Erster Khaṇḍa.

[117] 1.-3. Khaṇḍa: Samvargavidyâ, die »Lehre von dem An-sich-Raffer«. – Die Lehre vom Brahman als demjenigen Prinzip, welches als Prâṇa (Leben) die Lebensorgane und als Vâyu (Wind) die Naturkräfte in sich befasst, findet sich nicht selten. Schon nach dem brahmaṇaḥ parimaraḥ, Ait. Br. 8,28, gehen Blitz, Regen, Mond, Sonne und Feuer in den Wind ein und wieder aus ihm hervor. – Nach Çatap. Br. 10,3,3,6-8 gehen Rede, Auge, Manas, Ohr beim Einschlafen in das Leben ein und werden beim Erwachen wiederum aus ihm geboren, und mit ihnen sind in kosmischer Hinsicht identisch Feuer, Sonne, Mond und Himmelsgegenden, welche in den Wind eingehen und wieder aus ihm entstehen. – Ebenso gehen nach Kaush. Up. 2,12-13 (oben S. 37 fg). Feuer, Sonne, Mond und Blitz in den Wind, – Rede, Auge, Ohr und Manas in das Leben ein, um aus ihm sich wieder zu erheben. – Unsre Stelle schildert Wind und Leben als den »An-sich-Raffer« (samvarga), welcher als Wind die Naturgötter, Feuer, Sonne, Mond und Wasser, als Leben die Lebensorgane, Rede, Auge, Ohr, Manas »an sich rafft« (samvṛi kte). Wer nun dieses weiss, – das ist der neue Gedanke in unsrer Stelle – wer sich als identisch mit Wind und Leben und folglich auch mit den ihnen unterstellten Naturgöttern und Lebensorganen erkannt hat, dem fliesst, als dem allen Dingen einwohnenden Prinzip, alle Nahrung zu, mit der die Wesen sich nähren. Wie beim Würfelspiele dem Kriṭa, dem höchsten Wurfe mit vier Augen, die niedrigern Würfe (Tretâ mit drei, Dvâpara mit zwei, Kali mit einem Auge) zugerechnet, somit im ganzen alle zehn Augen angerechnet werden, so wird dem, welcher die Samvarga-Lehre kennt, alles das Gute zugerechnet, welches die übrigen (mit ihm identischen) Wesen vollbringen. Ein solcher Mann ist Raikva, welcher, trotz seiner Armut und seinem Elende, weil er sich als alle Wesen weiss, höher steht als der reiche Jânaçruti, dessen Gaben er zunächst stolz zurückweist, und dem er erst auf wiederholtes Andringen die Wissenschaft, welche ihn so hoch hebt, mitteilt. Befremdlich ist nur, dass diese von Jânaçruti so teuer erkaufte Wissenschaft keineswegs etwas Neues und dem Raikva allein Eignes ist; nicht nur die oben angeführten Stellen, sowie die systematisierende, sekundäre Form, in der sie hier auftritt, spricht für ihr Bekanntsein in weitern Kreisen, sondern namentlich auch die eingeflochtene Legende vom bettelnden Brahmanschüler, in welcher Rede und Gegenrede in neckischem Rätselspiele die Kenntnis der Samvarga-Lehre von seiten der Unterredner, somit deren allgemeinere Verbreitung voraussetzt.


1. Jânaçruti, der Enkelsohn [des Janaçruta] war ein gläubiger Spender, viel schenkend, viel kochend. Er liess allerwärts[117] Herbergen bauen, damit sie von überall her bei ihm speiseten.

2. Da flogen einst Gänse [oder: Flamingos] in der Nacht vorüber. Da sprach die eine Gans zur andern: »He da! Blödäugige, Blödäugige [siehst du nicht?], dem Himmel gleich ist Jânaçruti's, des Enkelsohnes, Glanz ausgebreitet; den rühre nicht an, daran verbrenne dich nicht.« –

3. Zu ihr sprach die andre: »Wer ist denn der, von dem du redest, als wäre er ein Raikva mit dem Ziehkarren!« – »Wie ist denn das, mit Raikva mit dem Ziehkarren?« –

4. »Wie [beim Würfelspiele] dem Kriṭa-Wurfe [dem höchsten], wenn man mit ihm gesiegt hat [oder etwa vijitâya von vij, vgl. Ṛigv. 1,92,10. 2,12,5 vijaḥ], die niedern Würfe mit zugezählt werden, so kommt ihm [dem Raikva] alles heim, was immer die Geschöpfe Gutes tun; und wer weiss, was er weiss, von dem gilt das auch.«

5. Dem hatte Jânaçruti, der Enkelsohn, zugehört. Sobald er aufgestanden war, sprach er zu seinem Truchsess [der ihn pries, in der Art, wie später die Vaitâlika's zu tun pflegen]: »Du redest ja [von mir], als wäre ich ein Raikva mit dem Ziehkarren.« – »Wie ist denn das mit Raikva mit dem Ziehkarren?«

6. »Wie dem Kriṭa-Wurfe, wenn man mit ihm gesiegt hat, die niedern Würfe mit zugezählt werden, so kommt ihm alles heim, was immer die Geschöpfe Gutes tun; und wer weiss, was er weiss, von dem gilt das auch.«

7. Da ging der Truchsess aus, ihn zu suchen. Er kam zurück und sprach: »Ich habe ihn nicht gefunden.« – Jener [Jânaçruti] sprach zu ihm: »Wo man einen Brâhmaṇa [prägnant, wie Bṛih. 3,5,1. 3,8,10] zu suchen hat, dorthin gehe nach ihm« [in die Einsamkeit, in den Wald, auf eine Sandbank im Flusse, in eine abgelegene Gegend, – wie der Scholiast erläutert].

8. Da sass einer unter seinem Karren und schabte sich den Aussatz. Zu dem setzte er sich nieder und sprach: »Bist du, Ehrwürdiger, Raikva mit dem Ziehkarren?« – »Freilich bin ich der«, antwortete er. – Der Truchsess kam zurück und sprach: »Ich habe ihn gefunden.«

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 117-118.
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