Zwölftes Kapitel

[198] Eine Begründung kann in zweifacher Weise klar sein; in der einen Weise, welche am allgemeinsten als eine klare gilt, dann, wenn die Schlussfolgerung der Art ist, dass man nichts weiter an Zugeständnissen dazu bedarf; in der anderen Weise, welche insbesondere so heisst, wenn die Folgerung zwar aus Sätzen erfolgt, aus[198] denen sie mit Nothwendigkeit sich ergiebt, aber der Schlusssatz erst aus weiteren Schlüssen sich ergiebt; ferner wenn nur sehr glaubwürdige Sätze dabei fehlen.

Falsch wird eine Begründung in vierfacher Weise; erstens, wenn sie zwar den Schein einer Begründung hat, aber es nicht in Wahrheit ist; sie heisst das streitsüchtige Schliessen; zweitens, wenn die Begründung zwar einen Beweis enthält, aber dieser nicht gegen den aufgestellten Satz geht. Dies kommt am meisten bei den Unmöglichkeits-Beweisen vor; drittens, wenn damit zwar der aufgestellte Satz widerlegt wird, aber nicht vermittelst der Regeln derjenigen Wissenschaft, zu welcher er gehört. Dies geschieht dann, wenn der Schluss anscheinend aus der Heilkunde abgeleitet wird, ohne dass dies wirklich der Fall ist, oder scheinbar aus der Geometrie, ohne dass dies wirklich der Fall ist, oder wenn er aus scheinbar Wahrscheinlichen, aber nicht aus wirklichen Wahrscheinlichen abgeleitet wird, wobei es gleichgültig ist, ob die gezogene Folgerung wahr oder falsch ist. Viertens, wenn der Schlusssatz aus falschen Vordersätzen abgeleitet ist; hier kann der Schlusssatz bald wahr, bald falsch sein; denn Falsches kann zwar nur aus falschen Sätzen geschlossen werden, aber Wahres kann auch aus Unwahrem geschlossen werden, wie früher schon bemerkt worden ist.

Wenn nun die Begründung falsch ist, so liegt dieser Fehler mehr an der Person als an der Sache, und auch selbst nicht immer an der Person, sondern nur dann, wenn sie es nicht bemerkt, da man an sich eine Begründung aus falschen Sätzen oft vielen, die aus wahren Sätzen geschehen, vorzieht, sofern man aus falschen, aber sehr glaubwürdig scheinenden Sätzen etwas als wahr Behauptetes aufhebt. Denn eine solche Begründung dient als Beweis für andere Wahrheiten; insofern nämlich in den aufgestellten Sätzen etwas nicht durchaus wahr ist, gegen welches dann der Beweis geführt wird. Wird dagegen etwas Wahres durch Falsches und sehr Unglaubwürdiges gefolgert, so würde eine solche Begründung schlechter sein als die, welche aus falschen Sätzen Falsches folgert, weil dort man auch leicht auf einen falschen Schlusssatz gerathen kann. Hieraus erhellt, dass man bei der Prüfung jeder Begründung als solcher[199] zunächst zu sehen hat, ob sie zu einem Schlusssatze führt, zweitens, ob der Schluss wahr oder falsch ist, und drittens, wie die Vordersätze beschaffen sind. Wenn nämlich die Begründung aus falschen, aber glaubwürdigen Sätzen erfolgt, so ist sie logisch, erfolgt sie aber aus wahren, aber unglaubwürdigen Sätzen, so ist sie schlecht; erfolgt sie endlich aus falschen und zugleich sehr unglaubwürdigen Sätzen, so ist es klar, dass sie schlecht ist, und zwar entweder überhaupt, oder rücksichtlich des betreffenden Gegenstandes.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 198-200.
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