23. Der Hünentöter

[22] Es war einmal ein reicher Kaufmann, der hatte drei Söhne. Jedem baute er ein großes steinernes Haus, und als er sterben sollte, rief er sie an sein Bett und sagte: »Ich habe viele Sünden, wenn ihr aber nach meinem Tod mit eurer Mutter eine Wallfahrt zur heiligen Waldkapelle im Morgenland macht, so hoffe ich Vergebung zu erlangen.« Die Söhne gelobten das zu tun. Nachdem aber der Vater begraben worden, vergaßen sie und ihre Mutter lange, was sie gelobt hatten. Auf einmal hörten sie in einer Nacht ein großes Gerumpel im Haus. Das wiederholte sich in der folgenden Nacht. In der dritten kam ein Priester und betete den Geist hinaus. Aber zugleich sagte der Priester, wenn sie die versprochene Wallfahrt am folgenden Tag nicht anträten, so würde der Geist immer wieder erscheinen.

Da machten sich die drei Brüder mit ihrer Mutter auf den Weg, und jeder nahm eine Windbüchse mit. Abends schliefen sie in einem Walde. Sie hielten aber abwechselnd Wache, damit nicht Räuber oder wilde Tiere sie überfallen könnten. Zuerst wachte der Älteste, dann der Mittlere, und von elf bis ein Uhr sollte der Jüngste Wache halten. Aber er galt unter seinen Brüdern als ein Dummrian, und sie sprachen untereinander: »Wir wollen ruhig schlafen, der kann auch bis zum Morgen Wache stehen!« Sie hatten aber ein großes Feuer gemacht. Das schürte der Junge an und entfernte sich darauf weit weg. Auf einmal kam ein fürchterlicher Löwe und ging gerade auf den Jungen los. Er nahm seine Windbüchse, und wie der Löwe herangenaht war, schoß er ihn nieder. Man hörte nur einmal: puck! und der Löwe war tot. Seine Mutter und seine Brüder schliefen fest. Der Junge nahm sein Messer, schnitt dem Löwen eine Pfote ab, steckte sie ein, schleppte ihn auf die Seite und bedeckte ihn mit Blättern. Danach begab er sich wieder auf seinen Beobachtungsposten. Da kam ein wilder Bär und gerade auf ihn zu. »Der ist gefährlich!« dachte er, »du mußt einen sichern Schuß haben!« und ließ ihn ganz herankommen. Erst dann drückte er los. Man hörte nur einmal: puck! und der Bär plumpste tot nieder. Er schnitt auch ihm eine Pfote ab und schleppte das Tier zum toten Löwen und bedeckte ihn mit Blättern. Kaum war das geschehen, so stürmte ein Wolf herbei mit flammenden Augen und aufgesperrtem, grimmigem Rachen. »Der ist noch gefährlicher«, sprach der Junge bei sich. »Jetzt mußt du dich zusammennehmen!« Er ließ ihn ganz nahe kommen, bis der Lauf dem Wolf in den Rachen ging, schoß ihn glücklich nieder, schnitt eine Pfote ab, steckte sie ein und schleppte den Wolf zum Löwen und Bären und bedeckte ihn mit Blättern. Nun kam nichts weiter, und alles war ruhig.

Da dachte er, er wolle doch sehen, ob in der Umgegend nicht ein Haus zu entdecken sei, stieg auf den höchsten Baum und sah in der Ferne ein großes Feuer. Er warf seine Mütze nach der Richtung, stieg hinunter und ging dem Feuer zu. Dort sah er zu seinem Schrecken drei mächtige Riesen, die einen Ochsen am Spieß brieten. Er kroch schnell auf einen nahen Baum, daß sie ihn nicht bemerkten, und sah zu. Auf einmal nahmen sie den Ochsen vom Feuer und zerrissen ihn in Stücke. Ein Riese wollte gerade einen Schenkel zum Munde führen, da plagte den Jungen der Mutwille. Er nahm seine Windbüchse, zielte und schoß ihm den Schenkel vom Mund fort. »Was bläst du so«, rief er seinem Nachbarn zu, »daß mir der Bissen entfällt!?« –

»Ich habe nicht geblasen!« sprach dieser und wollte eben ein Schaff (Zuber), das sie als Becher gebrauchten, mit Wein zum Munde führen. Da schoß der Junge wieder, daß das Schaff sprang und der Wein dem Riesen in den Bart und zur Erde floß. Der dritte Hüne lag auf dem Boden, und als er das sah, mußte er lachen. »Aha, du hast geblasen und gestoßen!« riefen die zwei andern und wollten über ihn herfallen. Auf einmal, puck! war dem dritten Hünen, wie er den Mund wieder öffnete und lachte, ein Zahn herausgeschossen. »Wer hat mit einem Steinchen mich geworfen!?« rief er und brüllte vor Schmerz. Da sahen sie ein, es gehe nicht mit rechten Dingen zu, und sprachen: »Es muß ein Erdwurm in der Nähe sein«, und fingen an zu suchen und zu schnuppern. Von dem heftigen Atmen der Riesen rauschten die Blätter, und der Junge fing an zu zittern. Endlich sah ihn einer, wie er oben in einem Zweig saß. »Aha! haben wir dich, du loser Vogel! Gleich herunter mit dir!« Der Knabe wollte anfangs nicht. Da rief einer von den Riesen: »Wenn du nicht gleich kommst, reiße ich den Baum aus und werfe dich damit aufs Feuer.« Nun dachte der Junge, sterben müsse er ohnehin, er wolle es im guten versuchen, und kletterte hinunter. Als ihn der Riese erreichen konnte, packte er ihn am ›Hosentoppert‹ mit zwei Fingern, um ihn nicht zu zerdrücken, brachte ihn zum Feuer und stellte ihn ins Licht. »Hast du auf uns geworfen, du kleiner Wicht? Erzähl es nur; es soll dir nichts geschehen!« Da sagte der Junge, er habe da ein Blasrohr und mit dem habe er es versucht. »Du kannst verwünscht gut treffen. Das trifft sich gut. Wir haben schon lange auf so einen gewartet. Du sollst gleich deine Kunst wieder versuchen. Wir gehen zur königlichen Burg, um die Königstochter zu stehlen. Bekommen wir die, so brauchen wir nichts mehr. Denn dann haben wir alle Reichtümer zur Verfügung. In der nächsten Stunde von zwölf bis ein Uhr schläft alles im Schlosse. Nur ein weißes Hündlein geht um die Mauer und wacht. Dieses war allein schuld daran, daß wir bisher nicht hineinkonnten. Denn waren wir an der Mauer, so bellte es, und gleich erwachte alles im Schlosse, du sollst nun das Hündlein schießen!«

Damit machten sie sich auf den Weg. Doch kaum hatten die Riesen zwei, drei Schritte getan, so hatten sie den Kleinen auch schon aus den Augen verloren. Er lief zwar in einem fort neben ihnen her, und doch konnte er nicht nachkommen. Da kehrte einer der Riesen um, setzte ihn vorn auf seinen Hut, und jetzt taten sie noch einige Schritte, so sahen sie die Burg, und es ging das weiße Hündlein wieder auf der Mauer herum. Da setzte der Riese den Kleinen nieder und sprach: »Kriech du näher, du bist ja nur wie ein Käfer. Dich wird es nicht sehen, und schieß es zusammen!« Der Knabe schlich bis auf Schußweite vorwärts, setzte an, und puck! lag das Hündlein im Graben. Nun schritten die Riesen herbei, durchbohrten die Mauer und schickten den Kleinen durch das Loch in die Burg. Durch die beiden ersten Zimmer, sagten sie, solle er nur hindurchgehen. In dem dritten liege die Prinzessin im Bett und schlafe. Er solle sie nehmen und ihnen bringen. Der Junge kroch durch das Loch und kam in den Burghof. Alle Wächter schliefen. Er ging durch die beiden Zimmer. Auch da schlief im ersten der König und im zweiten die Königin. Im dritten aber lag die Königstochter in einem seidenen Bett und war schön wie ein Bild, daß er sich nicht satt sehen konnte.

Da erblickte er an der Wand ein Schwert und eine Flasche und darunter stand geschrieben: »Wer dreimal aus mir trinkt, kann das Schwert schwingen und damit alle niederhauen!« –

»Ah«, dachte er gleich, »damit kannst du dir die Riesen vom Hals schaffen!« Er versuchte das Schwert herunterzunehmen. Doch es rührte sich nicht. Er trank einmal, da nahm er's herunter, aber es entglitt ihm aus der Hand. Er trank zum zweitenmal, da konnte er's schon heben. Er trank zum drittenmal, da schwang er's in der Luft wie eine Feder. »Das ist alles gut!« dachte er. »Bevor du aber fortgehst, mußt du ein wenig bei der schönen Prinzessin schlafen!« Er legte sich neben sie ins Bett und schlief. Wie er aber erwachte, sprang er schnell auf, nahm das Schwert und lief hinaus, denn es waren nur noch wenige Minuten bis zu der Zeit, wo alles im Schlosse erwachte. Den Riesen war das Warten draußen schon zu lang geworden. Sie hatten das Loch in der Mauer viel größer gemacht und wollten eben auch durchkriechen.

»Kommst du einmal!« riefen sie, als sie den Kleinen sahen. »Wie steht es?«

»Ihr müßt auch herein; ich kann sie allein nicht tragen; nur schnell.« Da zwängte sich der erste durch das Loch, und wie er ganz drinnen war, hieb ihm der Junge mit einem Schlag den Kopf ab. Da kam der zweite, dem machte er's ebenso. Es kam der dritte, es geschah ihm ein Gleiches.

Dann nahm er von jedem Riesen die Zunge, steckte sie ein, wischte das Schwert, lief in das Zimmer und hing es an seiner Stelle auf, küßte noch einmal die schöne Prinzessin mit Heftigkeit auf die Stirn, streifte ihr einen Ring vom Finger und eilte damit fort.

Kaum war er durchs Loch gekrochen, so schlug es vom Schloßturm eins, und nun fing allmählich alles an zu erwachen. Ein Hauptmann ging aber zuerst um die Mauer. Plötzlich sah er die drei großen Riesenleiber und die drei Häupter daneben. »Ha, ha!« dachte er, »das ist ja wunderbar!« Er ging gleich hin und machte sein Schwert blutig. Dann ließ er Lärm schlagen, und gleich kam alles Volk zusammen, und auch der König eilte herbei. Da zeigte er die Riesen und sprach: »Nach langem Kampf habe ich sie getötet!« Der König aber hatte versprochen, seine Tochter dem zur Gemahlin zu geben, welcher diese Ungeheuer umbringen würde. Er freute sich sehr, daß man die Landplage nun endlich losgeworden war, und ging zu seiner Tochter und meldete ihr das frohe Ereignis. Sie aber fühlte noch auf ihrer Stirn den brennenden Kuß und hatte wie im Traum den jungen Helden gesehen, wie er neben ihr gelegen und das Schwert geschwungen hatte. Als sie jetzt den garstigen Hauptmann sah, der sich für den Riesentöter ausgab, so wußte sie, das sei nicht der Rechte. Sie wollte aber ihrem Vater nicht widersprechen und sagte nur: ein Jahr solle er ihr noch erlauben ledig zu bleiben und ihr eine Bitte erfüllen. Auf Jahr und Tag wolle sie dann mit ihrem Retter die Hochzeit feiern. Das gewährte ihr der König gern, und nun bat sie ihren Vater, er solle an die Landstraße ein Wirtshaus bauen und sie mit ihren Mägden allein dort wohnen lassen.

Als das Haus fertig war, zog sie ein und ließ auf das Schild schreiben: niemand bekomme hier ein Unterkommen um Geld. Wer aber seinen Lebenslauf erzähle, werde gut aufgenommen und reichlich mit Speise und Trank versehen! Da sprachen eine Menge Pilger ein, und jeder erzählte für die gute Bewirtung seine Lebensgeschichte.

Als der Junge aus dem Schlosse hinaus war, eilte er zu seinen Brüdern und zu seiner Mutter in den Wald. Sie schliefen aber noch immerfort, und er wachte, bis der Tag anbrach. Jetzt weckte er sie, doch kam es ihnen noch immer zu früh vor. »Ihr habt über die Zeit geschlafen«, sprach der Junge, »ich habe mir das Leben ausgewacht.«

»Schweig, du Dumrian, was weißt du, wie es an der Zeit ist.« Nun standen sie endlich auf und gingen mit ihrer Mutter weiter. Nach mancherlei Fährlichkeiten gelangten sie zur heiligen Waldkapelle im Morgenland, verrichteten da ihr Gebet und kehrten dann wieder um und zogen heimwärts. Auf der Fahrt hatte der Junge mehrmals erzählt, was er in der Nacht, wie sie geschlafen, getan habe. Aber seine Mutter und seine Brüder lachten ihn aus, verspotteten ihn jedesmal und sprachen: »Du Hasenfuß hast ja wie ein Held geträumt!« Endlich kamen sie auf dem Rückweg auch an das Wirtshaus, wo die Königstochter wohnte. Das Jahr ging bald zu Ende, und sie hatte vor kurzem einen schönen Knaben geboren. Da lasen die Brüder die Inschrift am Schild, und den älteren und der Mutter kam das sonderbar vor, und sie sprachen: »Da gehen wir nicht hinein, wir haben ja Geld, was wollen wir unsere Lebensgeschichte erzählen.« Aber dem Jüngsten war das gerade recht, und er sagte, ja, in der Nähe sei kein anderes Wirtshaus und warum sollten sie denn ihren Lebenslauf nicht erzählen, man könne ja auch mitunter lügen!

Weil sie sich nun nicht anders helfen konnten, so gingen sie hinein. Man gab ihnen zu essen und zu trinken, was und wieviel sie wünschten. Dann fingen sie an zu erzählen: zuerst die Mutter, darauf die beiden älteren Brüder. Das war alles gut und der Königstochter recht. Als es an den Jüngsten kam, sprach er, er wisse nicht, ob er erzählen solle, denn er müsse mitunter auch lügen. Die Mutter und die Brüder sprachen gleich: »Nein, nein, Dummrian darf nicht erzählen, der macht uns nur Schande mit seinen erträumten Lügen.« Aber die Königstochter bestand darauf, daß er erzählen solle. Er bat aber, man solle ihn nicht unterbrechen, bis er zu Ende erzählt habe.

Nun fing er an, und bis in den Wald war seine Erzählung mit der seiner Mutter und seiner Brüder so ziemlich gleich. Doch dann kam die Geschichte mit dem Löwen, dem Bären und dem Wolf. Da riefen seine Mutter und seine Brüder: »Nicht lüge, nicht lüge!«

»Wenn ich unterbrochen werde«, rief er unwillig, »erzähle ich nicht weiter. Ich sagte ja, ich würde mitunter auch lügen!« Die Königstochter bat ihn aber so sehr, daß er fortfuhr: »Meine Geschichte klingt freilich lügenhaft, aber hier sind dafür die Beweise.« Damit nahm er die Pfote von dem Löwen, Bären und Wolf heraus und zeigte sie. Der Königstochter klopfte das Herz, und sie dachte: »Aha, dieser ist es! Nur weiter, nur weiter!« Jetzt kam die Geschichte mit den drei Riesen, wie er sie am Feuer gesehen, wie sie den Ochsen am Spieß gebraten, wie er auf den höchsten Baum gestiegen und alle drei gefoppt habe, wie sie ihn heruntergeholt hätten und wie er dann mit ihnen vor das königliche Schloß gegangen sei, um ihnen die Königstochter stehlen zu helfen, wie er das weiße Hündlein auf der Mauer totgeschossen, dann durch das Loch, welches die Riesen in die Mauer gemacht, hindurchgekrochen, ins Schloß und in die Zimmer gekommen sei. Im ersten Zimmer habe der König, im zweiten die Königin, im dritten die Königstochter geschlafen, und ein Schwert sei an der Wand gehangen und eine Flasche, und unter dieser habe gestanden, wer dreimal daraus trinke, könne das Schwert schwingen und alles damit zerhauen. Da habe er gleich an die plumpen und dummen Riesen gedacht, wie es doch jammerschade wäre, wenn sie die schöne Königstochter bekommen sollten. Er habe dann ein wenig neben der Königstochter geschlafen! . »Er lügt, er lügt! Sagten wir's doch, er würde uns Schande machen!« riefen zugleich die Mutter und seine älteren Brüder. »Und es muß doch wahr sein!« sprach die Königstochter voller Freude, »o erzähle nur weiter!« Dann, erzählte er fort, sei er schnell aufgesprungen, habe das Schwert genommen und habe den drei Riesen im Hof, wie sie einzeln durch das Mauerloch gekrochen wären, das Haupt abgeschlagen. »Oh, wie er wieder lügt!« riefen seine Mutter und Brüder. »Nur weiter, nur weiter!« rief die Königstochter, »bis zu Ende!« Dann habe er das Blut vom Schwert gewischt, habe es an seine Stelle gehängt und habe zuletzt der Königstochter noch einen feurigen Kuß gegeben. Dann sei er fort. Eben habe es auf dem Schloßturm eins geschlagen, wie er hinausgekommen.

Dann sei er zurück in den Wald zu seinen Brüdern und zu seiner Mutter, die hätten noch geschlafen. Am Morgen seien sie dann miteinander weitergezogen nach der heiligen Waldkapelle im Morgenland, und jetzt sei er hier. Die Geschichte mit der Königstochter und den Riesen sei freilich auch sehr wunderbar, aber er habe dafür auch die Wahrzeichen. Damit langte er die Riesenzungen hervor und den goldenen Ring, den er der Königstochter beim Weggehen vom Finger gestreift hatte. Sie erkannte den Ring gleich und konnte sich nicht länger halten und sprach: »Du bist mein Retter und mein Mann, siehe hier dein Kind!« Die Mutter und die Brüder machten große Augen. Sie mußten sich jetzt dreingeben und die Sache glauben.

Die Königstochter hielt aber noch alles verborgen. Sie zog zu ihrem Vater und sagte, sie wolle nun, da das Jahr vorüber sei, mit ihrem Retter Hochzeit halten. Der Hauptmann saß als Bräutigam an der Tafel und tat groß. Die drei Brüder und ihre Mutter waren auch zugegen. Da bat die Königstochter den Hauptmann, er solle die Geschichte mit den Riesen erzählen. Dazu war er gleich bereit und fing an zu erzählen und log so viel zusammen, daß man in der Banner Pelzmühle, wo man die Lügen mahlt, in zehn Jahren nicht so viel zusammenmahlen kann. Da hatte er dieses und jenes getan und sehr viel Angst und Schweiß und Gefahr ausgestanden, bis er die drei Ungeheuer überwältigt hätte. Da fragte der Junge, womit er's beweisen könne, daß er die Riesen umgebracht habe? Da ließ der Hauptmann die Riesenhäupter hereinbringen. Der Junge aber sperrte die Mäuler auf und fragte, wo denn die Zungen seien. Da wußte der Hauptman keinen rechten Bescheid, stockte und haperte und sprach: Riesen hätten ja keine.

Der Junge aber langte die Zungen hervor, und sie paßten genau. »Wer hat nun«, fragte der Junge, »die Riesen getötet, der, welcher die Häupter, oder der, welcher die Zungen hat?«

»Der die Zungen hat!« riefen alle. Da wurde der Hauptmann ergriffen und für seinen bösen Betrug in ein Faß, das inwendig mit Nadeln besetzt war, hineingelegt und ins Meer gerollt.

Der Junge aber feierte jetzt die Hochzeit mit der schönen Königstochter und war glücklich und zufrieden. Seine Mutter und seine Brüder zogen heim und schämten sich, daß sie den Jüngsten für einen Dummrian gehalten und mißachtet hatten; der aber ward bald König und blieb geehrt sein Leben lang.

Quelle:
Haltrich, Josef: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. Wien: Verlag von Carl Graeser 1882, S. 22-23.

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