2. Sitte und Recht als Schöpfung des Heiligen

[67] Die Sitte und das Recht sind des Menschen große Anfänge. Darum wird durch Reden der Wahrheit und Pflege der Eintracht der innere und äußere Zusammenhang der Menschheit gefestigt gleich wie die Verbindung von Haut und Fleisch und der Zusammenhang von Sehnen und Knochen. Darum ist die Sitte auch das große Mittel, um die Lebenden zu nähren, die Toten zur Ruhe zu geleiten, Geistern und Göttern zu dienen. Sie ist das große Tor, das zu den Wegen des Himmels und zur Harmonie mit den Gefühlen der Menschen führt. Aber nur der Heilige erkennt es, daß man die Sitte nicht aufgeben kann. Ein Staat, der dem Untergang verfallen ist, ein Haus, das dem Sturze zueilt, ein Mensch, der zugrunde geht: sie alle tun zuerst die Regeln der Sitte von sich.

Die Sitte ist für den Menschen, was die Hefe für den Wein; er wird ein edler Charakter, wenn er sie reichlich hat, und ein gemeiner Mensch, wenn er sich dürftig darin zeigt.

Die heiligen Könige pflegten die Handhabung der Gerechtigkeit[67] und die Ordnung der Sitte, um die Gefühle der Menschen zu meistern. Die Gefühle der Menschen sind das Ackerfeld der heiligen Könige. Sie pflegen die Sitte, um dieses Feld zu pflügen; sie stellen die Pflichten auf, um es zu besäen; sie verbreiten Bildung, um es zu jäten; sie stützen sich auf die Menschenliebe, um darauf zu ernten; sie verbreiten Musik, um ihm seine Ruhe zu verschaffen.

Die Sitte ist die Frucht der Gerechtigkeit. Wenn etwas, an der Gerechtigkeit gemessen, mit ihr übereinstimmt, so ist es der Sitte entsprechend. Und ob auch die Herrscher des Altertums einen solchen Brauch noch nicht gehabt hätten, mag er dennoch mit Recht eingeführt werden.

Die Gerechtigkeit bewirkt eine geordnete Abstufung der Einzelhandlungen und eine feste Gliederung der Äußerungen der Liebe. Sie besteht in der Harmonie der Einzelhandlungen und in der Durchdringung mit einer liebevollen Gesinnung. Wer sie besitzt, ist stark.

Die Liebe ist die Wurzel der Gerechtigkeit und die Verkörperung der Übereinstimmung mit dem Naturgesetz. Wer sie besitzt, verdient Achtung.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 67-68.
Lizenz: