Klagen und Mahnungen in bösen Zeiten.

[320] Klein ist die Turteltaube wol,

Doch fliegt sie himmelhoch empor.

Mein Herz, von Kümmerniß gequält,

Gedenkt der Alten von Zuvor.

Der Tag bricht an, ich schlafe nicht,

Mir schweben stets die Beiden vor.1


Ein weiser und gesetzter Mann

Hält Maaß und Zucht beim Weingenuß;

Verdüstert, unverständig ist,

Wer täglich sich berauschen muß.

Ein Jeder halt' auf Ehrbavbeit,

Nicht wieder kehrt des Himmels Schluß.2


Im Felde steht die Hülsenfrucht,

Und alles Volk das pflücket sie.

Hat eine Maulbeerfliege Brut,

Die Hummel die entrücket sie.3

Belehrt, erzieht die Kinder wol,

Und gleiche Tugend schmücket sie.
[321]

Seht an das Ackermännchen da,

Wie es im Fliegen singen mag.

Wie meine Tage vorwärts gehen,

Zieh'n eure Monden ihnen nach.

Vom Aufsteh'n bis zum Schlafengehen

Seid denen, die euch zeugten, nicht zur Schmach!


Die Würgevögel ziehen umher

Und picken Korn bei Feimen an.

Weh mir im Leid Verlassenen,

Wie wer in Haft, im Kerkerbann!

Nehm' ich denn Korn und loose dran,4

Wies besser mit uns werden kann.


Nur Zartheit, nur Ergebenheit,

Als wär' ein Baumast unser Stand;

Nur Ängstlichkeit, nur Sorglichkeit,

Als wären wir am Abgrunds Rand;

So zitternd und so bänglich leis,

Als schritten wir auf dünnem Eis!

1

Das sind seine beiden Eltern, die der Sänger stets im Sinn hat.

2

Macht man sich durch eigne Schuld dessen verlustig, was der Himmel verliehen hat, so verleiht er nicht zum zweiten Mal.

3

Nach dem Volksglauben rauben die Hummeln junge Maulbeerfliegen und erziehen sie zu Hummeln.

4

Ein sonst nicht bekanntes Orakel.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 320-322.
Lizenz: