5. Quantität, Qualität, Relation

[304] Ein Quantum nennt man das, was sich in Bestandteile zerlegen läßt, von denen jeglicher, sei es als einer von zweien oder einer von mehreren, seiner Natur nach ein einiges und bestimmtes Einzelnes ist. Ein Quantum bildet[304] eine Vielheit, wenn es zählbar, eine Ausdehnung, wenn es meßbar ist. Eine Vielheit heißt, was sich der Möglichkeit nach in nicht kontinuierliche Teile, eine Ausdehnung heißt, was sich in kontinuierliche Teile zerlegen läßt. Als kontinuierlich in einer Richtung heißt die Ausdehnung Länge, in zwei Richtungen Breite, in drei Richtungen Tiefe. Als begrenzt heißt die Vielheit Zahl, die Länge Linie, die Breite Fläche, die Tiefe Körper. Ferner heißt das eine an sich, das andere nur akzidentiell quantitativ; so ist die Linie ein Quantum ihrem Wesen nach, der musikalische Ton ist es nur akzidentiell. Von dem, was an sich die Natur des Quantums hat, hat sie das eine seiner selbständigen Wesenheit nach, wie die Linie; denn hier ist die Bestimmung als Quantum schon in der Bezeichnung des begrifflichen Wesens enthalten. Anderes ist Quantum als Affektion und dauernde Beschaffenheit einer derartigen Wesenheit, so z.B. viel und wenig, lang und kurz, breit und schmal, hoch und niedrig, schwer und leicht, und anderes dergleichen. Es bilden weiter auch groß und klein, größer und kleiner, was teils an sich, teils in Beziehung auf einander ausgesagt wird, Modifikationen des Quantums an sich; doch gebraucht man diese Ausdrücke in übertragenem Sinne auch von anderem. Was nur akzidentiell als Quantum bezeichnet wird, das wird teils in dem vorher angedeuteten Sinne so bezeichnet; wie der musikalische Ton ein Quantitatives ist, so auch das Weiße, nämlich deshalb, weil dasjenige, dem sie als Prädikate zukommen, ein Quantitatives ist; anderes dagegen in dem Sinne wie die Bewegung und die Zeit, die als irgendwie Quantitatives und Kontinuierliches deshalb bezeichnet werden, weil dasjenige zu dem sie als Bestimmungen gehören, sich in Teile zerlegen läßt. Darunter aber verstehe ich nicht sowohl das was bewegt wird, als vielmehr die Strecke, um die es bewegt worden ist. Denn deshalb weil dieses ein Quantitatives ist, ist auch die Bewegung ein Quantitatives, und weil die Bewegung, darum ist es auch die Zeit.

Qualität bedeutet in einem Sinne die unterscheidende Beschaffenheit des Gegenstandes; so ist der Mensch qualitativ bestimmt als lebendes Wesen mit zwei Beinen, das Pferd als solches mit vier Beinen. Der Kreis ist qualitativ bestimmt als eine Figur ohne Ecken, indem diese unterscheidende Bestimmtheit die sein Wesen bezeichnende Qualität bedeutet. So wird also in dieser ersten Bedeutung die Qualität als die unterscheidende Beschaffenheit des Wesens aufgefaßt; einen anderen Sinn hat sie beim Bewegungslosen, Mathematischen. So sind die Zahlen qualitativ bestimmt, z.B. die zusammengesetzten Zahlen, die nicht bloß in einer Richtung weitergehen,[305] sondern die an der Fläche und dem Körper ihr Abbild haben; es sind dies Produkte aus zwei und aus drei Faktoren. Überhaupt aber ist an den Zahlen das Qualitative das, was neben der Quantität noch an ihrer Wesenheit als Bestimmung vorkommt. Denn das Wesen jeder Zahl ist das, was sie einmal genommen ist. So ist das Wesen der Sechszahl nicht dies, daß sie das Produkt aus zwei und drei, sondern das, was sie einmal genommen ist; denn sechs heißt soviel wie einmal sechs.

Weiter heißen Qualitäten die Bestimmungen der der Bewegung unterworfenen Gegenstände, wie Wärme und Kälte, weiße und schwarze Farbe, Schwere und Leichtigkeit und anderes dergleichen, in bezug worauf man, wenn es anders wird, von den Körpern aussagt, daß sie sich verändern. Und so auch ferner in bezug auf gute und schlechte Beschaffenheit und überhaupt auf das Schlechte und auf das Gute.

Demnach wird die Qualität in der Hauptsache in zwei Bedeutungen zu verstehen sein, von denen die eine die eigentliche Bedeutung ausmacht. Denn Qualität im ursprünglichen Sinne ist die unterscheidende Bestimmtheit des Wesens, und von dieser bildet die Qualität als den Zahlen zukommend eine Unterabteilung. Denn auch hier ist sie eine unterscheidende Wesensbestimmtheit, aber nicht eine Bestimmtheit des Bewegten, oder doch nicht sofern es bewegt ist. Andererseits bedeutet Qualität die Bestimmungen der der Bewegung unterworfenen Gegenstände, sofern sie der Bewegung unterworfen sind, und die unterscheidenden Bestimmtheiten der Bewegungen selber. Gute und schlechte Beschaffenheit bilden dann eine Unterabteilung dieser Bestimmtheiten; denn sie bedeuten die unterscheidende Bestimmtheit der Bewegung und Wirksamkeit, vermöge deren die in Bewegung begriffenen Gegenstände Wirkungen in rechtem oder in verkehrtem Sinne üben oder erleiden. Dasjenige was das Vermögen hat, in diesem bestimmten Sinne bewegt zu werden oder zu wirken, ist ein Gutes; dasjenige dagegen, was es in dieser bestimmten und entgegengesetzten Weise hat, ist ein Schlechtes. So kommt das Gute und Schlechte als Qualität am meisten bei den beseelten Wesen in Betracht, und unter diesen wieder am meisten bei denjenigen Wesen, die mit bewußtem Vorsatz tätig sind.

Unter Relation versteht man ein Verhältnis teils wie das des Doppelten zum Halben, des Dreifachen zum Drittel, überhaupt des Vielfachen zum Bruchteil und des Überwiegenden zum darunter Bleibenden; teils wie das des Wärme Spendenden zu dem für die Wärme Empfänglichen oder des Trennung Verursachenden zu dem der Trennung Fähigen und überhaupt[306] des Wirkenden zu dem die Wirkung Erleidenden; teils wie das des Meßbaren zum Maß, des Gegenstandes der Erkenntnis zum Erkennen, des Gegenstandes der Wahrnehmung zum Wahrnehmen. Im ersten Falle bedeutet Relation ein zahlenmäßiges Verhältnis, entweder schlechthin ein solches, oder ein bestimmtes, und ein Verhältnis der Glieder zu einander oder zur Eins. So ist das Verhältnis des Doppelten zur Eins ein bestimmtes Zahlenverhältnis, das Verhältnis des Vielfachen zur Eins wohl auch ein Zahlenverhältnis, aber kein bestimmtes, wie zu dieser oder zu jener Zahl; das Verhältnis 3/2 : 2/3 ist ein Verhältnis zu einer bestimmten Zahl; das Verhältnis eines unechten Bruches zu seiner Umkehrung dagegen das Verhältnis zu einem Unbestimmten, in demselben Sinne wie das Verhältnis des Vielfachen zur Eins es ist. Das Verhältnis des Überwiegenden zu dem darunter Zurückbleibenden ist ein Zahlenverhältnis von durchaus unbestimmter Art; denn die Zahl selber ist kommensurabel; hier aber sind beide Glieder des Verhältnisses im Sinne einer nicht kommensurablen Zahl bezeichnet. Denn das Überwiegende ist im Verhältnis zu dem darunter Bleibenden erstens ein Ebensogroßes und dann noch etwas dazu; dies letztere aber ist unbestimmt; es mag, wie sich's eben trifft, dem andern gleich oder nicht gleich sein.

In allen diesen Fällen nun bedeutet die Relation ein Verhältnis von Zahlen und Eigenschaften von Zahlen; und eben das bedeutet auch das Gleiche, das Ähnliche und das Identische, nur mit einer Modifikation. Denn alles das wird ausgesagt in Beziehung auf die Eins. Identisch ist das, dessen Wesen eines ist; ähnlich das, dessen Qualität eine ist; gleich das, dessen Quantität eine ist. Die Eins aber ist Prinzip und Maß der Zahl, und so bedeuten denn alle diese Arten der Relation ein Zahlenverhältnis, nur nicht alle in derselben Weise.

Die Relation andererseits als das Verhältnis des Wirkenden zum Leidenden bedeutet ein Verhältnis des Vermögens zu wirken und des Vermögens zu leiden und der Betätigung dieser Vermögen. Das Verhältnis des Wärme Spendenden zu dem für die Wärme Empfänglichen ist solch ein Verhältnis des Vermögens, das Verhältnis des Erwärmenden aber zum Erwärmten, des Trennenden zum Getrennten ein Verhältnis der Betätigung des Vermögens. Zahlenverhältnisse dagegen lassen diese Bedeutung der Betätigung eines Vermögens nicht oder doch nur in der an anderer Stelle dargelegten Weise zu; von Betätigung im Sinne der Bewegung kann hier nicht die Rede sein. Das Verhältnis im Sinne des Vermögens verbindet sich mitunter auch mit einem Zeitverhältnis, z.B. als Verhältnis dessen, was hervorgebracht hat zu[307] dem was hervorgebracht worden ist, und dessen was hervorbringen wird zu dem was hervorgebracht werden wird. In diesem Sinne spricht man von Vater und Sohn; das eine ist dann das was die Wirkung geübt, das andere das was die Wirkung erfahren hat. Es gibt ferner Relationen, die auf der Privation des Vermögens beruhen; so bei dem was des Vermögens entbehrt und was auch danach benannt wird, z.B. das Unsichtbare.

Wo von Relation im Sinne der Zahl und des Vermögens gesprochen wird, da steht etwas in Relation immer dadurch, daß es schon seinem Wesen nach als in Beziehung zu etwas anderem stehend gedacht wird, und nicht dadurch, daß noch erst etwas anderes in Beziehung dazu träte. Dagegen was meßbar, was erkennbar, was denkbar heißt, das heißt etwas Relatives dadurch, daß ein anderes zu ihm in Beziehung gesetzt wird. Denn wenn man etwas denkbar nennt, so meint man damit, daß eine Denktätigkeit sich darauf bezieht; dagegen steht die Denktätigkeit nicht in Relation zu dem Objekt, das sie im Denken erfaßt; denn das hieße nur dasselbe zweimal sagen. Ebenso bedeutet das Sehen das Sehen eines Gegenstandes, nicht das Sehen eines Gesehenen überhaupt, obwohl sich auch dies in Wahrheit sagen ließe, sondern bestimmter bezogen auf eine Farbe oder etwas anderes dergleichen. Sonst würde nur zweimal dasselbe gesagt werden, nämlich daß das Sehen das Sehen dessen wäre, dessen Sehen es ist.

Was nun als an sich relativ ausgesagt wird, das wird teils in dieser Weise ausgesagt, teils wenn die Gattung, zu der es gehört, ein Relatives ist. So ist die Heilkunde etwas Relatives, weil die Gattung, zu der sie gehört, nämlich die Wissenschaft, für etwas Relatives gilt. Ferner ist etwas an sich relativ, sofern das, dessen Bestimmung es ist, als Relatives gemeint ist. So die Gleichheit, weil das Gleiche, und die Ähnlichkeit, weil das Ähnliche etwas Relatives ist. Anderes ist relativ nur in akzidentiellem Sinne. So ist ein Mensch ein Relatives, weil er akzidentiell das Doppelte von einem anderen und weil doppelt etwas Relatives ist, oder das Weiße ist relativ, falls einem und demselben Gegenstande beides zukommt, doppelt so groß und weiß zu sein.

Quelle:
Aristoteles: Metaphysik. Jena 1907, S. 304-308.
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