d) Heiterkeit

d) Heiterkeit

[91] Weiter aber darf man auch für die Zeiten des Ausruhens und der heiteren Erholung in denselben eine Art des geselligen Benehmens als die angemessene bezeichnen, diejenige die im Sprechen wie im Zuhören den rechten Inhalt und die rechte Form zu wahren versteht. Dabei ist ein Unterschied zwischen den Äußerungen, die man in diesem Verhältnis selbst macht, und dem Anhören der Äußerungen, die andere machen.

Daß es auch hier ein Hinausgehen über die rechte Mitte und ein Zurückbleiben hinter derselben gibt, liegt klar zutage. Diejenigen, die sich in scherzhaftem Tun zu weit gehen lassen, dürfen als Spaßmacher und ungebildete Menschen gelten. Sie streben überall nur immer das an, was Lachen hervorruft, und zielen mehr darauf andere zum Lachen zu bringen als mit ihren Äußerungen sich in den Grenzen des Anstandes zu halten und demjenigen, dem der Spott gilt, nicht weh zu tun. Wer dagegen selbst nie einen[91] Scherz macht und den Scherz, den ein anderer macht, unfreundlich aufnimmt, darf als übellaunig und sauertöpfisch gelten. Leute, die sinnig zu scherzen verstehen, nennt man geistreich und gewandt; letzteres Wort bedeutet soviel wie reich an Wendungen. Man darf dergleichen als Bewegungen des inneren Lebens ansehen und, wie man den Leib nach seiner Beweglichkeit beurteilt, so auch das innere Leben danach beurteilen. Da nun der Scherz Vergnügen bereitet und die meisten Menschen an heiteren Wendungen und am Spott größere Freude haben als eigentlich recht ist, so nennt man wohl auch die Spaßmacher geistreich als angenehme Gesellschafter. Daß hier aber ein Unterschied, und kein geringer, zu machen ist, geht aus dem oben Gesagten hervor. Der Gemütsart, die die rechte Mitte innehält, ist auch der sichere Takt eigentümlich. Den taktvollen Menschen bezeichnet es, daß er sagt und anhört, was einem ehrenwerten und vornehmen Sinne wohl ansteht. Es gibt solches, was ein so gesinnter Mann in scherzhafter Absicht wohl geziemenderweise sagen und was er auch anhören darf; doch bleibt ein Unterschied zwischen dem Scherz, den ein vornehmer, feinsinniger Mann, und dem, den ein Sklave macht, zwischen dem des Gebildeten und des Ungebildeten. Das kann man schon an der alten und an der neuen Komödie ersehen. In jener bestand das Komische in groben Zoten, in dieser mehr in versteckter Anspielung; und das macht doch für den äußeren Anstand keinen geringen Unterschied.

Wie soll man nun denjenigen bezeichnen, der Scherz in der rechten Weise treibt? danach, daß er sagt, was für einen feingebildeten Mann nicht ungeziemend ist? oder danach, daß er den Zuhörer nicht verstimmt oder ihn geradezu amüsiert? oder läßt sich auch darüber gar keine genaue Bestimmung geben? ist doch dem einen dies, dem andern jenes verdrießlich oder erfreulich, und danach wird es sich auch richten, wie einer die Sache als Zuhörer aufnimmt. Denn was er gern anhört, das wird er doch wohl auch selbst vorbringen. Er wird sich also nicht jegliches gestatten. Denn über etwas spotten heißt doch es herunterziehen. Wenn die Gesetzgeber verbieten gewisse Dinge herabzureißen, so hätten sie in gleicher Weise auch den Spott verbieten sollen. Der feingebildete Mann von vornehmer Haltung wird sein Verhalten in diesem Sinne regeln, gleichsam indem er sich selbst das Gesetz ist.

Das nun ist die Art desjenigen, der die rechte Mitte einhält, wie man ihn auch nennen mag, taktvoll oder geistreich. Der Spaßmacher dagegen unterliegt der Versuchung, Lachen zu erregen um jeden Preis, und schont weder[92] sich selbst noch die anderen, wenn er nur Lachen erregen kann, er sagt Dinge, wie sie ein feinfühlender Mann nicht in den Mund nehmen, zuweilen nicht einmal anhören möchte. Der Ungeschliffene andererseits ist für solche heitere Geselligkeit überhaupt nicht zu brauchen; denn er steuert nichts dazu bei und nimmt alles gleich unfreundlich auf. Und doch darf man die Erholung und den Scherz als ein notwendiges Moment des menschlichen Lebens bezeichnen.

So hätten wir denn drei Verhaltungsweisen aufgezeigt, die als Innehalten der rechten Mitte gelten dürfen; sie beziehen sich sämtlich auf die Äußerungen in Wort und Rede und auf die Betätigung im gesellschaftlichen Zusammenleben mit anderen. Sie unterscheiden sich dadurch, daß die eine sich um die Wahrhaftigkeit, die beiden anderen sich um das das Gefühl anmutend Berührende drehen. Von denen, die das letztere betreffen, hat die eine in Scherz und Spiel, die andere in den sonstigen gesellschaftlichen Beziehungen das Gebiet ihrer Bewährung.

Quelle:
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Jena 1909, S. 91-93.
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