Schlimme Zeichen und Zeiten.1

[312] Bei zehnten Monats Conjunction,2

Am ersten Tag, Sīn mào genannt,3

Ward weggezehrt der Sonne Schein,4

Zum bösen Zeichen für das Land.

Dort war der Mond und wurde klein.

Hier war die Sonn' und wurde klein;

Nun wird das Volk der Unterthanen

Erst bitter zu beklagen sein.


Unheil verkünden Sonn' und Mond,

Die nicht mehr ihre Weise halten.

Im Reich ist nirgends Regiment,

Denn nicht die Guten läßt man walten.

War dort der Mond und wurde klein,

So ließ er's darin nur beim Alten;

War hier die Sonn' und wurde klein,

Wie übel muß sich's dann gestalten!
[313]

Erdonnernd flammt der Blitze Wuth,

Und nichts bleibt ruhig, nichts bleibt gut.

Die Flüsse treten aus und toben,

Berghäupter stürzen hoch von oben,

Das hohe Ufer wird zum Thal,

Der Thalgrund wird zum Berg erhoben.

O weh' den Menschen dieser Zeit!

Warum wird dem nichts vorgeschoben?


Nun ist Hoâng-fù der höchste Rath,5

Der Fân ist Unterrichtsminister,

Kiā- administrirt den Staat.

Tschúng-jün, des Hofes Truchseß ist er;

Tsēu hat das Haussecretariat,

Der Kuéi das Marstallsamt zu führen;

Da Kiü der Garden Führung hat;

Nun kann das schöne Weib im Sichern schüren.6


Wie darf doch dieser Hoâng-fú sagen,

Daß uns die Jahrszeit lasse frei?7

Was darf er uns hinausentbieten,

Und zieht uns nicht zu Rath dabei?

Er hat uns Dach und Fach genommen,

Das Feld wird Sumpf und Wüstenei;

Da sagt er: »Ich thu' euch kein Unrecht;

Der Brauch bestimmt, daß dem so sei.«
[314]

Hoâng-fù hat, außer Maaßen weise,

Sich Hiáng zur Residenz gemacht,8

Und Drei gewählt zu Nachministern,

Bloß weil sie viel zu Hauf' gebracht.9

Nicht Einen mocht' er lassen von den Alten,

Der unsres Königes gewacht.

Die Pferd' und Wagen hielten, wählt' er,

Daß sie zur Wohnung Hing gemacht.


Mit Eifer wartet' ich des Dienstes,

Nicht meine Mühsal thu' ich kund;

Doch ohne Fehl und unverschuldet

Verschwätzt mich der Verläumdung Mund.

Nun soll der Unterthanen Elend

Vom Himmel nicht gesendet sein.

Ja, Maulgeschwätz und Haß im Rücken

Trägt Streng' und Ernst von Andern ein.


Weit abgelegen ist mein Ort,

Und sehr voll Unmuth bin ich dort.

Im ganzen Reich ist zu Genüge,

Und ich nur wohne kümmerlich.

Im Volk ist Keiner, der nicht fei're,

Nur ich nicht wag' in Ruh zu setzen mich.

Des Himmels Rath ist nicht zu fassen;

Ich wage nicht den Freunden gleich dem Feiern mich zu überlassen.

1

Die in den ersten Strophen erwähnte Sonnenfinsterniß weiset genau die Abfassungszeit des Liedes aus. Der Tag Sīn-mào im zehnten Monat fiel auf den 29. Aug., wo im Jahre 775 v. Chr. nach astronomischer Berechnung jene Sonnenfinsterniß in China sichtbar war.

2

Es ist die Conjunction von Sonne und Mond gemeint.

3

Sīn-mào ist der 28. Tag des sechzigtägigen Cyclus, der nach dem Kalender der Tschēu auf den 1. Tag des 10. Monats im Jahre 775 fiel.

4

Buchstäblich: »Die Sonne hatte Verzehrendes sie« – ein altherkömmlicher Ausdruck für die Sonnenfinsternisse.

5

Die hier aufgezählten Würdenträger waren Creaturen der Pāo-ssé, welche

6

mit dem »schönen Weibe« gemeint ist.

7

Der Beamte, der das Lied verfaßt, nimmt hier das Wort für seine Landleute. Hoâng-fù behauptet, es sei jetzt nicht »Jahrszeit«, nehmlich zum Feldbau, wo die Unterthanen zu Landfolgediensten nicht herangezogen werden durften.

8

Der mächtige Minister hatte diese kleine Stadt zu seiner besonderen Residenz gemacht.

9

Diese Minister zweiten Ranges oder Geschäftsführer (Jeù-ssé) glichen etwa den Abtheilungsvorständen unsrer Ministerien. Der Reichskanzler hatte sie nicht nach ihrer Tüchtigkeit gewählt, sondern nach ihrer Kunst, Reichthümer zusammenzuraffen.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 312-315.
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