Fünftes Kapitel

[36] Auch das sophistische Mittel ist zu benutzen, wonach man die Disputation zu Sätzen hinleitet, die man mit Leichtigkeit angreifen kann. Solche Sätze sind manchmal wirklich nothwendig, manchmal scheinbar nothwendig und manchmal weder das eine, noch das andere. Wirklich nothwendig sind sie dann, wenn der Antwortende bei seinem Bestreiten der den aufgestellten Satz treffenden Gründe selbst Behauptungen aufstellt, welche der Art sind, dass man sie mit Leichtigkeit angreifen kann. Auch sind solche Behauptungen da wirklich nothwendig, wo man behufs Widerlegung des Gegners das von ihm Behauptete zur induktiven Begründung eines allgemeinem, den aufgestellten Satz mit befassenden Satzes benutzen kann; denn wenn man dann diesen allgemeineren Satz widerlegt, so ist auch der aufgestellte mit widerlegt.

Scheinbar nützlich sind solche Behauptungen dann, wenn man nur scheinbar Brauchbares oder Dahingehörendes gegen den Streitsatz behauptet, ohne dass es wirklich der[36] Art ist und nun der, welcher den Streitsatz vertheidigt, dies leugnet, oder wenn man nur durch eine glaubwürdige Induktion, wobei der Streitsatz mit benutzt wird, denselben zu widerlegen versucht. Der letzte Fall ist der, wo solche Behauptungen zwar in Bezug auf den aufgestellten Satz weder wirklich, noch scheinbar nothwendig sind, aber es doch dadurch gelingt, den Antwortenden bei einem, nicht zur Sache gehörenden Satze zu widerlegen. Doch muss man sich mit dem Gebrauch dieser letzten Weise zu disputiren sehr in Acht nehmen, denn sie durfte wohl gar nicht zur Dialektik gehören, sondern ihr fremd sein. Deshalb darf der Antwortende nicht ärgerlich darüber werden, sondern er mag immerhin die für den aufgestellten Satz nutzlosen Behauptungen zugeben und nur andeuten, was er daran nicht billigt, obgleich er es für den vorliegenden Fall zugiebt. Denn meistentheils kommt der Fragende mehr in Verlegenheit, wenn man ihm alles der Art zugiebt, so weit es für die Beweisführung nutzlos ist.

Ferner hat Jeder, welcher irgend etwas behauptet, in gewisser Weise Vielerlei behauptet, weil aus dem einen Satze nothwendig sich vielerlei Folgen ergeben. Hat z.B. Jemand behauptet, dass der Gegenstand ein Mensch sei, so hat er auch behauptet, dass er ein Geschöpf ist, und beseelt, und zweifüssig und fähig der Vernunft und Wissenschaft. Man kann also in solchem Falle durch Widerlegung irgend einer dieser Folgen auch den anfänglich aufgestellten Satz widerlegen. Man muss sich aber vorsehen und sich von dem wegwenden, was schwerer zu widerlegen ist; denn manchmal ist die Folge leichter zu widerlegen, manchmal aber der aufgestellte Satz selbst.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 36-37.
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