Erster Khaṇḍa.

[189] 1. [Der Lehrer soll sprechen:] »Hier in dieser Brahmanstadt [dem Leibe] ist ein Haus, eine kleine Lotosblume [das Herz]; inwendig darinnen ist ein kleiner Raum; was in dem ist, das soll man erforschen, das wahrlich soll man suchen zu erkennen.«

2. Dann werden sie [die Schüler] zu ihm sagen: »Hier in dieser Brahmanstadt ist ein Haus, eine kleine Lotosblume; inwendig darinnen ist ein kleiner Raum; was ist denn dort, was man erforschen soll, was man soll suchen zu erkennen?«

3. Dann soll er sagen: »Wahrlich, so gross dieser Weltraum ist, so gross ist dieser Raum inwendig im Herzen; in ihm sind beide, der Himmel und die Erde, beschlossen; beide, Feuer und Wind, beide, Sonne und Mond, der Blitz und die Sterne, und was einer hienieden besitzt und was er nicht besitzt, das alles ist darin beschlossen.«

4. Dann werden sie zu ihm sagen: »Wenn alles dies in dieser Brahmanstadt beschlossen ist und alle Wesen und alle Wünsche, – wenn sie nun das Alter ereilt oder die Verwesung, was bleibt dann davon übrig?«

5. Dann soll er sagen: »Dieses am Menschen altert mit dem Alter nicht; nicht wird es durch seine Ermordung getötet; dieses [die Seele, und nicht der Leib, wie die empirische Erkenntnis annimmt] ist die wahre Brahmanstadt, darin sind beschlossen die Wünsche; das ist das Selbst (die Seele), das sündlose, frei vom Alter, frei vom Tod und frei vom Leiden, ohne Hunger und ohne Durst; sein Wünschen ist wahrhaft, wahrhaft sein Ratschluss.

Denn gleichwie hienieden die Menschen, als geschähe es auf Befehl, das Ziel verfolgen, danach ein jeder trachtet, sei es ein Königreich, sei es ein Ackergut, und nur dafür leben, – [so sind sie auch beim Trachten nach himmlischem Lohne die Sklaven ihrer Wünsche].[189]

6. Und gleichwie hienieden die Stellung, die man durch die Arbeit erworben hat, dahinschwindet, so schwindet auch im Jenseits die durch die guten Werke erworbene Stätte dahin.

Darum, wer von hinnen scheidet, ohne dass er die Seele erkannt hat und jene wahrhaften Wünsche, dem wird zuteil in allen Welten ein Leben in Unfreiheit; wer aber von hinnen scheidet, nachdem er die Seele erkannt hat und jene wahrhaften Wünsche, dem wird zuteil in allen Welten ein Leben in Freiheit.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 189-190.
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