Fünftes Kapitel

[5] Ich habe nun zu sagen, was ein Begriff, eine Eigenthümlichkeit, eine Gattung und ein Nebensächliches ist. Der Begriff ist ein Satz, welcher das wesentliche Was des betreffenden Gegenstandes angiebt. Man giebt entweder einen solchen Satz anstatt des Wortes, oder einen Satz anstatt eines Satzes; denn man kann auch Einzelnes von dem, was in einem Satze ausgesagt wird, definiren. Wenn man die Definition nur in irgend einem anderem Worte bietet, so giebt man damit offenbar keine Definition des Gegenstandes, weil jede Definition eine Art von Satz sein muss. Indess trägt auch Dergleichen zur Definition bei, wie z.B. wenn man sagt: Schön sei das Geziemende; ebenso die Angabe, ob die Sinneswahrnehmung und die Erkenntniss dasselbe oder ob sie unterschieden seien. Denn auch bei der Definition handelt es sich meistens darum, ob sie dasselbe wie der Gegenstand oder verschieden sei. Ueberhaupt soll alles, was unter dasselbe Verfahren, wie es bei der Definition geschieht, fällt, als zur Definition gehörig angesehen werden; und dass alles hier Erwähnte dieser Art ist, ergiebt sich aus ihm selbst; denn wenn man darlegen kann, dass Etwas entweder dasselbe oder verschieden ist, so wird man in gleicher Weise auch mit den Definitionen es zu thun wohl im Stande sein; denn hat man gezeigt, dass[5] sie nicht dasselbe mit dem Gegenstande ist, so wird man damit auch die Definition widerlegt haben. Indess lässt sich dieser Satz nicht umkehren; denn zur Begründung einer Definition genügt der Beweis, dass sie dasselbe wie ihr Gegenstand ist, nicht; wohl aber genügt es zur Widerlegung einer solchen, wenn man zeigt, dass Beide nicht dasselbe sind.

Eine Eigenthümlichkeit ist es, wenn dieselbe zwar das wesentliche Was des Gegenstandes nicht darlegt, aber doch nur bei ihm sich findet und wenn Gegenstand und Eigenthümlichkeit mit einander ausgetauscht werden können. So ist es z.B. eine Eigenthümlichkeit des Menschen, dass er der Sprachwissenschaft fähig ist; denn was ein Mensch ist, ist auch der Sprachwissenschaft fähig, und umgekehrt, was der Sprachwissenschaft fähig ist, ist auch ein Mensch. Niemand wird aber das, was auch bei einem anderen Gegenstande vorkommen kann, eine Eigenthümlichkeit jenes nennen; eine solche ist z.B. das Schlafen für den Menschen nicht, oder wenn etwas nur zu einer bestimmten Zeit bei dem Menschen stattfinden sollte. Selbst wenn man dergleichen eine Eigenthümlichkeit nennen wollte, so würde man das doch nicht ein Eigenthümliches überhaupt nennen, sondern es als ein Eigenthümliches für diese Zeit oder in Bezug auf etwas bezeichnen. So kann das: Auf der rechten Seite sein, manchmal eine Eigenthümlichkeit von Etwas sein, und du zweifüssige wird in Beziehung auf Anderes eine Eigenthümlichkeit genannt, z.B. bei dem Menschen in Bezug auf das Pferd und den Hund. Wenn etwas auch anderen Dingen zukommen kann, so kann der die Eigenthümlichkeit des Gegenstandes ausdrückende Satz offenbar nicht umgekehrt werden, denn es ist nicht nothwendig, dass ein Schlafendes ein Mensch sei.

Die Gattung ist das, was von mehreren und der Art nach verschiedenen Dingen als in dem Was derselben enthalten, ausgesagt wird. Den Ausdruck: Als in dem Was enthalten, ausgesagt werden, werde ich von alle dem gebrauchen, was sich zu der Antwort auf die Frage schickt, was der vorliegende Gegenstand sei. So schickt es sich z.B. auf die Frage, was das Vorliegende sei, wenn es ein Mensch ist, zu sagen, dass es ein Geschöpf ist. Zu der Frage über die Gattung gehört auch die Ermittelung,[6] ob etwas mit einem anderen zu derselben Gattung gehöre oder nicht; denn auch dies gehört zu demselben Verfahren, durch welches die Gattung ermittelt wird. Hat man nämlich bei einer Erörterung gezeigt, dass das Geschöpf die Gattung für den Menschen ist, so wird man auch damit gezeigt haben, dass auch der Stier zu derselben Gattung gehört. Hat man aber von dem einen Gegenstande seine Gattung erwiesen und von einem anderen Gegenstande gezeigt, dass diese nicht dessen Gattung sei, so hat man auch dargelegt, dass beide nicht zu derselben Gattung gehören.

Ein Nebensächliches ist das, was in einem Gegenstande enthalten ist, aber doch keine der vorigen Bestimmungen ist, also weder der Begriff, noch eine Eigenthümlichkeit, noch die Gattung; das Nebensächliche kann in dem beliebigen einen Gegenstande sowohl enthalten, als auch nicht enthalten sein. So kann z.B. das Sitzen bei einem und demselben Menschen stattfinden und auch nicht stattfinden. Ebenso das Weisse; denn ein und derselbe Gegenstand kann einmal weiss, ein andermal nicht weiss sein. Von diesen beiden Definitionen des Nebensächlichen ist die letztere die bessere; denn wenn Jemand die erste verstehen soll, so muss er schon vorher wissen, was Begriff, Gattung und Eigenthümlichkeit ist; dagegen ist die zweite an sich genügend, um zu erkennen, was das Nebensächliche an sich ist. Zu dem Nebensächlichen muss auch alles gerechnet werden, was vergleichsweise auf einander bezogen wird; z.B.: ob das Schöne oder das Nützliche den Vorzug verdiene und ob das tugendhafte oder das genussvolle Leben das angenehmere ist und sonst dem ähnliche Reden. Denn in allen solchen Fällen handelt es sich darum, welchem von beiden das Ausgesagte mehr zukomme. Uebrigens er hellt hieraus auch dass das Nebensächliche mitunter beziehungsweise ein Eigenthümliches werden kann; so ist das Sitzen etwas Nebensächliches, wenn aber Jemand allein sitzt, so ist es für diesen ein Eigenthümliches und wenn er nicht allein, sondern Mehrere sitzen, so ist es für diese in Bezug auf die, welche nicht sitzen, ein Eigenthümliches. Somit kann das Nebensächliche sowohl für gewisse Zeiten, wie in Bezug auf bestimmtes Andere ein Eigenthümliches werden; indess wird es deshalb nicht ein Eigenthümliches überhaupt.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 5-7.
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