule wo ich auf Gläser mit Firnisfarbe Blümlein und Sprüche malte; auch mein Vetter Franz Maier malte dort das gleiche. Am Samstag brachte ich so immer einige Gulden mit heim. Aber so ganz sicher war mein Weg zur Kunst doch noch nicht, und es kam ein anderer Plan, der mich ganz andere Wege geführt hätte, wenn er gelungen[26] wäre. Es starb nämlich der Ratsschreiber von Bernau, und da ich ein guter Schüler gewesen, bewarb ich mich um die Stelle; aber ein etwas Älterer wurde mir vorgezogen, der später Bürgermeister wurde. Hätte ich die Stelle erhalten, so wäre ich jetzt vermutlich Bürgermeister von Bernau. Um Pfarrer zu werden war ich zu alt, zum Ratsschreiber werden zu jung. Ich hatte nun auch angefangen, eifrig nach der Natur zu zeichnen. An Sonntagen steckte ich ein Mäpplein unter den Rock und ging in den Wald, wo ich an möglichst verborgenen Orten Bäume abzeichnete – heimlich – ich wollte nicht von den Leuten im Ort ausgelacht werden. Auch Köpfe versuchte ich zu zeichnen; ich malte auch ein paar kleine Porträte auf Bestellung.

Quelle:
Thoma, Hans: Im Winter des Lebens. Aus acht Jahrzehnten gesammelte Erinnerungen, Jena 1919, S. 24-27.
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