Kapitel XVI.
Adhuc de arithmetica
oder
Wiederum von der Rechenkunst

[78] Aber wir müssen wiederum zu der Rechenkunst kommen; diese, saget Plato, ist von dem bösen Geiste nebst dem Würfel- und Brettspiele uns am ersten gewiesen worden. Und der berühmte Gesetzgeber bei den Lazedämoniern, der Lycurgus, hat dafür gehalten, dass man diese, als eine gewaltsame und unruhige Kunst, aus einer Republik wegschaffen sollte, denn sie erfordert eine vergebliche und unnötige Arbeit, und hält die Leute von nützlicheren und bessern Geschäften ab, erwecket auch oft von schlechten und geringen Sachen grossen Streit. Dahero kommt der unversöhnliche Krieg der Rechenkünstler, ob die gerade oder ungerade Zahl den Vorzug habe. Welche Zahl unter der dritten, sechsten und zehnten die vollkommenste sei, oder welche eine rechte gleiche Zahl könnte genennet werden. Über diese Definition sagen sie, habe der Euclides, als der Vornehmste unter ihnen selbst, nicht wenig geirret; so wollte ich auch gar leichte sagen, wie sie träumen, dass unter den nackten Zahlen viel Pythagorische Geheimnisse und kräftige Weissagungen verborgen wären; wie sie sich[78] unterstehen zu sagen, dass von Gott die Welt nicht hätte geschaffen werden können als mit solchen Instrumenten, und dass die Erkenntnis göttlicher Sachen in Zahlen, gleichsam als in einer gewissen Regul enthalten sei.

Dahero sind entsprungen die Ketzereien Marci, Magi und Valentini, welche ihre Lehren auf gewisse Zahlen fundieret und dafür gehalten haben, dass eben durch nichtswürdige Zahlen die heilige Religion und unterschiedene Geheimnisse göttlicher Wahrheit können erfunden und ausgesprochen werden. Zu diesem kommet die Pythagorische Tetractys und andere dergleichen Sachen mehr, welche doch alle vergeblich erdichtet und falsch sind, und bleibt diesen Rechenkünstlern nichts mehr übrig als eine unempfindliche und leblose Zahl, und meinen doch wohl, dass, wenn sie nur wissen zu zählen, sie damit heilige Leute agieren können; welches ihnen aber die Musici schwerlich zugeben, sondern es schreiben dieselben diese Ehre ihrem lieblichen Gesang und Harmonie vielmehr zu.[79]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 78-80.
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