71. Die Frau ohne Hemd

[70] Es war einmal eine walachische Frau, die hatte eine Tochter, die war sehr faul und wollte niemals spinnen; sagte am Abend die Mutter:


»Kåstnåchō, se spänn doch,

De höst nor īn Hemd nōch!«


so antwortete sie:


»Ach, nä, Motter, nä,

Desen Owend schlōfe gohn,

Mårn fräh åfstohn,

Vill spännen, vill spännen!«


Weckte sie am Morgen ihre Mutter und sprach:


»Kåstnåchō,

Afstohn, spänne gohn!«


so antwortete sie:


»Ach nä, Motter, nä,

Dese Mårje lätzen (faulenzen),

'n zōwend sätzen,

Vill spännen, vill spännen!«


und so ging es immer fort, einen Tag wie den andern. Da trug es sich zu, daß eines Tages ein walachischer Knecht kam und bei der Mutter um die Tochter anhielt. Die Mutter war froh und sagte gleich zu, ging dann zu ihrer Tochter und sprach:


»Kåstnåchō,

Spänne gohn!

'n rīn Hemd spännen,

Dich frånjdern!«


Da antwortete die Tochter wieder:


»Ach nä Motter, nä,

Z'irscht frånjdern,

Dernō spännen.«


So wurde sie gefreit und bald auch die Hochzeit gehalten; weil aber die Braut nur ein Hemd hatte und das schon schmutzig war, so entlehnte sie von einer sächsischen Magd einen Kürschen und zog den darüber. Darauf führte sie ihr Mann heim in ein anderes Dorf, aber sie war noch immer zu faul und wollte nicht spinnen. Ihr einziges Hemd wurde immer schmutziger und fiel bald stückweise von ihrem Leibe. Da geschah es, daß sie auf eine Hochzeit eingeladen wurden; sie sprach nun zu ihrem Manne:


Mån, läwer Mån,

Ech net åf Hochzet kån,

Hemd zerrässen;

Tea Mōrt gohn,

Int kīfen!"


Ihr Mann ging auf den Markt und sah hier eine schöne fette Gans, vergaß das Hemd, kaufte die Gans und band sie vorn an den Gürtel. Die Frau aber saß vor der Tür und wartete. Da sah sie ihn weit auf der Bergspitze kommen. Er sah sie auch, nahm die Gans, hielt sie in die Höhe und schrie: »Eine Gans, Frau, eine Gans!« Sie aber hörte das nicht und glaubte, wie sie das Weiße erblickte, es sei ein Hemd, lief schnell hinein und warf die letzten schmutzigen Lumpen von ihrem einzigen Hemd ins Feuer, hängte sich dann fröhlich ein Hånklichbrāt vorn und eines hinten an und lief ihrem Mann entgegen. »Bringst du mir ein Hemd, lieber Mann!« – »Ich rief dir ja, es sei eine Gans!« sprach der Mann, »die Hemden waren zu teuer!« Da tröstete sich die Frau gleich und sprach:


»Ach, läwer Mån,

Wä geat hōst te gedōn,

Nea hu mer kom wat ze teanken!«


Aber als sie die Gans gegessen hatten, fragte sie: »Wie soll ich jetzt auf die Hochzeit gehen?!« Sprach der Mann:


»Bekrit dich net,

Nomm vuër det Hånklichbrāt,

Hanjden de Fäderwäsch,

Entlihn drif en Kürschen!«


So machte sie's auch und ging mit den Hochzeitsleuten in die Küche, und als es zum Mahle kam, setzte sie sich zum Tisch, und es war alles gut. Abends aber, als es zum Tanze kam, forderte sie der Bräutigam auf und sprach:


»Of de Kürschen!

Dånzen!«


Sie wehrte sich aber und sprach:


»Loß mech aus,

Ech net dånzen!«


Der Bräutigam rief:


»Dåt terf net senj,

Hejt moß ållent dånzen!«


Damit faßte er sie, nahm ihr den Kürschen ab und riß sie gewaltsam in den Reihen und tanzte, so daß alle Leute hell auflachten, wie sie das Paar sahen. Er juchheite und schnalzte mit den Fingern, sprang und schrie in einem fort:


»Hopp, hopp, hopp,

Vuër Brädder, Brädder topp,

Hanjde ät dem Fäderwäsch,

Äs dåt net än låstich – – juh, juh, juh!«


Kaum hatte er sie ausgelassen, so warf sie den Kürschen um und lief beschämt nach Hause; doch dachte sie noch immer nicht ans Spinnen. Es kam die Osterzeit; da sprach sie zu ihrem Manne: »Wie werde ich das Ostermahl nehmen, ich habe kein Hemd!« – »Lasse nur, ich will es schon machen!« Er legte sie in ein Faß und führte dies vor die Kirche, und als die Leute drinnen fertig waren und nach Hause gingen, sprach der Mann zum Popen: »Herr, meine Frau hat kein Hemd; sie wartet draußen in einem Faß aufs Ostermahl!« – »Das soll sie gleich haben!« Der Pope ging nach Hause und brach sich frische Ruten, trat dann zum Faß und sprach: »Jetzt komme heraus!« Die Frau wollte zwar nicht heraus, allein sie mußte; da schlug sie der Pope, daß die Rutenspitzen flogen, und sprach:


»Tea felet Os!

Bäs der Paleokes köcht,

Kåst te doch spännen!«


Sie lief blutig nach Hause und wollte nicht warten, bis der zornige Pope mit dem Schlagen aufhörte. Aber auch jetzt noch dachte sie nicht ans Spinnen. Zuletzt wurde ihre Faulheit auch dem Manne zuviel, und er überlegte, wie er sie auf eine feine Art sich vom Halse schaffen solle. Eines Tages sprach er zu ihr: »Frau, wir sind lange nicht bei deiner Mutter gewesen, wir wollen hinfahren!« – »Das ist ja recht gut!« sprach sie, »nur habe ich kein Hemd!« – »Ich will dich in einen Sack stecken!« sprach der Mann, »da sieht man dich nicht!« – »Ei, das ist klug von dir!« sagte sie, und also geschah es, und er legte sie auf den Wagen. Unterwegs stellte sich ihr Mann, als käme jemand zum Wagen, und grüßte: »Geaden Dåch! wä giht et Ich nöch!« fragte er mit verstellter Stimme.

»Nea geat!« antwortete er sich.

»Nå, wåt hōt Er äm Såck?« fragte er wieder.

»E Schwenj«, antwortete er.

»Lot hīren, wä måcht de Schwenj, wonn ich et schlōn?« Nun schlug er seine Frau im Sack, daß es eine Art hatte.

Diese aber glaubte, der Fremde schlage, und wollte sich nicht verraten und fing an zu grunzen wie ein Schwein. Als es ihr schien, daß der Fremde fort sei, klagte sie und sprach: »Oh, das tat weh, wie sehr konnte der Garstige schlagen!« Bald darauf stellte sich ihr Mann wieder, als wenn jemand grüßte, und sprach: »Geaden Dåch« wä giht et Ich nōch?"

»Nea wä et kån!« antwortete er sich.

»Nå wåt hōt er äm Sack?« fragte er weiter.

»En Gīß!« sprach er.

»Nå lot hīren, wä måcht de Gīß, wonn ich se schlōn?« – schlug damit seine Frau wieder aus allen Kräften; sie aber glaubte, der Fremde schlage, und da sie sich nicht verraten wollte, schrie sie in einem fort: »Meck, meck« – meck, meck!" Als es wieder ruhig ward und die Frau meinte, daß der Fremde fort sei, jammerte sie erschrecklich und sprach: »Mann, ich kann das nicht mehr aushalten! Wenn noch jemand kommt und mich schlägt, so sterbe ich im Sack!« – »Ja, was soll ich denn sagen, und was willst du machen, wenn nun doch jemand kommt?« – Lieber in den Brennesselbusch", sprach sie, »als noch einmal solche Schläge aushalten!« – »Nur schnell denn heraus«, sprach er, »ich sehe in der Ferne jemanden kommen!« Da sprang die Frau hurtig heraus und fiel in den Brennesselbusch; er ließ sie aber lange Zeit da, und sie verbrannte sich, so, daß sie am ganzen Körper weiße Blasen hatte; endlich rief der Mann: »Komm heraus, der Fremde ist vorbei!« Nun kam sie schnell und kroch wieder ind en Sack; endlich gelangten sie zu ihrer Mutter. Der Mann nahm den Sack und trug ihn ins Zimmer. »Was bringst du da?« fragte die alte Mutter. »Das werdet ihr gleich sehen!« knüpfte schnell auf, und siehe da, ihre Tochter sprang heraus und lief gleich hinter den Ofen. Ihre Mutter aber war jetzt fast wütend; sie riß das glühende Feuereisen vom Herd, fiel über die Tochter her, schlug auf sie los und sprach:


»Kåstnåschō!

Nea hälft nor det Schlōn,

Ei hät ich et ih gedōn!

Nez ōwends spännen,

Net mårjens spännen,

Gleich spännen!«


Sogleich warf sie ihr den Rocken hinter den Ofen, und sie durfte sich nicht rühren und bekam auch nichts zu essen, bis sie sich nicht ein Hemd gesponnen hatte. Die faule Kåstnåschō wurde von da an, und das ist das merkwürdigste von der Geschichte, die fleißigste Spinnerin. Wer's nicht glaubt, zahlt ein Trinkgeld für den Erzähler.

Quelle:
Haltrich, Josef: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. Wien: Verlag von Carl Graeser 1882, S. 70-71.

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