Dritter Khaṇḍa.

[191] 1. Diese wahrhaften Wünsche sind [bei dem Nichtwissenden] mit Unwahrheit zugedeckt. Sie sind in Wahrheit da, aber die Unwahrheit ist über sie gedeckt; und wenn einer der Seinigen von hier abscheidet, so siehet ihn der Mensch nicht mehr.

2. Aber [in Wahrheit ist es so, dass er] alle die Seinigen, welche hier leben, und diejenigen, welche dahingeschieden sind, und was er sonst ersehnt und nicht erlangt, – alles das findet er, wenn er hierher [ins eigne Herz] geht; denn hier sind diese seine wahren Wünsche, welche die Unwahrheit zudeckt. – Aber gleichwie einen verborgenen Goldschatz, wer die Stelle nicht weiss, nicht findet, ob er wohl immer wieder darüber hingehet, ebenso finden alle diese Kreaturen diese Brahmanwelt nicht, obwohl sie tagtäglich [im tiefen Schlafe] in sie eingehen; denn durch die Unwahrheit werden sie abgedrängt.

3. Wahrlich, dieser Âtman ist im Herzen! Und dieses ist seine Auslegung: hṛidi ayam (im Herzen ist er), darum heisst es hṛidayam (das Herz). – Wahrlich, wer solches weiss, der geht tagtäglich ein in die himmlische Welt.

4. Was nun diese Vollberuhigung [die Seele im Tiefschlafe] ist, so erhebt sie sich aus diesem Leibe, gehet ein in das höchste Licht und tritt dadurch hervor in eigner Gestalt, – das ist der Âtman«, so sprach der Meister, »das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das ist das Brahman!«
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Fürwahr, der Name dieses Brahman ist satyam (die Wahrheit). 5. Das sind [nach altvedischer Aussprache] drei Silben, nämlich sat-ti-yam. Davon ist sat (das Seiende) das Unsterbliche, ti [weil in mṛitiu »Tod« enthalten] das Sterbliche, und mit yam umschliesst [der Âtman] beide; weil er mit ihm beide umschliesst (yam, yacchati), darum heisst es yam. – Wahrlich, wer solches weiss, der geht tagtäglich ein in die himmlische Welt.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 191-192.
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