Kapitel LXXXVIII.
De diaetaria
oder
Von Vorschreibung des Verhaltens im Essen und Trinken

[102] Es ist noch übrig die Medizin, welche in Wohlverhaltung beim Essen und Trinken bestehet, worinnen der Asclepiades der vornehmste gewesen ist, welcher guten Teils den Gebrauch der Arzneien aus der Apotheken verworfen und meistens sein Absehen auf eine vernünftige Lebensweise und auf die Natur und Eigenschaften der Speisen und ihre Würzung und derer Zurichtung genommen hat; von welchem zwar auch viel andere Medici nicht abgewichen, aber dafür gehalten haben, dass eines des andern Hilfe bedürfte, und dass bisweilen die Lebensweise mit den Arzneien und hingegen wiederum die Arzneien mit der Lebensweise müssten erwogen und mensurieret werden.

Daher kommt's, dass die Medici pflegen zu gebieten, zu verbieten, zu verbannen und zu verdammen gewisse Speise und Trank, den doch Gott geschaffen hat, und schreiben hierunter scharfe, unbefolgbare Beguln vor. Ja es geschicht bisweilen, dass sie diejenigen Speisen, welchen sie andern kaum ein wenig[102] zu kosten erlauben, selbsten wie die Säue die Eckern und Träbern hineinfressen; und die Reguln oder Gesetze, die sie andern vorschreiben, die sind sie die ersten sie als rechte Ubertreter fürsätziglich und mit Fleiss zu verachten. Denn wann sie selbsten ihre Verordnungen im Essen und Trinken halten und darnach leben sollten, so würde fürwahr ihre Gesundheit nicht wenig Einbusse leiden; und wann die Kranken und Patienten das, was die Medici selbsten gerne essen, und was ihnen die Gesetze der Natur im Essen vorgeschrieben, essen und trinken dürften, so würden die Medici ihre Beutel bei weitem nicht so füllen können.

Aber der heilige Ambrosius schreibet von der Diaetaria oder wie man sich im Essen und Trinken verhalten solle, dieses: Contraria divinae conditioni praecepta medicinae sunt, quae a jejunio revocant, lucubrare non sinunt, ab intentione meditationis abducunt, ita qui se medicis dederit, se ipsum sibi abnegat. Das ist: Die Medizin ist den göttlichen Gesetzen ganz zuwider, denn sie verbeut dem Menschen zu fasten, man soll auch des Nachts nicht sitzen und etwa seine gottesfürchtigen Meditationes haben; ja wer sich der Medizin untergibet, der ist sich selber gram und feind. Und der heil. Bernhardus saget: Hippocrates et Socrates docent animas salvas facere in hoc mundo; Christus et discipuli ejus, perdere; quem vos e duobus sequi vultis magistrum? Manifestum se facit, qui disputat, hoc oculis, hoc capiti, hoc stomacho nocet; legumina ventosa sunt, caseus stomachum gravat, lac capiti nocet, potum aquae pectus non sustinet, quare hoc est, ut totis fluviis, agris, hortis et cellariis vix invenire possis quod comedas. Das ist: Hippocrates und Socrates lehren, wie man seiner Seelen in dieser Welt raten und helfen soll; Christus und seine Jünger aber, wie man sie in dieser Welt nicht achten soll; welchen soll man nun unter diesen beiden folgen? Durch öffentliches Disputieren kann man sich berühmt machen, wenn man etwan saget: das verderbet die Augen, das das Haupt und den Magen; die Hülsenfrüchte[103] zeugen Winde, der Käse beschwert den Magen, das Milchzeug schadet dem Kopfe, und lauter Wasser trinken ist der Brust sehr undienlich; auf solche Art sollte man wohl weit und breit nichts finden, das einem zur Speise dienlich sei.

Und obschon diese des Ambrosii und Bernhardi Worte nur alleine auf die Mönche gehen, welche eben nicht so viel auf ihre Gesundheit, als auf ihr Amt zu sehen haben, so mögen doch wohl auch andere Leute, ihrer Gesundheit unbeschadet, der Abwechslung in Speisen und leckerer Schüsseln sich gebrauchen. Was die vernünftige Lebensweise verlanget, das mag die Kunst der Köche ausführen, welche freilich Plato eine schmeichlerische Medizin nennet. Plinius und Seneca, ja auch guten Teils die ganze medizinische Schule, müssen selbst bekennen, dass von der Menge der delikaten und raren Speisen viel Krankheiten generieret werden.[104]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 102-105.
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