Welt und Mensch als Schöpfung des Âtman.

[133] Aitareya-Upanishad 1,1–3.


1,1. Zu Anfang war diese Welt allein Âtman; es war nichts andres da, die Augen aufzuschlagen.

Er erwog: »Ich will Welten schaffen!«

2. Da schuf er diese Welten: die Flut, die Lichträume, das Tote, das Wasser.

Jenes ist die Flut, jenseits des Himmels; der Himmel ist ihr Boden. – Die Lichträume[133] sind der Luftraum. – Das Tote ist die Erde. – Was unter ihr, das sind die Wasser.

3. Er erwog: »Da sind nun die Welten; ich will jetzt Weltenhüter schaffen!« Da holte er aus den Wassern einen Purusha (Mann) hervor und formte ihn.

4. Den bebrütete er; da er ihn bebrütete, spaltete sich sein Mund wie ein Ei, aus dem Munde entsprang die Rede, aus der Rede Agni;

die Nase spaltete sich, aus der Nase entsprang der Prâṇa (Einhauch), aus dem Prâṇa Vâyu;

die Augen spalteten sich, aus den Augen entsprang das Gesicht, aus dem Gesicht Âditya;

die Ohren spalteten sich, aus den Ohren entsprang das Gehör, aus dem Gehör die Diç's (Himmelsgegenden);

die Haut spaltete sich, aus der Haut entsprangen die Haare, aus den Haaren Kräuter und Bäume;

das Herz spaltete sich, aus dem Herzen entsprang das Manas, aus dem Manas der Mond;

der Nabel spaltete sich, aus dem Nabel entsprang der Apâna (Aushauch), aus dem Apâna Mṛityu (der Tod);

das Zeugungsglied spaltete sich, aus dem Zeugungsgliede entsprang der Same, aus dem Samen die Wasser.

2,1. Diese Gottheiten, nachdem sie geschaffen, stürzten in diesen grossen Ozean herab; den gab er dem Hunger und dem Durste preis.[134] Da sprachen jene zu ihm: »Ersieh uns einen Standort, in dem wir feststehen und Speise essen mögen!«

2. Da führte er ihnen eine Kuh vor; sie aber sprachen: »Diese genügt uns nicht.« – Da führte er ihnen ein Pferd vor; sie aber sprachen: »Dieses genügt uns nicht.«

3. Da führte er ihnen einen Menschen vor. Da sprachen sie: »Ei, das ist wohlgelungen!« Denn der Mensch ist wohlgelungen. Er sprach zu ihnen: »So fahrt in ihn je nach eurem Standorte hinein!«

4. Da geschah es, dass

Agni als Rede in seinen Mund einging,

Vâyu als Prâṇa in seine Nase einging,

Âditya als Gesicht in seine Augen einging,

die Diç's als Gehör in seine Ohren eingingen,

Kräuter und Bäume als Haare in seine Haut eingingen,

Der Mond als Manas in sein Herz einging,

Mṛityu als Apâna in seinen Nabel einging,

Die Wasser als Samen in sein Zeugungsglied eingingen.

5. Da sprachen Hunger und Durst zu ihm: »Ersieh auch für uns einen Standort!« Und er sprach: »In diesen Gottheiten lasse ich euch mitgeniessen, in diesen Gottheiten mache ich euch zu Teilnehmern.« – Daher kommt es, dass, für welche Gottheit immer die Opferspeise beschafft wird, in der sind der Hunger und Durst Teilnehmer daran.[135]

3,1. Er erwog: »Da sind nun die Welten und Weltenhüter; ich will jetzt für sie Nahrung schaffen!«

2. Und er bebrütete die Wasser; aus ihnen, da sie bebrütet wurden, entstand eine Gestalt. Die Gestalt, die da entstand, das ist die Nahrung.

11. Er erwog: »Wie könnte dieses [Menschengefüge] ohne mich bestehen?« Und er erwog: »Auf welchem Wege soll ich in dasselbe eingehen?« Und er erwog: »Wenn durch die Rede gesprochen, durch den Prâṇa eingehaucht, durch das Auge gesehen, durch das Ohr gehört, durch die Haut gefühlt, durch das Manas gedacht, durch den Apâna ausgehaucht, durch das Zeugungsglied ergossen wird, – wer bin denn ich

12. Da spaltete er hier den Scheitel und ging durch diese Pforte hinein. Diese Pforte heisst Vidṛiti (Kopfnaht, wörtlich »Spalt«), und selbige ist der Seligkeit Stätte.

Drei Wohnstätten hat er und drei Traumstände [Wachen, Traum, Tiefschlaf]; er wohnt hier [im Auge beim Wachen], und wohnt hier [im Manas beim Träumen], und wohnt hier [im Äther des Herzens beim Tiefschlafe].

13. Nachdem er geboren, überschaute er die Wesen, – und er sprach: »Was wollte sich hier für einen [von mir] Verschiedenen erklären?« – Aber doch erkannte er diesen Menschen als das Brahmandurchdrungenste.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 133-136.
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