3. Identität, Unterschied, Gegensatz

[298] Von Identität spricht man teils in akzidentiellem Sinne, wie wenn das was blaß und das was gebildet ist, identisch heißt, weil beides an demselben Gegenstande vorkommt, oder Mensch und gebildet, weil das eine Prädikat des anderen ist. Das Gebildete ist ein Mensch, weil dem Menschen jene Bestimmung zugefallen ist. Mit jedem der beiden Glieder in der Verbindung ist diese Verbindung, und mit dieser Verbindung jedes der beiden Glieder identisch. Denn mit dem gebildeten Menschen heißt sowohl der Mensch wie gebildet, und mit diesen heißt jenes identisch. Deshalb wird auch dies alles nicht als Allgemeines ausgesagt. Denn man dürfte nicht in Wahrheit sagen, daß jeder Mensch und gebildet identisch sei. Das Allgemeine hat sein Sein an und für sich, das Akzidentielle aber wird nicht als an und für sich Seiendes, sondern nur von dem Einzelnen ohne weiteres ausgesagt. Sokrates und[298] der gebildete Sokrates wird als identisch genommen; Sokrates aber wird nicht von einer Mehrheit gebraucht, und man sagt deshalb auch nicht jeder Sokrates, wie man sagt jeder Mensch.

Das eine nun wird in dieser Weise als identisch bezeichnet, das andere in dem Sinne des an sich Seienden, ebenso wie es auch bei der Bezeichnung als Einheit der Fall ist. Identisch heißt das, dessen Materie, sei es der Art, sei es der Zahl nach eine ist, und auch das, dessen Wesen eines ist. Identität bedeutet mithin offenbar eine Art von Einheit, eine Einheit des Seins für eine Vielheit, oder auch so, daß ein Gegenstand als eine Mehrheit genommen wird, wie wenn man sagt, etwas sei mit sich selbst identisch, wo man es also als zwei nimmt.

Von Anderssein spricht man da, wo eine Mehrheit von Arten oder von Materien oder von Wesensbegriffen vorliegt. Das Anderssein bedeutet überall den Gegensatz zum Identischsein.

Verschieden heißt das, dem ein Anderssein zukommt, während es doch in gewissem Sinne identisch ist, nicht etwa der Zahl nach, sondern der Art, der Gattung oder der Analogie nach; dann auch das, was einer anderen Gattung angehört, sowie das konträr Entgegengesetzte und das, wo das Anderssein im Wesen enthalten ist.

Ähnlich heißt, was durchgängig die gleichen Bestimmungen hat, oder wo doch die gleichen Bestimmungen über die verschiedenen überwiegen, und daß dessen kennzeichnende Beschaffenheit einheitlich ist. Sofern aber die Möglichkeit einer Veränderung in das Gegenteil besteht, so heißt ähnlich dasjenige, was die meisten dieser Eigenschaften, oder diese der Hauptsache nach auch besitzt. Unähnlichkeit aber bildet den Gegensatz zur Ähnlichkeit.

Unter Gegensatz versteht man das kontradiktorische und das konträre Verhältnis, Relation, Privation und Haben einer Bestimmung, das letzte Woher und das letzte Wohin beim Entstehen und Vergehen, Zwei Bestimmungen, die ein Gegenstand, der für beide empfänglich ist, nicht zugleich haben kann, nennt man entgegengesetzt, teils die Bestimmungen selbst, teils das, woraus sie entspringen. Die Bestimmung grau und die Bestimmung weiß kommt nicht zugleich demselben Gegenstande zu; deshalb bildet auch das, woraus sie entspringen, einen Gegensatz.

Konträr entgegengesetzt heißt das der Gattung nach Verschiedene, was nicht zugleich an demselben Gegenstande vorkommen kann, und unter dein derselben Gattung Angehörigen das was am weitesten auseinanderliegt, das was unter dem an demselben dafür empfänglichen Gegenstande Vorkommenden[299] am weitesten auseinanderliegt, das was unter dem von einem und demselben Vermögen Abhängigen am meisten verschieden ist, überhaupt das dessen Unterschied der größte ist entweder schlechthin oder der Gattung nach oder der Art nach. Sonst heißt entgegengesetzt, das eine, weil es das eben Genannte an sich hat, das andere, weil es für die bezeichneten Verhältnisse empfänglich ist, wieder anderes, weil es diese Verhältnisse hervorbringt oder erleidet, oder das Vermögen hat, sie hervorzubringen oder zu erleiden, oder weil es das Verlieren oder Annehmen solcher Gegensätze oder das Ansichhaben oder Ermangeln derselben bedeutet. Da aber Eins und Sein mehrere Bedeutungen hat, so folgt das Gleiche notwendig auch für das, was nach jenen benannt wird; also auch für Identität, Anderssein und Gegensatz gilt es, daß sie jedesmal nach der Kategorie, die in Frage kommt, eine andere Bedeutung annehmen.

Disjunkt, der Art nach verschieden, heißt das, was derselben Gattung angehörig, also nicht einander über- und untergeordnet ist, was also einer und derselben Gattung angehörig unter sich verschieden ist, und was einen Gegensatz im Wesen enthält, auch das konträr Entgegengesetzte ist ein der Art nach voneinander Verschiedenes, entweder alles, oder doch das im ursprünglichen Sinne so Genannte; dann auch das begrifflich Verschiedene, sofern es sich um die letzten Arten der Gattung handelt. So sind Pferd und Mensch innerhalb der Gattung lebendes Wesen nicht weiter einzuteilende begrifflich verschiedene Arten. Somit gehört dahin auch, was derselben begrifflichen Wesenheit angehörig bloße Verschiedenheit aufzeigt. Identität der Art nach aber bedeutet von alledem das Gegenteil.

Quelle:
Aristoteles: Metaphysik. Jena 1907, S. 298-300.
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