Fünftes Kapitel

[136] Allgemein aufgefasst ist dies also ein fehlerhafter Gesichtspunkt, wenn man den Begriff nicht durch Früheres und Bekannteres bestimmt, und dieser Fehler kann auf die hier genannten mehreren Weisen begangen werden. Ein zweiter Gesichtspunkt ist es, dass man prüft, ob,[136] wenn der Gegenstand zu einer Gattung gehört, er etwa in keine Gattung gestellt worden ist. Dieser Fehler trifft alle Definitionen, wo das Was des Begriffes nicht vorweg angegeben wird, z.B. wenn der Körper dahin definirt wird, dass er drei Dimensionen habe, oder wenn man den Menschen dahin definirt, dass er zu zählen verstehe; denn dort ist nicht gesagt, was drei Dimensionen habe und hier nicht, welches Seiende zu zählen versteht. Die Gattung soll nur das Was des Gegenstandes angeben und wird unter den in der Definition enthaltenen Bestimmungen als die erste aufgestellt.

Ein anderer Fehler dieser Art ist es, wenn der zu definirende Gegenstand mehr befasst, als in der Definition angegeben ist, z.B. wenn die Sprachlehre definirt wird, als die Lehre, vermöge deren man das Vorgesagte niederschreiben kann; es fehlt darin, dass auch die Kenntniss des Lesens dazu gehört; denn der, welcher die Sprachlehre durch das Schreiben-können definirt, hat sie nicht besser definirt, als der, welcher sie durch das Lesen-können definirt; deshalb hat keiner von beiden, sondern nur der richtig definirt, welcher beides in die Definition aufgenommen hat; denn mehrere Definitionen von einem Gegenstande kann es nicht geben. Bei manchen Gegenständen verhält es sich nun so, wie ich gesagt habe, bei anderen ist es aber nicht richtig, nämlich überall da nicht, wo nicht beide Bestimmungen an sich dem Gegenstande angehören, z.B. wenn man die Heilkunst als die definirt, welche die Krankheit und die Gesundheit bewirken könnte; denn nur das eine wird an sich von ihr ausgesagt, das andere aber nur nebenbei; denn im Allgemeinen gehört das Krankmachen nicht zur Heilkunst. Deshalb hat der, welcher beides in die Definition aufnimmt, nicht besser definirt als der, welcher nur eines aufgenommen hat, ja eher schlechter, da auch jeder beliebige Andere vermag, jemanden krank zu machen.

Ferner wird dieser Fehler begangen, wenn das zu Definirende in Bezug auf Mehreres ausgesagt wird und man die Definition nicht auf das Bessere, sondern auf das Schlechtere beschränkt; denn jede Wissenschaft und jedes Vermögen ist doch auf das Beste gerichtet.

Ferner ist nach den früher über die Gattungen dargelegten Gesichtspunkten zu prüfen, ob der definirte[137] Gegenstand in die ihm zugehörige Gattung gestellt worden ist.

Ferner gehört hierher der Fehler, wenn man die Gattung überspringt, z.B. wenn man die Gerechtigkeit eine Gemüthsrichtung nennt, welche die Gleichheit bewirkt, oder welche gleich vertheilt; denn der Definirende überspringt dabei die Tugend und indem er die Gattung, zu der die Gerechtigkeit, gehört, überspringt, giebt er das wesentliche Was des Gegenstandes nicht an; denn das Wesen jedes Gegenstandes ist in seiner Gattung enthalten. Es ist dies derselbe Fehler, als wenn man den Gegenstand nicht in seine nächste Gattung stellt; denn thut man letzteres, so hat man auch alle höheren Gattungen mit angegeben, da alle höheren Gattungen durch die untere mit ausgesagt werden. Man muss daher den Gegenstand entweder in seine nächste Gattung stellen, oder zu der höheren Gattung alle Art-Unterschiede hinzufügen, durch welche die nächste Gattung bestimmt wird; denn dann wäre nichts versehen, und statt des Namens der nächsten Gattung wäre deren Begriff angegeben. Ist aber nur die höhere Gattung angegeben, so ist damit die nächste Gattung nicht ersetzt, denn wer: Pflanze sagt, nennt damit noch nicht den Baum.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 136-138.
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